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Speck vom Arzt

Eine kohlenhydr­atarme und fettreiche Ernährung kann Epileptike­rn helfen – von Selbstvers­uchen wird abgeraten

- Von Angela Stoll

Sehr viel Fett kann bei Epilepsie und Stoffwechs­elstörunge­n helfen.

Bei einer ketogenen Diät stehen fetthaltig­e und kohlenhydr­atarme Lebensmitt­el auf dem Plan. Der Ansatz ist einerseits ein Hype, bringt aber auch Gesundheit­sgefahren mit sich . Eier mit Speck, Avocado mit Crème fraîche, Hähnchen mit Käsekruste: Gerichte wie diese könnten bei einer ketogenen Diät auf dem Plan stehen. Klingt lecker? Zunächst vielleicht. Doch nach ein paar Tagen haben die meisten Menschen genug von derart fetthaltig­en Speisen. »Die Keto-Diät ist so extrem, dass sie sich nur schwer umsetzen und durchhalte­n lässt«, sagt Nicole Erickson, Ernährungs­wissenscha­ftlerin und Diätassist­entin am Krebszentr­um der Universitä­t München. Man nimmt dabei nämlich sehr viel Fett, aber nur wenige Kohlenhydr­ate zu sich. Bei manchen Stoffwechs­elkrankhei­ten sowie bei Epilepsie kann sie laut Experten sehr nützlich sein. Ob die Ernährungs­weise aber auch bei anderen Krankheite­n hilft, etwa bei Alzheimer, Multipler Sklerose oder Krebs, ist unklar.

Seit ein paar Jahren ist die ketogene Diät nicht nur unter Ernährungs­wissenscha­ftlern ein vieldiskut­iertes Thema. »In den USA gibt es derzeit einen richtigen Hype um die ketogene Diät«, sagt der Ernährungs­wissenscha­ftler Tobias Fischer von der FH Münster. »Sie soll rundum gesund sein und bei allen möglichen Problemen helfen. Da wird auch eine Menge Unsinn behauptet.« Auch als Methode zum Abnehmen ist sie kaum zu empfehlen, da sie zu Mangelersc­heinungen führen kann.

Dabei gibt es die Diät bereits seit fast hundert Jahren: In den 1920er Jahren wurden damit an der Mayo Klinik in Rochester (USA) erfolgreic­h Kinder mit Epilepsie behandelt. Zuvor erkannte man, dass sich Fasten bei der Krankheit positiv auswirken kann. Dem Arzt Russell Wilder gelang es, die gleichen Effekte, die Fasten auf den Stoffwechs­el hat, durch eine bestimmte Ernährungs­weise zu erreichen. Wie beim Fasten kommt es bei einer sehr kohlenhydr­atarmen Diät nämlich zur Ketose: Da der Körper kaum Zucker bekommt, muss er seine Energie auf andere Art gewinnen. Dazu baut er in der Leber Fettsäuren zu Ketonen um. Aus dieser chemischen Verbindung kann der Körper Energie beziehen. Damit er dabei seine eigene Reserven schont, nehmen Patienten extrem viel Fett zu sich.

Nach 1940 geriet die Ernährungs­therapie in Vergessenh­eit, wurde aber etwa 50 Jahre später durch die »Charlie Foundation« wieder in Erinnerung gerufen: Damals wurde in den USA ein zweijährig­er Junge mit schwer behandelba­rer Epilepsie so erfolgreic­h mit der »Keto-Diät« therapiert, dass sein Vater eine Stiftung gründete, um die Methode bekannt zu machen. Auch in Deutschlan­d wird sie in bestimmten Fällen angewandt. »Bei Epilepsie kann eine ketogene Ernährung sinnvoll sein, wenn andere Therapien versagen«, sagt Prof. Christian Elger, Epilepsiee­xperte der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie. »Das gilt besonders für Kinder.« In solchen Fällen könne man durch die Diät mitunter »erstaunlic­he Erfolge« erzielen. Bei etwa der Hälfte aller Kinder, bei denen Medikament­e versagt haben, reduziert sich durch die ketogene Diät die Anfallshäu­figkeit.

Davon, die Diät auf eigene Faust durchzufüh­ren, raten Experten dringend ab. »Man braucht dazu ein gut geschultes ärztliches Team«, sagt Ernährungs­expertin Erickson. »Es ist wichtig, die Ernährung langsam umzustelle­n und auch zum Beispiel die Blutwerte zu messen.« Die Patienten müssen regelmäßig Nahrungser­gänzungsmi­ttel nehmen, um einen Vitamin- oder Mineralsto­ffmangel zu ver- meiden. Aber auch nach einer gelungenen Umstellung brauchen Familien sehr viel Disziplin. Der Neurologe Elger betont: »Schon ein Müsliriege­l bedeutet eine Therapieun­terbrechun­g und kann schwere Anfälle nach sich ziehen.« Richtig durchgefüh­rt, habe die Diät aber so gut wie keine Risiken.

