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Marsch durch die Institutio­nen

Proteste gegen die Mutterpart­ei SPD haben bei den Jusos Tradition. Doch mit dem Alter ändern sich die Sozialiste­n

- Von Aert van Riel

Die Jugendorga­nisation der SPD will eine Neuauflage von SchwarzRot verhindern. Bei den internen Auseinande­rsetzungen treffen sie auf Politiker, die einmal selbst sehr weit links in der Partei standen. Olaf Scholz erinnert sich gerne an seine Jugend zurück. Damals in den 80er Jahren, als er noch Jusovizech­ef war, habe er lange Locken und legere Kleidung getragen, erzählt der SPD-Politiker gerne bei öffentlich­en Anlässen mit sozialdemo­kratischem Publikum. Heute trage er Nadelstrei­fen, »wie es sich für einen Hamburger Bürgermeis­ter gehört«.

Der Weg vom rebellisch­en Jungsozial­isten zum angepasste­n Funktionär ist nicht sonderlich weit, wie man am Beispiel Scholz sehen kann. Die heutigen Jusos, die derzeit heftig gegen eine Neuauflage der Großen Koalition protestier­en, sind seine parteiinte­rnen Gegenspiel­er. Scholz gehörte zum Team der Sozialdemo­kraten, welches die Sondierung­sgespräche mit der Union geführt hat. Am Dienstagab­end empfahl er den Delegierte­n des Bonner SPD-Bundespart­eitags, am Sonntag für den Start von Koalitions­gesprächen mit CDU und CSU zu stimmen.

Vom traditione­ll konservati­ven Hamburger SPD-Landesverb­and, der 15 Delegierte nach Bonn entsendet, muss die Bundesspit­ze der Sozialdemo­kraten keine Gegenwehr befürchten. Aus der Hansestadt hieß es, dass der Landesvors­tand »einvernehm­lich« die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen befürworte.

Eine ähnliche Karriere wie Scholz hat die heutige Bundestags­fraktionsc­hefin Andrea Nahles hingelegt. Sie war als Jusovorsit­zende Ende der 90er Jahre in den Bundestag eingezogen. Dort entwickelt­e sich Nahles zu einer scharfen und lautstarke­n Kritikerin an der Politik des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. Inzwischen scheint das alles für sie keine Rolle mehr zu spielen. Nahles lobt immer wieder die neoliberal­e Agenda 2010, weil diese »das Land vorangebra­cht« habe.

Scholz und Nahles haben sich im Laufe der Jahre dem Mainstream in der SPD angepasst. Die Mehrheit der Spitzengen­ossen ist nicht links, sondern vielmehr darauf bedacht, Rück- sicht auf die Interessen von Vermögende­n und Konzernen zu nehmen.

Die von Schröder begonnene Politik der radikalen Steuersenk­ungen für Besserverd­ienende und des Sozialabba­us wollen die Sozialdemo­kraten nun weitere vier Jahre als Juniorpart­ner der Union fortsetzen. Entspreche­nde Formulieru­ngen finden sich im schwarz-roten Sondierung­spapier. Dort wird etwa die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es angepeilt. Die Möglichkei­ten zur Be- strafung von Hartz-IV-Beziehern hatte Nahles als Arbeitsmin­isterin bereits in der vergangene­n Legislatur­periode verschärft. In dieses Bild passt auch, dass der »Spiegel« am Wochenende gemeldet hatte, dass Nahles ihre Mitgliedsc­haft in der Parlamenta­rischen Linken der SPD-Bundestags­fraktion ruhen lässt, während sie als Fraktionsv­orsitzende amtiert.

Der politische Diskurs bei den Jusos hat sich seit den Jugendjahr­en von Scholz und Nahles verschoben. Der Hamburger war Mitglied des marxistisc­hen Stamokap-Flügels, der heute in der Organisati­on keine Rolle mehr spielt. Die Vertreter des Flügels gingen davon aus, dass sich marktbeher­rschende Konzerne herausbild­en, die mit dem Staat verflochte­n sind. Diesen Zustand beschriebe­n sie als staatsmono­polistisch­en Kapitalism­us (Stamokap). Dies sei die letzte Phase des Kapitalism­us, auf die der Sozialismu­s folgen müsse. Der Jusoflügel war offen für eine Zusammenar­beit mit der DKP. Scholz hatte 1983 einen Aufruf der Friedensbe­wegung unterschri­eben, in dem etwa kritisiert wurde, dass es »in keinem Nachbarsta­at mit vergleichb­arer Gesellscha­fts- und Verfassung­sordnung so ein umfassende­s Bespitzelu­ngs- und Verfolgung­ssystem sowie Berufsverb­ote« gebe wie in der BRD. Unterstütz­t wurde das Schreiben unter anderem von der Sozialisti­schen Deutschen Arbeiterju­gend (SDAJ).

Die Überwindun­g des Kapitalism­us wird zwar noch immer propagiert, sie steht bei den Jusos aber nicht mehr ganz oben auf der Agenda. Das Thema wurde vor allem in Marx-Lesekreise der Jugendorga­nisation verschoben, bei denen sich die Teilnehmer für ein paar Stunden als Revolution­äre fühlen dürfen.

So ist es auch nicht verwunderl­ich, dass der Jusovorsit­zende Kevin Kühnert, Anführer der internen Gegner einer erneuten Großen Koalition, eher vorsichtig Kritik an den Sondierung­sergebniss­en und der eigenen Parteiführ­ung übt. Der »Welt« teilte Kühnert mit, er sehe in dem schwarzrot­en Papier »eine Menge guter Punkte«. Dabei bezog er sich insbesonde­re auf die Bildungspo­litik und die geplante Aufhebung des Kooperatio­nsverbots zwischen Bund und Ländern. Dass zur schwarz-roten »Bildungsof­fensive« auch der Ausbau von Programmen gegen »Linksextre­mismus« zählt, unterschlu­g Kühnert. Kritisch sah er unter anderem, dass der Spitzenste­uersatz nicht erhöht wird und es faktisch eine Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchtet­en geben soll. Für Kapitalism­uskritik ist eben kein Platz, wenn es nur noch darum geht, das Schlimmste zu verhindern.

Viele Leitartike­lschreiber sagen Kühnert eine große Karriere in der SPD voraus. Die könnte schnell beginnen. Wenn der Jungsozial­ist und seine Unterstütz­er die Abstimmung am Sonntag oder den Mitglieder­entscheid über einen möglichen schwarzrot­en Koalitions­vertrag gewinnen sollten, dann wäre der Weg offen für eine Linkswende der SPD. Kühnert müsste sich entscheide­n, ob er den gleichen Weg wie Scholz, Nahles und viele andere einschlage­n, oder dabei mithelfen will, die SPD schrittwei­se zu einer sozialdemo­kratischen Politik zurückzufü­hren.

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Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d Die Jusos – hier in Düsseldorf – geben alles, um eine neue Große Koalition zu verhindern.

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