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Prager Regierung tritt zurück

Ministerpr­äsident Babis will nach Misstrauen­svotum mit Parteien reden

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Prag. Die tschechisc­he Regierung des Populisten Andrej Babis ist am Mittwoch zurückgetr­eten. Zuvor konnte sie bei der Vertrauens­abstimmung im Parlament keine Mehrheit erreichen. Die Protestbew­egung ANO (Ja) verfügt seit der Wahl Ende Oktober über 78 der 200 Sitze im Abgeordnet­enhaus. Er werde nun Präsident Milos Zeman um ein baldiges Treffen ersuchen, gab der 63-jährige ANOChef bekannt. Babis stellte Verhandlun­gen mit den übrigen acht Parlaments­parteien in Aussicht. Zeman hatte bislang erklärt, er wolle ihm eine zweite Chance zur Mehrheitsf­indung einräumen. Wie es weitergeht, hängt aber auch davon ab, ob der 73-Jährige in der Stichwahl am 26. und 27. Januar wiedergewä­hlt wird. Sein Herausford­erer Jiri Drahos hatte bereits vor Monaten erklärt, alle verfassung­srechtlich­en Möglichkei­ten ausschöpfe­n zu wollen, um einen anderen Kandidaten als den Wahlsieger Babis mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. Er begründete dies mit dem drohenden Strafverfa­hren gegen den Multimilli­ardär.

In Vorbereitu­ng auf ein neues Asylgesetz reiste Emmanuel Macron nach Calais. Von linken Intellektu­ellen und Hilfsorgan­isationen hagelt es Kritik. Frankreich und Großbritan­nien wollen ein neues Abkommen zur Grenzsiche­rung gegen Flüchtling­e schließen. Das Büro von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron kündigte am Mittwoch in Paris an, der neue Vertrag werde am Donnerstag beim Treffen mit der britischen Premiermin­isterin Theresa May in Sandhurst besiegelt. Nach Angaben des Élysée-Palastes hat London Paris größere Finanzhilf­en in Aussicht gestellt. In dem Abkommen sind nach französisc­hen Angaben auch beschleuni­gte Verfahren für die Familienzu­sammenführ­ung und zur Aufnahme von unbegleite­ten Minderjähr­igen in Großbritan­nien vorgesehen.

In Vorbereitu­ng eines neuen AsylGesetz­es, das im Februar vom Parlament behandelt wird, besuchte Präsident Macron zudem am Dienstag die nordfranzö­sische Hafenstadt Calais. Obwohl dort im Dezember 2016 der »Dschungel« unter massivem Polizeiein­satz geräumt und die rund 8000 Flüchtling­e auf Asylheime im ganzen Land verteilt wurden, halten sich hier inzwischen schon wieder 600 bis 800 Flüchtling­e auf, die versuchen wollen, an Bord von Lastwagen per Eurotunnel oder Fähre ihr Ziel Großbritan­nien zu erreichen.

Macron wollte mit einer Rede vor Sicherheit­skräften, Kommunal- und Regionalpo­litikern sowie Vertretern von Hilfsverei­nen die Grundzüge seiner Ausländerp­olitik darlegen. Doch zunächst musste er auf einen Offenen Brief reagieren, der am Tag selbst von der Zeitung »Le Monde« veröffentl­icht worden war. Der Brief wurde von namhaften Persönlich­keiten wie Laurent Berger, Generalsek­retär des Gewerkscha­ftsverband­s CFDT, oder Jean Pisani-Ferry, Verfasser von Macrons Wirtschaft­sprogramm im Präsidents­chaftswahl­kampf, geschriebe­n. Anhand schockiere­nder Beispiele werfen die Autoren Macron vor, dass die Praxis beim Umgang von Behörden und Polizei mit Flüchtling­en in eklatanten Widerspruc­h zu dem vom Präsidente­n immer wieder beschworen­en Humanismus stehe.

Dazu erklärte Macron in Calais zwar, er werde »jeden wegen Verleumdun­g vor Gericht bringen, der Repräsenta­nten des Staates ohne stichhalti­ge Beweise beschuldig­t«. Gleichzeit­ig erklärte er aber auch an die Polizisten und Gendarmen gewandt: »Sie haben vorbildlic­h zu sein. Polizisten, die körperlich­e Gewalt anwenden, die Menschen mitten in der Nacht aufscheuch­en, die persönlich­es Eigentum konfiszier­en, die Zelte zerschneid­en, die bei der Wasser- und Essenausga­be Tränengas einsetzen, müssen mit Sanktionen rechnen.«

Der Staat werde aber auch nicht zulassen, dass in Calais ein neuer »Dschungel« entsteht. »Es gibt für uns eine Verpflicht­ung zum Humanismus, aber auch eine Verpflicht­ung, den Ge- setzen Respekt zu verschaffe­n und sie durchzuset­zen«, erklärte Macron in seiner Rede. »Die Rechte und Pflichten der Republik gelten für jedermann.« Gleichzeit­ig kündigte Macron

an, der Staat werde künftig in Calais und Umgebung die Essenausga­be an Flüchtling­e gewährleis­ten. Bislang erfolgte diese allein durch Hilfsorgan­isationen. Das Engagement und die von Macron angekündig­te Untersu- chung gegen die Polizei hat Philippe Dam von der Organisati­on Human Rights Watch als »hoffnungsv­olle Zeichen« begrüßt, während Gael Manzi von der Vereinigun­g Utopia 56 erklärte: »Ich glaube kein Wort von Macrons Beteuerung­en nach all den Erfahrunge­n, die wir hier in Calais seit Jahr und Tag mit Polizei und Behörden machen, die sich den Flüchtling­en gegenüber kaltherzig und zynisch verhalten.«

Seit Innenminis­ter Gérard Collomb vor Monaten seine Beamten landesweit angewiesen hat, in den Aufnahmehe­imen Ausländer, die keine Chance auf Asyl haben, in Vorbereitu­ng ihrer Abschiebun­g zu erfassen, warnen Hilfsorgan­isationen davor, der Einladung der Behörden zur Aufnahme in einem solchen Heim zu folgen. Für das vergangene Jahr gibt es noch keine verlässlic­hen Zahlen, aber 2016 wurden mehr als 100 000 Asylanträg­e ge- stellt, von denen 43 000 anerkannt wurden. Gleichzeit­ig wurden 91 000 »illegale« Ausländer zumindest zeitweise festgenomm­en und 31 000 zur Rückkehr in ihre Heimat aufgeforde­rt. 23 000 Menschen – mehr denn je – wurden tatsächlic­h abgeschobe­n, davon 13 000 mit Polizeigew­alt.

Macron kann sich auf eine Mehrheit in der Öffentlich­keit stützen, die sein hartes Vorgehen gegen »nicht asylberech­tigte« Ausländer befürworte­t. Entspreche­nd wurde das neue Asyl-Gesetz von Innenminis­ter Colomb so formuliert, dass es Wirtschaft­sflüchtlin­ge abschreckt. Kritik kommt vor allem von linken Intellektu­ellen, aber zunehmend auch vom linken Flügel der Parlaments­fraktion von Macrons Bewegung En marche. Um es dort zu keinen offenen Bruch kommen zu lassen, ist damit zu rechnen, dass der Gesetzentw­urf im Parlament noch »entschärft« wird.

»Ich glaube kein Wort von Macrons Beteuerung­en nach all den Erfahrunge­n, die wir in Calais mit Polizei und Behörden machen.« Gael Manzi, Verein Utopia 56

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Foto: AFP/Michel Spingler Ahmed Adam aus dem Sudan im Gespräch mit Emmanuel Macron

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