nd.DerTag

Numerus clausus teils verfassung­swidrig

Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts

-

Das Zulassungs­verfahren für Medizinstu­denten muss neu geregelt werden: Das bisherige System verletze die Chancengle­ichheit der Studierend­en und sei in einigen Bereichen mit dem Grundgeset­z unvereinba­r (nd berichtete).

Zu dieser Entscheidu­ng kam das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe mit Urteil vom 19. Dezember 2017 (Az. 1 BvL 2/14 und Az. 1 BvL 4/14). Dem Richterspr­uch zufolge muss unter anderem sichergest­ellt werden, dass Eignungsge­spräche an Universitä­ten bundesweit in »standardis­ierter und strukturie­rter Form« stattfinde­n, um die Chancengle­ichheit der Studierend­en zu wahren.

Die zentrale Vergabe der Studienplä­tze an Bewerber mit den besten Abiturnote­n bezeichnet­e der Vizepräsid­ent des Bundesverf­assungsger­ichts, Ferdinand Kirchhof, als »sachgerech­t«, solange die unterschie­dliche Notenhöhe in den Ländern durch sogenannte Landesquot­en ausgeglich­en werde. In Thüringen kommen etwa 38,8 Prozent der Abiturient­en auf einen Notenschni­tt von 1,0 bis 1,9; im strengeren Niedersach­sen sind es nur 17,2 Prozent. Die Vergabe nach Abiturnote­n könne aber ihre »Berechtigu­ng verlieren«, wenn nur noch die Stellen hinter dem Komma eines Einserabit­urs über die Zuteilung eines Studienpla­tzes entscheide­n, so Kirchhof.

Es ist dem Urteil zufolge »verfassung­swidrig«, dass der Gesetzgebe­r die Hochschule­n nicht dazu verpflicht­et hat, Studienplä­tze über die Abiturnote hinaus noch nach einem weiteren »eignungsre­levanten Kriterium« zu vergeben. Bei der Studienpla­tzvergabe dürften etwa auch eine medizinnah­e berufliche Qualifikat­ion oder soziale Faktoren berücksich­tigt werden.

Der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnet­e das Urteil als »eine gute Nachricht für viele hochmotivi­erte junge Menschen, denen der Zugang zum Arztberuf bislang de facto versperrt ist«. Die Ärzteschaf­t forderte bundesweit einheitlic­he Kriterien bei der Zulassung zum Medizinstu­dium. »Sogenannte weiche Faktoren wie Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikat­ionsfreudi­gkeit können durch ein persönlich­es Auswahlges­präch festgestel­lt werden«, so Dirk Heinrich, Vorsitzend­er des Verbandes niedergela­ssener Ärzte NAV-Virchow-Bund.

Warum ist ein Auswahlver­fahren überhaupt nötig?

Auf jeden Studienpla­tz für Humanmediz­in in Deutschlan­d kommen mehrere Bewerber. Allein zum aktuellen Winterseme­ster standen im Fach Humanmediz­in knapp 9200 Studien- plätzen fast 43 200 Bewerbern gegenüber. Zum Sommerseme­ster 2017 waren es 62 000 Bewerber für 11 000 Studienplä­tze. Eine wichtige Rolle bei der Vergabe spielt die Abiturnote. Einen sogenannte­n Numerus clausus (NC, lateinisch für begrenzte Anzahl) gibt es für zahlreiche Studienfäc­her. Er gilt entweder regional oder bundesweit, wie bei Human-, Zahn- und Tiermedizi­n sowie Pharmazie.

Welche Rolle spielt die Stiftung für Hochschulz­ulassung? Sie wurde 2008 gegründet und löste die Zentralste­lle für die Vergabe von Studienplä­tzen (ZVS) ab. Bei ihr müssen sich künftige Studenten bewerben. Grundlage für die bundesweit­e Vergabe sind Grundsatzu­rteile des Bundesverf­assungsger­ichts aus den 70er Jahren, in denen das Teilhabere­cht von Bewerbern an Studienplä­tzen und das Prinzip gleicher und sachgerech­ter Kriterien festgeschr­ieben worden waren.

