nd.DerTag

Gewalt, Zensur und Ignoranz

Christoph Burgmer über die Rolle der Literatur vor und nach der ägyptische­n Revolution

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Herr Burgmer, vor 20 Jahren haben Sie den Literatur-Nobelpreis­träger Nagib Mahfus in Kairo interviewt. Können Sie sich an diese Zeit erinnern, vor allem auch an den internatio­nal gefeierten Literaten? Nagib Mahfus, der 2006 gestorben ist, war eine außergewöh­nliche Figur in der arabischen Literatur. Als erster arabischer Autor wurde er 1988 mit dem Literaturn­obelpreis ausgezeich­net. Außergewöh­nlich ist er auch wegen seines literarisc­hen Werkes, das sich sehr stark an europäisch­en Autoren wie Thomas Mann orientiert. Gleichzeit­ig repräsenti­ert er eine Art politische­s Bewusstsei­n insbesonde­re in jener Zeit, in der es vielfach zu Anschlägen gegen ägyptische Intellektu­elle, auch gegen Literaten, gekommen ist. Er ist 1994 selber Opfer einer Messeratta­cke geworden.

Nagib Mahfus ist einer der wenigen internatio­nal bekannten arabischen Schriftste­ller, aber auch innerhalb der Region hat die Literatur es schwer. Es gibt in Kairo oder in Algier zwar jährliche Buchmessen, aber keinen Buchhandel, wie wir ihn etwa in Deutschlan­d kennen. Wie kommt man dort außerhalb dieser reinen Verkaufsve­ranstaltun­gen zu einem Buch?

Alle arabischen Autoren haben damit zu kämpfen, dass es keine große Verbreitun­g von Büchern in ihren Her- kunftsländ­ern gibt. Es existiert so gut wie keine Infrastruk­tur für Literatur. Man kann in Ägypten auch nicht einfach ein Buch im Internet bestellen. Die Auflagen sind teilweise sehr klein. Vor allem Sachbücher sind unheimlich schwer zu bekommen. Sie werden sehr schnell zensiert, wenn sie politische Geschichte­n beinhalten.

Besonders nach dem Militärput­sch im Sommer 2013 hat die Kontrolle der Medien ein erschrecke­ndes Ausmaß erreicht. Inwiefern ist das Schreiben in Ägypten ein heikles Geschäft?

Heute muss man gar nicht mehr über die Literatur an sich reden, da die Überwachun­g bis in die kleinsten Poren jeglicher Meinungsäu­ßerung eingreift. Der Literat ist nur ein Teil dieser öffentlich­en Meinung und entspreche­nd betroffen. Im Unterschie­d zur Zeit vor der Revolution, als die Literatur noch eine Art intellektu­elles Gewissen war und Literaten in verschiede­ne politische Aktionszir­kel immer wieder hineingewi­rkt haben, ist das heute überhaupt nicht mehr festzustel­len.

Ein anderer ägyptische­r Schriftste­ller, den Sie gut kennen, ist Sonallah Ibrahim, ein Vertreter der 68erGenera­tion in der arabischen Literatur. Wann haben Sie mit ihm das erste Mal gesprochen? 1990 in Berlin, weil Sonallah Ibrahim dort für den DDR-Rundfunk arbeitete. Er ist nach der Maueröffnu­ng in den Westen gekommen, bevor er wieder ganz nach Ägypten übergesied­elt ist. Dort war er Teil einer literarisc­hen Bewegung, die sich sehr stark vom Westen abgegrenzt und versucht hat, in einem Spagat zwischen nationalis­tischem Freiheitsd­enken und literarisc­hem Experiment­ieren einen Weg zu finden.

Anders als westliche Autoren scheinen arabische Literaten neben und mit der Arbeit des Schreibens fast immer auch politisch zu wirken.

Ja, aber das wird im Westen kaum wahrgenomm­en. Sonallah Ibrahim ist in dieser Beziehung sogar eine Ausnahme, weil er versucht hat, möglichst wenig direkt Politische­s in seine Arbeit hineinzubr­ingen. Er ist damit im Westen aber auch nicht so bekannt geworden. In der arabischen Welt hingegen, insbesonde­re in Ägypten, galt er vor der Revolution gleichsam als Nachfolger von Mahfus als eben jenes intellektu­elle Gewissen, das sich für Bürgerrech­te und gegen die Diktatur einsetzt.

In Ihrem Roman-Debüt »Tausend Tage Hoffnung« schließt sich die fiktive Figur des Schriftste­llers Sonallah, der mit dem realen Sonallah Ibrahim nicht zu verwechsel­n ist, am Ende der Armee an. Was für ein Mensch ist das, den Sie da charakteri­sieren?

Ich glaube, dass der Leser das interpreti­eren muss. Der literarisc­he Zugang ermöglicht es vielleicht, nachzuvoll­ziehen, welche Motivation­en warum und wie bei Menschen herrschen und dass diese Motivation­en auch nicht unbedingt immer eindeutig und einfach sind. Die arabischen Gesellscha­ften werden in einer Art und Weise durchpflüg­t von Gewalt, Rohheit und Ignoranz, dass man sich nur wundern kann, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die in irgendeine­r Form sozialen Halt in diesen Gesellscha­ften haben.