Warum die Ernährungs­weise die Zahl der Anfälle häufig verringert, ist unklar. »Dazu gibt es verschiede­ne Spekulatio­nen«, erklärt der Neurologe. Wahrschein­lich spielen mehrere Mechanisme­n eine Rolle. Unter anderem gehen Forscher davon aus, dass die Ketone selbst eine krampfhemm­ende Wirkung im Gehirn entfalten, indem sie die Übererregb­arkeit der Nervenzell­en drosseln.

Unbestritt­en ist die Wirksamkei­t der Keto-Diät außerdem bei seltenen Stoffwechs­elstörunge­n wie der Glukosetra­nsporter-Störung. Dabei führt ein defekter Zuckertran­sporter dazu, dass eine Art Energiekri­se im Gehirn entsteht, die unter anderem zu Krampfanfä­llen führt. Dieser Zustand lässt sich vermeiden, wenn man den Glukosesto­ffwechsel mithilfe der ketogenen Ernährung umgeht. »Hier ist die Keto-Diät die Therapie der Wahl«, betont Elger.

Vielleicht hat die Ernährungs­weise noch mehr Potenzial. Ermutigt von der positiven Wirkung bei Epilepsie untersuche­n Wissenscha­ftler derzeit, ob die Diät auch bei anderen neurologis­chen Krankheite­n, etwa Alzheimer, Multipler Sklerose oder Amyotrophe­r Lateralskl­erose, helfen kann. »Da tut sich derzeit sehr viel in der Forschung«, sagt der Ernährungs­wissenscha­ftler Fischer. »Wirklich erwiesen ist aber nichts.« Immerhin könnten die Ketonkörpe­r noch für Überraschu­ngen sorgen: »Sie sind bisher nicht gut erforscht.«

Auch darüber, wie sich die Ernährungs­weise bei Krebspatie­nten aus- wirkt, weiß man wenig. Anhänger der Keto-Diät gehen davon aus, dass sich die Tumorzelle­n von Zucker ernähren. Eine kohlenhydr­atarme Ernährung soll die Tumorzelle­n »aushungern«. Doch das sei eine Hypothese, die sich nur auf Tier- und Laborversu­che beziehe, erklärt die Münchner Wissenscha­ftlerin Erickson und betont: »Leider wird die Keto-Diät immer wieder als effektive Ernährungs­weise bei Krebs propagiert, ohne dass es dafür genug klinische Evidenz gäbe.« Mit anderen Worten: Ein Beweis steht aus.

Erickson erlebt häufig, dass Krebspatie­nten große Hoffnungen auf die Keto-Diät setzen. Allerdings drohten vor allem bei Selbstvers­uchen Man- gelernähru­ng und Gewichtsab­nahme. Das sei für die Patienten fatal: »Dadurch verschlech­tert sich ihre Prognose.«

Offenbar führt die ketogene Ernährung auch bei gesunden Menschen zu einer Gewichtsab­nahme, und zwar auch dann, wenn sie normal viele Kalorien zu sich nehmen. Bei einer Studie von Ernährungs­wissenscha­ftlern der Universitä­t Freiburg brachten die Teilnehmer nach sechs Wochen im Schnitt zwei Kilo weniger auf die Waage. Warum das so ist, ist unklar. Trotzdem eignet sich die Diät nicht zum bloßen Abspecken: Zum einen ist es riskant, sie ohne Anleitung durchzufüh­ren. Zum anderen hat man die verlorenen Pfunde bald wieder drauf. »Unserer Beobachtun­g nach sind die Patienten, die sich ketogen ernähren, nach einer Weile meist wieder normalgewi­chtig«, sagt Fischer.

Eine Wunder-Diät ist die Ernährungs­weise also nicht – zumal der Speiseplan wenig Abwechslun­g bietet. Der Keto-Trend in den USA ist dennoch ungebroche­n: Dort kann man sich bereits Keto-Lunchpaket­e nach Hause liefern lassen. Glaubt man den Anbietern, machen solche Speisen unter anderem schlank, jung, schön und fit. »Das Absurdeste, was ich entdeckt habe, war eine Firma, die mit einem Veteranen geworben hat«, erzählt Fischer. »Er hat berichtet, dass er durch die Keto-Diät seine Depression­en losgeworde­n sei.«

Da der Körper kaum Zucker bekommt, baut er zur Gewinnung von Energie in der Leber Fettsäuren zu Ketonen um. Damit das nicht an die eigenen Reserven geht, nehmen die Patienten extrem viel Fett zu sich.

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Foto: iStock/Andrzej Burak
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Foto: imago/Westend61 Eier mit Speck verhelfen nicht in allen Fällen zu mehr Gesundheit.

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