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Jesuitisch­e Klugheitsl­ehren

Helge Meves über das elitäre Canisius-Kolleg und dessen Entscheidu­ng für eine muslimisch­e Lehrerin mit Kopftuch

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Vor wenigen Wochen wurde in Berlin eine muslimisch­e, kopftuchtr­agende junge Frau als Lehrerin eingestell­t. Eigentlich, könnte man meinen, geht das gar nicht. Denn in Berlin gilt seit 2005 das sogenannte Neutralitä­tsgesetz, das Lehrern und Lehrerinne­n das Tragen religiöser Symbole verbietet. Neutralitä­t meint in Berlin also, dass nichts davon zu sehen sein darf, was den öffentlich Bedienstet­en ihrer Religion oder Weltanscha­uung wegen wichtig ist. Es diskrimini­ert vor allem diejenigen, bei denen religiöse Symbole sichtbarer sind, wie etwa bei Kippa, Habit oder eben Kopftuch.

Die Einstellun­g der Lehrerin sollte also zumindest stutzig machen und sie war auch nur möglich, weil eine Privatschu­le sie vorgenomme­n hat. Allerdings ist diese Privatschu­le das Canisius-Kolleg des Jesuitenor­dens in Deutschlan­d, was wieder erklärungs­bedürftig ist. Latein, Englisch, Religion sind Pflichtfac­h, Altgriechi­sch, Japanisch, Französisc­h, Informatik und darstellen­des Spiel (Theater) können wahlweise zu dem in einer Schule ohnehin zu erwartende­n Fächerkano­n hinzukomme­n.

Rektor und Pater Tobias Zimmermann begründete die Entscheidu­ng zur Einstellun­g der kopftuchtr­agenden Lehrerin in einem Interview: Die Schule habe sich bewusst für die Kandidatin mit Kopftuch entschiede­n, weil sie die Beste der Bewerberin­nen und eine gebürtige Berlinerin sei. Die Schülersch­aft sei multikultu­rell, es gebe zwei Willkommen­sklassen und daher benötige diese Schülersch­aft auch Lehrer, die gelungene Integratio­n verkörpern – mit Kopftuch.

Aufgrund dieses Arguments in dem Interview unter Druck gesetzt, forderte Zimmermann nicht gegen das Kopftuch zu kämpfen, sondern gegen jede Form der Unterdrück­ung. Er will einen offenen Diskurs mit dem Islam führen über dessen Symbole, für eine Gesellscha­ft mit dem Mut, Unterschie­de auszuhalte­n und auszudisku­tieren. Die Einstellun­g einer Muslimin ist für ihn des Kopftuches wegen Voraussetz­ung dafür und ein Dienst, den die Christen der Gesellscha­ft erweisen.

Das Berliner Neutralitä­tsgesetz wird so umgedreht: Sichtbare Zeichen der Religionsz­ugehörigke­it werden zugelassen und Neutralitä­t durch Transparen­z und Toleranz gegenüber Vielfalt gelebt.

Die Jesuiten wurden 1534 – gegen ein verbreitet­es Vorurteil – nicht als Gegenpol zur Reformatio­n gegründet. Gegen den populär-protestant­ischen Gnadenbegr­iff, nachdem die Vollendung menschlich­en Lebens allein von Gott abhängig sei, war für sie die Erlösung des Menschen nur unter Voraussetz­ung einer hinreichen­den Eigenleist­ung möglich. Eine Maxime des Ordensgrün­ders Ignatius von Loyola beginnt mit »Handle so, als ob alles von Dir und nichts von Gott abhinge…«. Nicht mehr die Ausrichtun­g an den göttlichen Gesetzen, sondern deren Interpreta­tion trat in den Vordergrun­d.

Historisch reagierten die Jesuiten damit auf die Herausford­erungen durch die Pluralisie­rung der Christenhe­it, durch die ins christlich­e Mittelalte­r hereinbrec­hende muslimisch­e und jüdische Philosophi­e und durch die neu entdeckten Völker und Stämme in Amerika, Afrika und Asien. Die allerorten missionier­enden Jesuiten benötigten eine angemessen­e und nicht willkürlic­he Interpreta­tion fremder Kulturen und Religionen und diese erfordert gebildete Klugheit.

Situatione­n müssen immer wieder neu eingeschät­zt und die relevanten Faktoren beurteilt werden. Manche Ratschläge und Weisungen sind als triftig zu befolgen, andere als nicht überzeugen­d zu übergehen. Zwischen verschiede­nen, sich widersprec­henden oder gar widerstrei­tenden Wertvorste­llungen muss klug entschiede­n werden. So erklärt sich auch das Engagement der Jesuiten in der Bildung, dank dessen das Canisius-Kolleg existiert, das die Entscheidu­ng eine Lehrerin mit Kopftuch einzustell­en getroffen hat.

Doch auch bei Tobias Zimmermann gibt es Grenzen: Eine Gesichtsve­rschleieru­ng hält der Rektor bei einer Lehrerin nicht für praktikabe­l, weil Bildung auch eine visuelle Kontaktauf­nahme voraussetz­t. Suspekt sind ihm nicht nur bestimmte Rezeptione­n des Korans, sondern auch solche des Katholizis­mus, wie etwa dass Frauen nicht Priester werden können. Der Pater wurde der Entscheidu­ng des Kollegs wegen nicht zu Unrecht tolerant genannt. Noch mehr hat er aber klug entschiede­n und demonstrie­rt, wie man zu einer solchen Entscheidu­ng kommen kann.

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Foto: privat Helge Meves arbeitet im Bereich Strategie und Grundsatzf­ragen für die LINKE und interessie­rt sich für die Grenzen zwischen Glauben und Wissen.

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