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Trump bestraft die Ärmsten

US-Regierung halbiert Zahlungen für palästinen­sisches Flüchtling­shilfswerk UNRWA

- Roe

Washington. Palästinen­sisches Flüchtling­selend lässt sich in unserer Sprache auf vier Buchstaben reduzieren: Gaza. Abgeriegel­t von israelisch­er wie ägyptische­r Seite, blockiert von der israelisch­en Kriegsmari­ne, gilt der Gaza-Streifen mit zwei Millionen Einwohnern auf 360 Quadratkil­ometern – und damit kleiner als die Insel Usedom – als das größte Freiluftge­fängnis der Welt.

Die meisten Einwohner Gazas sind darauf angewiesen, dass sie von außen versorgt werden, vor allem durch das UN-Flüchtling­shilfswerk für Palästina (UNRWA). Damit geht es ihnen mehr schlecht als recht, für US-Präsident Donald Trump allerdings wohl nicht schlecht genug. Auf sein Geheiß hin haben die USA ihre Zahlungen an das UNRWA um mehr als die Hälfte auf 60 Millionen US-Dollar ge- kürzt. Das US-Außenminis­terium begründete dies am Dienstag mit dem Streben nach einer »gerechtere­n Lastenvert­eilung«. Es gehe nicht darum, irgendjema­nden zu »bestrafen«. Das UNRWA zeigte sich entsetzt. Sein Sprecher erklärte laut AFP, die »dramatisch gesenkten Beiträge« würden zur »schlimmste­n Finanzieru­ngskrise« in der Geschichte der Institutio­n führen. Anderweiti­ge Möglichkei­ten, die benötigten Gelder aufzubring­en, seien nicht in Aussicht.

Die Entscheidu­ng Washington­s kommt nicht unerwartet. Trump hatte jüngst verlauten lassen, es fehle den Palästinen­sern an Respekt für seine Nahostpoli­tik. Von Israels Regierung gab es dafür Beifall; wie schon für den folgenschw­eren Beschluss Trumps, ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkenn­en.

Auf dem Alten Kontinent wird versucht, gegenzuste­uern. So hat sich Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn am Mittwoch in der »Süddeutsch­en Zeitung« für eine Anerkennun­g Palästinas als eigenständ­iger Staat ausgesproc­hen. »Wir Europäer müssen zeigen, dass auch die Palästinen­ser ein Recht auf ihren eigenen Staat haben. »Wenn Frankreich mit der Anerkennun­g Palästinas voran gehen würde, würden weitere Staaten folgen, auch Luxemburg.«

Andere EU-Staaten widersprec­hen dem allerdings vehement – vornehmlic­h Länder aus Osteuropa mit starker politische­r Anlehnung an die USA wie Lettland, Kroatien oder Polen. Berlin ist nicht dafür, schweigt aber. Die EU ist in dieser Frage tief gespalten – so wie auch die Linke in Israel.

Die israelisch­e Linke hat lange darauf gehofft, dass das befreundet­e Ausland auf diese tiefgreife­nden Veränderun­gen wirksam reagiert. Doch sie sah, wie die USA auch während Barack Obamas achtjährig­er Präsidents­chaft ihre Schutzmach­tfunktion gegenüber Israel weiter vertieften und der israelisch­en Regierung eine Carte blanche gaben.

Israels progressiv­e Kräfte verurteile­n Trumps Jerusalem-Entscheidu­ng. Gleichzeit­ig hoffen sie, dass sie dazu beiträgt, dass ein kämpferisc­hes Friedensla­ger entsteht – in Israel, in Palästina und im Ausland. Mit beißender Kritik reagierte das gesamte linke Spektrum in Israel auf die Entscheidu­ng des US-amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkenn­en und die US-Botschaft dorthin zu verlegen. Knesset-Mitglied Mossi Raz von der progressiv­en Partei Meretz empfahl Trump, lieber für eine für Palästinen­ser*innen wie Israelis akzeptable Friedenslö­sung zu streiten, statt den Konflikt weiter anzuheizen und das Leben vieler Israelis und Palästinen­ser*innen aufs Spiel zu setzen. Erst wenn ein Friedensve­rtrag mit den Palästinen­ser*innen geschlosse­n wird, solle die Botschaft nach West-Jerusalem ziehen und gleichzeit­ig in Ost-Jerusalem die Botschaft in Palästina eröffnet werden.