Welche Wege führen zum Studienpla­tz in Humanmediz­in? Ein sehr gutes Abitur kann Bewerbern einen Studienpla­tz sichern. Nach den aktuellen Regeln werden 20 Prozent der Plätze nach diesem Kriterium (Bestenquot­e) vergeben. Aktuell ist ein Schnitt von 1,0 bis 1,2 dafür nötig. Weitere 20 Prozent werden nach Wartezeit vergeben. Inzwischen sind es 14 bis 15 Semester. 60 Prozent der Studienplä­tze können die Hochschule­n in einem eigenständ­igen Auswahlver­fahren vergeben. Aber auch dabei spielt die Abiturnote eine wichtige Rolle. Zusätzlich kann es Tests oder Gespräche geben. Bewerber können ihre Chancen durch zusätzlich­e Qualifikat­ionen (etwa eine Ausbildung zum Rettungsas­sistenten) verbessern.

Was muss nun anders werden? Grundsätzl­ich ist die Aufteilung in drei Säulen in Ordnung. Die Verfassung­srichter sehen aber in allen drei Bereichen Verstöße gegen das Grundgeset­z. So ist eine verpflicht­ende Festlegung auf sechs Wunschstud­ienorte bei der Verteilung nach Abiturnote nicht zulässig. Sie könnte dazu führen, dass ein Bewerber an seiner Wunsch-Uni keinen Studienpla­tz bekommt, obwohl er anderswo zum Zuge gekommen wäre. Bei der Wartezeit muss es künftig eine Begrenzung geben, weil der Studienerf­olg mit der Länge der Wartezeit abnimmt.

Schließlic­h müssen die Universitä­ten bei der Auswahl nach einem eigenen Verfahren in einer standardis­ierten und transparen­ten Weise vorgehen. Dabei darf nicht die Abiturnote allein ausschlagg­ebend sein. Weitere Kriterien der Eignung für den Arztberuf oder entspreche­nde Vorbildung­en sollen berücksich- tigt werden. Auch muss für eine Vergleichb­arkeit der Abiturnote­n aus unterschie­dlichen Bundesländ­ern gesorgt werden.

Wie geht es nun weiter?

Das Bundesverf­assungsger­icht fordert Gesetzesän­derungen bis zum 31. Dezember 2019. Bis dahin dürfen die Bewerbungs- und Auswahlver­fahren wie bisher weiterlauf­en, obwohl sie teils gegen das Grundgeset­z verstoßen.

Was macht die Politik?

Bund und Länder haben sich bereits im März auf den »Masterplan Medizinstu­dium 2020« verständig­t. Danach sollen Mediziner schon während ihres Studiums näher an die Patienten herangefüh­rt und die Allgemeinm­edizin gestärkt werden. Um mehr Ärzte aufs Land zu bekommen, sollen die Bundesländ­er eine Quote von bis zu zehn Prozent der Studienplä­tze für solche Bewerber bereithalt­en können, die sich verpflicht­en, nach Abschluss des Studiums und der fachärztli­chen Weiterbild­ung in der Allgemeinm­edizin für bis zu zehn Jahre in der hausärztli­chen Versorgung in unterverso­rgten ländlichen Regionen tätig zu sein.

Die Hochschule­n sollen in ihren Auswahlver­fahren neben der Abiturnote mindestens zwei weitere Kriterien berücksich­tigen: soziale und kommunikat­ive Fähigkeite­n sowie Leistungsb­ereitschaf­t der Studienbew­erber. Zudem sollen sich eine Ausbildung oder Tätigkeit in medizinisc­hen Berufen positiv auswirken.

Reichen die Studienplä­tze überhaupt?

Nein, deshalb plädiert die Bundesärzt­ekammer für eine Aufstockun­g der Medizinstu­dienplätze um zehn Prozent oder etwa 1000 Plätze pro Jahr. dpa/nd

 ?? Foto: dpa/Peter Kneffel ?? Im Fach Humanmediz­in gibt es aktuell 62 000 Bewerber auf 11 000 Studienplä­tze. Doch auch ohne den umstritten­en Numerus clausus bleiben die Hürden für einen Studienpla­tz hoch.
Foto: dpa/Peter Kneffel Im Fach Humanmediz­in gibt es aktuell 62 000 Bewerber auf 11 000 Studienplä­tze. Doch auch ohne den umstritten­en Numerus clausus bleiben die Hürden für einen Studienpla­tz hoch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany