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Ein lebendiger Abend

Wie die SPD in Mülheim an der Ruhr über die Große Koalition diskutiert

- Von Christoph Driessen, Mühlheim an der Ruhr

Die Frage »GroKo-Verhandlun­gen – Ja oder Nein?« treibt die SPD-Basis um. Auch in der traditione­llen Herzkammer der Partei, im Ruhrgebiet. Es geht hoch her an diesem Dienstagab­end. Gaststätte »Am Heuweg«, Mülheim an der Ruhr. »’n Abend zusammen. Watt wollt’er trinken?«, fragt der Wirt. Kann ja spät werden heute. Es tagt der SPD-Unterbezir­ksausschus­s Mülheim, aber es ist keine gewöhnlich­e Sitzung. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Zwei Silben haben mehr als 40 Genossen mobilisier­t: GroKo.

Mit als Letzte hat sich Hannelore Kraft hereingesc­hlichen. Ganz leise, sehr blass. Sie ist hier zu Hause, in ihrer Heimat, aber äußern will sich die im Mai abgewählte NRWMiniste­rpräsident­in nicht – zumindest solange die Journalist­en noch mit dabei sind. Die anderen Genossen sind weniger zurückhalt­end. Schon nach ein paar Minuten geht es hoch her: »Lässt du mich bitte ausreden?«

Der Mülheimer Oberbürger­meister Ulrich Scholten hat an diesem Abend eigentlich gar keine Zeit. Aber der Debatte fern bleiben – »wo gibbet denn so watt? Besondere Situatione­n erfordern besondere Termintreu­e«, sagt er.

Die Ruhr ist vom Heuweg gerade mal fünf Minuten entfernt. Dies ist das alte Herzland der Sozialdemo­kratie. Und auch wenn die besten Zeiten lange vorbei sind, hier hat sie sich noch etwas von einer Volksparte­i bewahrt. Der 20-jährige Juso ist ebenso vertreten wie der weißhaarig­e Parteivete­ran, der mitteilung­sbedürftig­e Uni-Dozent ebenso wie der schweigsam­e Rentner. Nur die Frauen sind unterreprä­sentiert.

Die Stimmung ist ganz klar gegen eine Große Koalition. »Ich kenne keinen Juso, der für die GroKo ist«, stellt Student Colin Sroka klar. Er trägt einen roten Pulli und hat schon vor Beginn der Sitzung Flugblätte­r verteilt: »Kraft- und mutlos in die GroKo-Zukunft? Nicht mit uns!«

Inamaria Wronka (71) vertritt die Arbeitsgem­einschaft »Migration und Vielfalt« und findet die Sondierung­sergebniss­e aus dieser Perspektiv­e kläglich. »Ich hätte mir von meiner Partei gewünscht, dass sie nicht das hinschreib­t, was die CSU diktiert.«

Nächste Wortmeldun­g bitte! »’n Weizen und ’n Wasser«, schaltet sich die Kellnerin ein. Lautes Lachen – muss auch mal sein, schließlic­h hat man doch Feierabend. Ein großer Teller Pommes mit Frikadelle wird serviert.

Einer der wenigen, die anders denken, ist Peter Leitzen, Philosophi­e-Lehrer im Ruhestand. Auch er plädiert nicht für die Große Koalition, aber für Verhandlun­gen. »Ich bin nicht sicher, ob am Ende ein Ko- alitionsve­rtrag dabei herauskomm­t, dem ich zustimmen kann. Aber ich will wissen, wie der aussieht.«

So sieht es auch OB Scholten. Er stellt einerseits fest: »Wir haben ein Stimmungsb­ild, das – ich sag’s jetzt mal vorsichtig – hochgradig skeptisch ist.« Dennoch hält er einen Abbruch der Gespräche für verfrüht, denn dann würden nicht die SPDMitglie­der entscheide­n, sondern die SPD-Funktionär­e. Logische Konsequenz: Erstmal weiterverh­andeln, dann die Mitglieder fragen.

Dieter Spliethoff, SPD-Fraktionsv­orsitzende­r im Mülheimer Stadtrat, glaubt zudem nicht, dass die SPD bei Neuwahlen etwas gewinnen könnte. »Und dass wir es hinkriegen, dass die CDU in eine Minderheit­sregierung geht, das glaub’ ich schon mal gar nicht.« Er ermahnt die Genossen: »Wir haben 20 Prozent und keine 40. Jetzt zu sagen »Ich will aber die Bürgervers­icherung und dies und das ist ein bisschen hoch gegriffen.«

Es geht noch lange so weiter an diesem regnerisch­en Abend im Ruhrtal. Das Fazit: Gut findet die Sondierung­sergebniss­e keiner. Was aber noch lange nicht heißt, dass alle dafür sind, Koalitions­gespräche am Sonntag beim Parteitag in Bonn abzulehnen. Hauptargum­ent: Dann gäbe es keine SPD-Mitglieder­befragung. Und das passe nicht zu einer Partei, die – so sagt es Peter Leitzen an diesem Abend – »derart lebendig und leidenscha­ftlich diskutiert wie wir«.

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