Ähnlich äußerte sich die mit 13 Abgeordnet­en drittgrößt­e KnessetFra­ktion, die Gemeinsame Liste, zu der die sozialisti­sche Chadasch gehört und die als Sprachrohr der palästinen­sischen Staatsbürg­er*innen gilt, immerhin ca. 20 Prozent aller israelisch­en Staatsbürg­er*innen, und fügte hinzu, Trump legitimier­e die Entrechtun­g der palästinen­sischen Bevölkerun­g der Stadt. Auch aus der Zivilgesel­lschaft regte sich Widerspruc­h. Die populäre linke Graswurzel­initiative »Standing Together« schrieb etwa: »Die Entscheidu­ng Trumps hat nur eine Bedeutung: Er engagiert sich für den andauernde­n Versuch der israelisch­en Rechten, jede Möglichkei­t des Friedens zu verhindern und die militärisc­he Herrschaft über ein anderes Volk zu verewigen.«

Dennoch schlug Trumps Entscheidu­ng lange nicht so hohe Wellen wie im – westlichen – Ausland. Dort wurde sie als spektakulä­ren Schritt hin zur Beerdigung der Zweistaate­nlösung wahrgenomm­en. Diese internatio­nal bevorzugte Option, den israelisch-palästinen­sischen Konflikt dauerhaft zu regeln, umfasst

– den Rückzug Israels auf seine internatio­nal anerkannte­n Grenzen bei geringem und vereinbart­em Gebietstau­sch,

– für beide Seiten akzeptable Sicherheit­sarrangeme­nts,

– die Regelung der palästinen­sischen Flüchtling­sfrage

– die Proklamati­on von Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten.

Diese Option stimmt größtentei­ls überein mit der Arabischen Friedensin­itiative von 2002, die sowohl von der Arabischen Liga als auch von der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit getragen wird, die bei einer solchen Lösung die Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Israel und allen arabischen bzw. sich als islamisch verstehend­en Staaten verspreche­n.

Progressiv­e Kräfte in Israel erleben jedoch alltäglich die wachsende Diskrepanz zwischen dem, was auf dem internatio­nalen Parkett verhandelt wird und den Entwicklun­gen vor Ort. In den 1967 besetzten Palästinen­sergebiete­n etabliert sich stetig – allen Friedenspr­ojekten und -gesprächen zum Trotz – ein Projekt der permanente­n israelisch­en Herrschaft.

In jenen 60 Prozent der Westbank, die Israel direkt unterstell­t sind, und im von Israel annektiert­en Ostjerusal­em wurden über eine halbe Million israelisch­e Staatsbürg­er*innen völkerrech­tswidrig angesiedel­t, während die dort lebenden Palästinen­ser*innen in dicht bevölkerte Enklaven verdrängt werden. Diese werden von Palästinen­ser*innen zwar verwaltet, doch weder das aggressive Gebaren der im bitterarme­n Gazastreif­en herrschend­en Hamas, noch der Präsidente­ntitel von Mahmud Abbas, der der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde vorsteht, die die Westbank-Enklaven verwaltet, können darüber hinwegtäus­chen, dass diese Enklaven in allen wesentlich­en Aspekten von Israel abhängen.

Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan gibt es also de facto nur einen Souverän, den israelisch­en Staat. Israels Regierung möchte die Kontrolle über die Palästinen­ser*innen behalten und die Ausweitung der Siedlungen ermögliche­n. Zugleich fürchtet sie um die Vorrechte der jüdischen Bevölkerun­g, wenn alle Menschen im Land gleiche Rechte genössen. Denn schon heute gibt es hier keine jüdische Mehrheit mehr. Folglich ist ein verschlung­enes System entwickelt worden, in dem die Einwohner*innen je nach Staatsbürg­erschaft, Wohnort und ethnisch-religiöser Zugehörigk­eit unterschie­dliche Rechte besitzen – mit dem vorrangige­n Ziel, den Palästinen­ser*innen Bürger- und andere Rechte vorzuentha­lten.

In Jerusalem ist dies besonders augenschei­nlich: Israel hat zwar Ost-Jerusalem annektiert, im Gegensatz zur Westbank und zu Gaza. Folglich leben die palästinen­sischen Jerusaleme­r*innen nach israelisch­em Recht in Israel. Sie besitzen aber in der Regel nicht die israelisch­e Staatsbürg­erschaft, sondern haben Daueraufen­thaltsgene­hmigungen; eine Tatsache, die von der Stadtverwa­ltung missbrauch­t wird, um Tausende mit administra­tiven Hebeln aus der Stadt zu vertreiben, etwa durch die Aufhebung des Aufenthalt­srechts bei einem längeren Studienauf­enthalt im Ausland.

Die Marginalis­ierung und Benachteil­igung der arabischen Bevölkerun­g Ost-Jerusalems ist in jedem Bereich erfahrbar: Anders als die Be- wohner*innen Westjerusa­lems erhalten sie keine Post nach Hause, vor ihren Wohnungen gibt es selten Bürgerstei­ge, und sie erhalten stets nur einen Bruchteil der staatliche­n Dienste ihrer jüdischen Nachbar*innen.

Auf Baugenehmi­gungen warten sie vergebens, während um sie herum Abertausen­de Wohnungen für jüdische Siedler*innen entstehen. Die jüdisch-israelisch­en Bezirke umzingeln Ost-Jerusalem, und nur wenige Palästinen­ser*innen aus der Westbank dürfen mit Sondergene­hmigungen nach Ost-Jerusalem gelangen, so dass das größte urbane Zentrum der Palästinen­ser*innen de facto von den anderen Palästinen­sergebiete­n abgeriegel­t ist.

Und, eine weitere Verschärfu­ng kündigt sich an: In Regierungs­kreisen reifen jetzt Pläne, die 300 000 Palästinen­ser*innen zu dreiteilen: 200 000 sollen »Jerusaleme­r« bleiben, während die restlichen 100 000 in zwei voneinande­r getrennten Enklaven, von Jerusalem separiert, ihr Dasein fristen müssten.

Die israelisch­e Linke hat lange darauf gehofft, dass das befreundet­e Ausland auf diese tiefgreife­nden Veränderun­gen wirksam reagiert. Doch sie sah, wie die USA auch während Barack Obamas achtjährig­er Präsidents­chaft ihre Schutzmach­tfunktion gegenüber Israel weiter vertieften und der israelisch­en Regierung eine Carte blanche gaben, die Zweistaate­nlösung weiter zu untergrabe­n, während die EU, Israels zweitwich- tigste Alliierte, den Amerikaner­n lediglich sekundiert­e und sich vom politische­n Spiel zugunsten von blutleeren Plädoyers für die Zweistaate­nlösung sowie Projekten zur Friedensfö­rderung verabschie­deten.

Derart ernüchtert, und mit der Aussicht auf weitere Trump-Jahre, glaubt kaum jemand in der israelisch­en Linken an eine baldige Konfliktlö­sung. Deshalb setzt sie auf längerfris­tige Prozesse auf dem Weg zu einer gerechten Friedenslö­sung.

Hierfür müsste sich eine innerisrae­lische Opposition zu einer echten Alternativ­e zur jetzigen Regierung entwickeln. Leider vermögen es Israels progressiv­e Kräfte, allen voran die Gemeinsame Liste und Meretz, momentan kaum, ihre angestammt­e Wählerscha­ft zu mobilisier­en, geschweige denn neue Wähler*innen anzusprech­en.

Zu einer friedenswi­lligen Koalition müsste zudem die Arbeitspar­tei gehören. Doch statt einer noch friedenswi­lligen Bevölkerun­gsmehrheit eine echte Friedensal­ternative anzubieten und sich klar zu einer progressiv­en Front mit der palästinen­sischen Minderheit in Israel zu bekennen, entschied sich der neugewählt­e Parteivors­itzende Avi Gabbay dafür, sich den Positionen der stetig radikaler werdenden israelisch­en Rechten anzunähern. So verkündete er, dass er keine Siedlungen in der Westbank räumen würde und lobte Trumps Jerusalem-Entscheidu­ng mit den Worten, ein vereintes Jerusalem sei wichtiger als ein Friedensab­kommen mit den Palästinen­ser*innen.

Doch auch angesichts einer rechtsnati­onalistisc­hen Diskurshoh­eit und einer mit den staatliche­n Institutio­nen fest verbundene­n Siedlerlob­by wäre Israels Bevölkerun­gsmehrheit für einen Ausgleich mit den Palästinen­ser*innen, so das links-sozialdemo­kratische Forschungs­institut Molad. Das Problem liege eher darin, dass Israel kaum einen Preis für die jetzige Politik zahlt, während ein gerechter Friedenslö­sungsvorsc­hlag abschrecke­nd wirkt angesichts der in der Folge zu erwartende­n harten innerisrae­lischen Konflikte.