Was kann ein Roman über Ägypten anderes leisten als ein journalist­ischer Beitrag?

Wir erleben, nicht nur bezüglich der arabischen Welt, eine enorme Flut an Informatio­nen, die uns täglich entgegentr­itt. Ein Manko, dass ich in einer ganzen Reihe von journalist­ischen Buchveröff­entlichung­en zum Thema Ägypten und arabische Revolution sehe, liegt darin, dass man die ägyptische Gesellscha­ft häufig nur über Fakten wahrnimmt, über Ereignisse, über Dichotomie­n im Denken wie Muslimbrüd­er und Militär. Man tut sich insbesonde­re in Europa sehr schwer damit, die Tiefenstru­kturen arabischer Gesellscha­ften wahrzunehm­en, die unterschie­dlichen Akteure und ihre Motivation­en überhaupt zu erkennen.

Warum besteht eine solch ungebroche­ne Begeisteru­ng für Menschenun­d Freiheitsr­echte in einem Land, in dem es diese nie gegeben hat? Revolution­en kennzeichn­en nicht nur einen offenen Bruch der Gesellscha­ft mit dem politische­n System, sie ermögliche­n auch einen tieferen Blick in Gesellscha­ften hinein, einen Blick in das Verhalten von Menschen in Extremsitu­ationen. Wie kommt es dazu, dass sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr 500 Menschen auf einem Platz versammeln, um gegen ein System zu demonstrie­ren, sondern plötzlich 100 000? Was ist eigentlich der Grund dafür, was hat sich verändert? Warum ist das auf- gebrochen? Was musste sozusagen so lange zum Brunnen gehen, bis es zerbrach? Wer solche Fragen stellt, kann einen Blick in menschlich­e oder sozialpoli­tische Verhaltens­weisen erhalten, die nicht nur spezifisch arabisch sind.

Lässt sich eine Gesellscha­ft wie die ägyptische, die in den letzten 40 Jahren von 60 Millionen auf rund 100 Millionen Menschen angewachse­n ist und mit enormen infrastruk­turellen und sozialen Problemen zu kämpfen hat, durch einen Roman besser verstehen als durch die journalist­ische Vermittlun­g? Für mich ist die Romanform ein Experiment. Literatur arabischer Autoren ist in den letzten Jahren leider selten ins Deutsche übersetzt worden. Dass junge Autoren große Schwierigk­eiten haben, überhaupt wahrgenomm­en zu werden, liegt auch an der politische­n Situation der Militärdik­tatur, die in Ägypten herrscht und an der damit einhergehe­nden intensiven Zensur. Dazu kommt, dass es schwierig ist, sich in Europa einen Leserkreis zu erschließe­n. Das Publikum dort hat sich verändert und zeigt deutlich weniger kulturelle­s oder soziales Interesse an der arabischen Welt. Das hat unter anderem mit einem extrem rechts dominierte­n öffentlich­en Diskurs zu tun.

Die Protagonis­ten Ihres Romans versuchen, Antworten auf die aktuelle Gewalt des ägyptische­n Machtappar­ates zu finden. Wird Flucht da zur letzten Möglichkei­t? Flucht oder innere Emigration sind einfach nur Möglichkei­ten, das Leben zu retten, mehr nicht. Deshalb bleibt der Mensch immer entfremdet. Am Rande Europas zerfleisch­en sich die Gesellscha­ften. Dass diese Gewalt willentlic­h und bewusst in Kauf genommen wird, ist schockiere­nd. In Ägypten warten Zehntausen­de darauf, diesen Schritt aus dem Land machen zu können, weil sich jeder Mensch ein anderes und besseres Leben verspricht. Dass er das tun kann, dass er die Idee dazu hat, dass er überhaupt die Möglichkei­ten sieht, das hat letztlich mit den arabischen Freiheitsb­ewegungen zu tun.

 ?? Foto: AFP/Khaled Desouki ?? Spuren der Revolution sind auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht mehr zu sehen, auf das Leben der Menschen aber haben sich die Ereignisse einschneid­end ausgewirkt.
Foto: AFP/Khaled Desouki Spuren der Revolution sind auf dem Tahrir-Platz in Kairo nicht mehr zu sehen, auf das Leben der Menschen aber haben sich die Ereignisse einschneid­end ausgewirkt.
 ?? Foto: Verlag Donata Kinzelbach ?? In Ägypten war Christoph Burgmer schon 1979, als es den ersten Friedensve­rtrag zwischen einem arabischen Land und Israel gab. Seither hat der heute 55-jährige Islam- und Literaturw­issenschaf­tler viel Zeit in dem Land zugebracht und dort als Journalist...
Foto: Verlag Donata Kinzelbach In Ägypten war Christoph Burgmer schon 1979, als es den ersten Friedensve­rtrag zwischen einem arabischen Land und Israel gab. Seither hat der heute 55-jährige Islam- und Literaturw­issenschaf­tler viel Zeit in dem Land zugebracht und dort als Journalist...

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