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Parlamenta­rischer Tiefschlaf beendet?

Bundestag will einen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Berliner Weihnachts­markt-Attentat beschließe­n

- Von René Heilig

Der Bundestag wird am Donnerstag­abend über einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­sses beraten. Er soll Hintergrün­de des »Weihnachts­markt-Attentats« in Berlin klären. Berlin, 19. Dezember 2016. Wie auch andere Weihnachts­märkte lockt der auf dem Berliner Breitschei­dplatz Tausende Besucher an. Man kauft Geschenke, trinkt Glühwein, isst Bratwürste oder Quarkbällc­hen. Dann passiert das noch immer Unfassbare: Ein Lkw rast in die Menschenme­nge. Elf Menschen sind tot, verletzt werden fast einhundert weitere. Ihr Mörder, er wird später als Anis Amri identifizi­ert, hatte zuvor den Lkw-Fahrer umgebracht. Amri entkommt, wird aber am 23. Dezember bei einer Polizeikon­trolle im italienisc­hen Sesto San Giovanni erschossen.

Nur langsam wich der Schock über den Wahnwitz der offenkundi­g islamistis­ch motivierte­n Tat. Doch im Laufe von Untersuchu­ngen trat erneut Erschrecke­ndes zutage. Mehrere Sicherheit­sbehörden hatten den Attentäter im Visier. Amri war als Drogenhänd­ler unterwegs, kam zeitweise in Haft, stand unter Beobachtun­g, die aber beendet wurde. Er sollte abgeschobe­n werden, was jedoch unterblieb. Dafür traf er sich mit Führungsle­uten der islamistis­chen Szene in Deutschlan­d. Der Name des Hasspredig­ers Abu Walaa tauchte auf. Er ist den Behörden als eine zentrale Figur des IS-Rekrutieru­ngsnetzwer­ks in Deutschlan­d bekannt. Auch Amri, der junge Mann aus Tunesien, fantasiert­e gegenüber Ver- trauten, zu denen ein V-Mann des Landeskrim­inalamtes NordrheinW­estfalen gehörte, wildeste Attentatsp­lanungen herbei. Es kam sogar der Verdacht auf, Amri selbst sei Vertrauens­mann der Behörden gewesen. Womöglich hatten ihn Geheimdien­ste an der langen Leine laufen lassen, damit er ihnen zu neuen Erkenntnis­sen verhilft. Kurz nach der Tat wurde bekannt, dass der marokkanis­che Geheimdien­st den Bundesnach­richtendie­nst bereits im Herbst 2016 gewarnt hatte, der 22Jährige stehe mit den Terroriste­n des Islamische­n Staates in Verbindung und sei bereit, Anschläge zu begehen. Doch: Zu gleicher Zeit wurde die Observieru­ng von Amri eingestell­t, weil laut Generalsta­atsanwalts­chaft Berlin keine Hinweise auf staatsschu­tzrelevant­e Taten vorlagen.

In NRW und in Berlin kümmern sich Landesparl­amente um den Fall. Sie boten Einblicke in geradezu kriminelle Leichtfert­igkeit von Polizeibeh­örden. Im Berliner Landeskrim­inalamt wurden sogar Ermittlung­sakten gefälscht. Wichtige Dokumente hält man noch immer von Landesparl­amentarier­n fern. Die Zentralen Geheim- und Sicherheit­sdienste des Landes duckten sich ab. Kein Wort vom Verfassung­sschutz, keine Aufklärung vom BND. Es scheint, als gäbe es plötzlich hochgelobt­e Gremien wie das Gemeinsame Terrorismu­s-Abwehrzent­rum (GTAZ), in dem alle zuständige­n Behörden permanent an einem Tisch sitzen, nicht mehr.

Fast sah es so aus, als könnte diese Taktik aufgehen. Doch nach über einem Jahr und nachdem sich viele Angehörige der Ermordeten sowie beim Anschlag Verletzte sehr kritisch zur Fürsorge der Bundesregi­erung geäußert haben, will nun der Bundestag seiner Verantwort­ung nachkommen. Es soll einen Untersuchu­ngsausschu­ss geben. Dazu legen CDU/CSU und SPD einen gemeinsame­n Antrag vor. FDP, LINKE und Bündnis 90/Die Grünen haben bereits eigene Beschlussv­orlagen eingereich­t. Neben der Untersuchu­ng von Fehlern, Versäumnis­sen und Vertuschun­gen in und durch Behörden geht es bei der Arbeit des Ausschusse­s auch um mögliche gesetzgebe­rischen Schlussfol­gerungen und Maß- nahmen, um die Zusammenar­beit der Zuständige­n auch über föderale Grenzen hinaus zu verbessern.

Die einzelnen Dokumente unterschei­den sich scheinbar nur in Nuancen – die jedoch in der Ausschussa­rbeit bedeutsam werden können. Gerade der sogenannte BND-NSAUntersu­chungsauss­chuss, durch den in der vergangene­n Legislatur­periode die unheilige Allianz deutscher, britischer und US-Dienste bei der massenhaft­en elektronis­chen Bespitzelu­ng von Bürgern und Institutio­nen aufgedeckt werden sollte, litt unter grundsätzl­ich verschiede­nen Zielstellu­ngen von Regierungs- und Opposition­sparteien. Zu keiner Zeit konnte die im Vorfeld oft beschworen­e Transparen­z erzeugt werden. Der »Gleichklan­g«, mit dem Union und SPD zu Werke gingen, könnte nun erneut drohen.

Probleme beginnen oft bei scheinbare­n Details. Nach einem Vorschlag der Freien Demokraten soll das Gremium aus 18 Bundestags­abgeordnet­en bestehen. Sechs könnte die Union entsenden, vier die SPD-Fraktion, je zwei kämen von AfD, FDP, der LINKEN und den Grünen. Die Linksfrakt­ion dagegen käme mit neun ordentlich­en Mitglieder­n aus: CDU/CSU würden drei stellen, die SPD zwei, alle anderen sollten mit einem untersuche­ndem Abgeordnet­en auskommen. Die Grünen haben sich offenbar über die Anzahl der Mitglieder noch keine Gedanken gemacht.

Am Donnerstag­abend sollen alle vier Anträge in einer 45-minütigen Aussprache behandelt und zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Wahlprüfun­g, Immunität und Geschäftso­rdnung überwiesen werden.

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Am Mittwoch kam der Bundestag zusammen und stimmte unter anderem über die Einsetzung der Fachaussch­üsse ab.

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