Indien hinkt China hinterher
Die Wirtschaft der größten Demokratie kann der chinesischen Planwirtschaft nicht folgen
Auf dem letzten Weltwirtschaftsforum war Chinas Staatschef Xi der Star. Kommende Woche hält Indiens Premier Modi die Eröffnungsrede in Davos. Doch sein Land hinkt wirtschaftlich hinterher. Siemens elektrifiziert Indiens Metro. Der deutsche Konzern gab vergangene Woche einen weiteren Abschluss auf dem Subkontinent bekannt: Der Nahverkehrsbetreiber Metro Link Express hat die Münchner mit der Elektrifizierung einer fast 40 Kilometer langen Strecke in Ahmedabad beauftragt. Die Metropole ist das wirtschaftliche Herz des Bundesstaates Gujarat, der Heimat des indischen Premiers Modi. »Die neue Metro-Linie«, erklärt eine Siemens-Sprecherin, »trägt zur Verbesserung der Lebensqualität und des wirtschaftlichen Wachstums in Ahmedabad und der Region bei.« Ziel dieses und fünf weiterer Metro-Projekte sei es, die Urbanisierung zu bewältigen.
In Indien vollzieht sich gerade ein Trend. Jedes Jahr zieht es Abermillionen Menschen in die Städte – in der Hoffnung auf Arbeit und bescheidenen Wohlstand. Das verschärft den Druck auf die überlastete Infrastruktur. Es ist vor allem der »Bevölkerungsdruck«, der Indiens wirtschaftliches Wachstum verschlingt: Fast jeder Zweite ist unter 25 Jahre alt – und viele Millionen Junge drängen auf den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung jährlich um 1,2 Prozent (2016). Angesichts dieser Entwicklung ist ein Wirtschaftswachstum im sozial tief gespaltenen Land von real 6,7 Prozent im Jahr 2017 zu wenig, um Armut wirksam zu bekämpfen.
Auf dem Weltwirtschaftsforum kommende Woche in der Schweiz könnte Premierminister Narendra Modi mit US-Präsident Donald Trump zusammentreffen. Modi will in Davos das »neue, junge und innovative Indien« präsentieren. Über ein Jahrzehnt lang hatte er Gujarat regiert und den 60-Millionen-Einwohner-Bundesstaat wirtschaftlich auf Vordermann gebracht. Mit diesem Versprechen hatte Modi 2014 auch die indische Parlamentswahl gewonnen.
Die Industrie am Arabischen Meer ist vergleichsweise weit entwickelt und global vernetzt. So unterhält Siemens mehrere Niederlassungen in Gujarat. Doch Probleme mit der Energieversorgung, die überbordende Bürokratie, hohe Inflation und schlecht ausgebaute Infrastruktur, dazu Kastendenken, religiöse Konflikte und existenzielle Armut lassen sich in der gesamten indischen Union mit ihren 1,3 Milliarden Einwohnern kaum in den kapitalistischen Griff kriegen.
Noch vor zwei Jahrzehnten befand sich Indien mit China wirtschaftlich auf Augenhöhe. Dann begann der östliche Nachbar unter Leitung der Kommunistischen Partei seinen durchgeplanten Aufstieg zur Wirt- schaftsgroßmacht. Mittlerweile liegen Welten zwischen den Ländern: Indiens Bruttoinlandsprodukt beträgt nach offiziellen Angaben knapp drei Billionen Dollar – China kommt mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl auf über 13 Billionen Dollar. Heute ist Indien für den deutschen Außenhandel nur noch so wichtig wie Finnland oder Taiwan.
Ein Grund für Pekings Erfolg ist die hohe Investitionsquote, die Staat und Wirtschaft finanzieren. Dagegen hat sich das indische Kapital zurückgehalten, und auch westliche Konzerne zögerten, außerhalb von Delhi und der Softwarehochburg Bangalore zu investieren.
Modis Wahl löste zunächst einen Energieschub aus. 2015 wuchs das BIP um acht Prozent. Doch die verschleppte Steuerreform – eine einheitliche Mehrwertsteuer sollte viele, teils regionale Steuern ersetzen – wurde im ganzen Land kleingeredet. Und die Abschaffung großer Banknoten sollte die Korruption erschweren, bremste aber die Wirtschaft aus, da es sich um alltägliche Zahlungsmittel handelte. Die aus dem Verkehr gezogenen 500- und 1000-Rupien-Scheine sind kaum 10 und 20 Euro wert.
Die Weltbank listet Indien zudem bei der Geschäftsfreundlichkeit erst auf Rang 100 von 190 Staaten. Inzwischen scheinen auch Kapitalisten nicht mehr an den Wirtschaftsliberalen Modi zu glauben. Investitionen indischer Firmen sind laut Medien vergangenes Quartal auf den tiefsten Stand seit 13 Jahren gesunken. Dabei verfolgtModi einen Plan ähnlich dem, den Trump in den USA vorantreibt. Bei öffentlichen Anschaffungen sollen indische Firmen bevorzugt werden, mindestens die Hälfte der Wertschöpfung soll im Inland stattfinden. Das Stichwort heißt: »Made in India«.