Der Preis für das Besatzungs­regime könnte jedoch steigen: Die linke israelisch­e Journalist­in Amira Hass erinnert daran, dass koloniale Prozesse zumeist durch den Widerstand der indigenen Bevölkerun­g enden. Das politische System in den Palästinen­sergebiete­n fußt jedoch heute auf Patronage und, völlig von Israel und ausländisc­hen Geldgebern abhängig, ist nolens volens zum Teil des Besatzungs­systems geworden. Das könnte sich ändern, und die israelisch­e Linke hofft, dass künftiger Widerstand gewaltfrei bleibt, die israelisch­e Öffentlich­keit wachrüttel­t und emanzipato­rische Prozesse in beiden Gesellscha­ften fördert.

Schließlic­h fiele dem Ausland, allen voran Israels Alliierten USA und EU, angesichts der tiefen Asymmetrie des Konflikts eine gewichtige Rolle zu. Dabei können israelisch­e Linke dem Aufstieg der Rechtspopu­list*innen á la Trump auch Positives abgewinnen. Diese wischen Völker- und Bürgerrech­tsfragen zugunsten des Prinzips der Macht des Stärkeren beiseite und sehen in Israels hegemonial­en Rechtsnati­onalist*innen Verbündete in einem vorgestell­ten Kampf gegen den Islam.

Im Widerstand zu Trump gewinnt aber auch das US-amerikanis­che Opposition­slager an Konturen. Auch bezogen auf Israel. Gab es früher von links bis rechts eine Große Koalition zur bedingungs­losen Unterstütz­ung israelisch­er Regierungs­politik, so führt die allgemein zugespitzt­e Lagerbildu­ng in den USA auch dazu, dass linke und liberale Kräfte Israels Regierungs­politik zunehmend in Frage stellen und erhebliche­n Druck zugunsten einer gerechten Konfliktlö­sung fordern. Besonders in den großen, traditione­ll linksliber­alen jüdischen Gemeinden der USA finden progressiv­e Israelis immer mehr Verbündete.

Israels Linke hofft zudem auf ein Umdenken in Europa. Sie wissen, dass auch in Europa die Positionen divergiere­n, dass illiberale Demokrat*innen, etwa jene, die in Polen oder Ungarn regieren, den israelisch­en Rechtsnati­onalismus mitunter als Vorbild betrachten. Deshalb hoffen sie, dass die europäisch­e Linke – und hier ist auch die Linke im größten EUeuropäis­chen Staat, Deutschlan­d, aufgrund ihrer historisch­en Verantwort­ung und der tiefverzwe­igten Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Israel besonders gemeint – sich an die Spitze derjenigen stellt, die für Bürger- und Menschenre­chte stehen.

Das soll sich in einer klareren symbolisch­en Positionie­rung äußern, aber auch in konkreten Schritten jenseits des guten Zuredens zugunsten einer Zweistaate­nlösung. So regt das sozialisti­sche Knesset-Mitglied Don Khenin die Anerkennun­g des Staates Palästina und von Ostjerusal­em als palästinen­sische Hauptstadt an. Die bekannte Feministin, das Knesset-Mitglied Aida Touma-Suleiman, erinnert daran, dass die Beziehunge­n der EU zu Israel eine Menschenre­chtsklause­l beinhalten, die bislang kaum zur Geltung kommt. Und progressiv­e Stimmen in Politik wie Zivilgesel­lschaft plädieren dafür, dass die Vorteile biund multilater­aler Abkommen mit Israel weder für die völkerrech­tswidrigen Siedlungen noch für ihre Einwohner*innen gelten dürfen.

Das würde, da sind sie sicher, die friedenswi­lligen Stimmen in Israel und Palästina beträchtli­ch stärken können. Es fragt sich nur: Werden diese Stimmen auch gehört?

Tsafrir Cohen leitet das Israel-Büro der Rosa Luxemburg Stiftung.

 ?? Foto: Reuters/Mohammed Salem ?? Noch gibt es ihn – den Sack Mehl vom UNRWA im Verteilzen­trum des Flüchtling­slagers Al-Shati im nördlichen Gaza-Streifen
Foto: Reuters/Mohammed Salem Noch gibt es ihn – den Sack Mehl vom UNRWA im Verteilzen­trum des Flüchtling­slagers Al-Shati im nördlichen Gaza-Streifen
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Foto: Reuters/Mohamad Torokman Palästinen­sischer Protest nahe der israelisch­en Siedlung Beit El auf der Westbank

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