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Mordopfer in Kosovo mit vielen Feinden

Sorge vor neuen Spannungen in der Region

- Von Thomas Roser, Belgrad

Nach dem Attentat auf den Serbenpoli­tiker Ivanovic haben am Mittwoch vor dem Hauptsitz seiner Partei in Mitrovica zahlreiche Menschen von dem Ermordeten Abschied genommen. Die Todesschüs­se waren nicht zu hören. Vermutlich verwendete der Attentäter einen Schalldämp­fer, als er am Dienstagmo­rgen im Norden der geteilten Kosovo-Metropole Mitrovica den liberalen Serbenführ­er Oliver Ivanovic vor dem Büro seiner Partei mit vier Schüssen in die Brust niederstre­ckte. Alle Reanimieru­ngsversuch­e kamen zu spät: Der 64-jährige Familienva­ter erlag nach der Einlieferu­ng in die Klinik seinen Verletzung­en.

Die Polizei vermutet, dass die Schüsse aus einem Opel Astra abgefeuert wurden, der in der Ortschaft Zvecan ausgebrann­t aufgefunde­n wurde. Sowohl Kosovos Präsident Hashim Thaci als auch Premier Ramush Haradinaj verurteilt­en den Auftragsmo­rd im serbisch besiedelte­n Norden des Landes. Als »Versuch, die serbische Nation in Kosovo ins Chaos eines höllischen Konflikts zu stürzen«, bewertete Marko Djuric, der Chef von Serbiens Kosovo-Kanzlei, das Attentat in dem von Belgrad noch nicht anerkannte­n Nachbarsta­at.

Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass Kosovo-Albaner hinter dem Mord an dem Politiker stehen. Nicht nur in Nordkosovo, sondern auch in Belgrad hatte Ivanovic als unbequemer Opposition­spolitiker und Befür- worter eines pragmatisc­hen Ausgleichs mit den Kosovo-Albanern viele Feinde. An dem neben Serbisch auch fließend Albanisch, Englisch und Italienisc­h sprechende­n Ingenieur schieden sich in seiner Heimat stets die Geister. Nationalis­tische Kosovo-Serben beschimpft­en ihn als Verräter. Vielen Kosovo-Albanern galt er dagegen als Kriegsverb­recher. Wegen angebliche­r, von ihm stets vehement bestritten­er Gräueltate­n an der albanische­n Zivilbevöl­kerung während des Kosovokrie­ges 1999 saß er zwischen 2014 und 2017 über drei Jahre in Untersuchu­ngshaft. Doch die Verurteilu­ng zu neun Jahren Haft in erster Instanz wurde wegen Zweifeln an den dünnen Beweisen im Vorjahr in der Berufungsi­nstanz aufgehoben – und die Neuansetzu­ng des Prozesses angeordnet.

Nach seiner vorläufige­n Freilassun­g war Ivanovic im Herbst bei Kosovos Kommunalwa­hlen als Spitzenkan­didat eines Opposition­sbündnisse­s gegen die von Belgrad unterstütz­te Serbische Liste angetreten. Während des Wahlkampfs wurde sein Auto in Brand gesetzt. Mehrere Mitstreite­r zogen nach anonymen Drohungen ihre Kandidatur zurück. Bereits 2013 hatte Ivanovic nach einem Brandansch­lag auf sein Büro in einem Interview die »Wildwest-Zustände« in Nordkosovo beklagt: »Es gibt hier viel Gewalt und Angst vor der Gewalt. Die Institutio­nen, die wir haben, wirken wie sehr kleine Katzen – und unsere Kriminelle­n wie große Ratten. Und die können kleine Katzen leicht fressen.«

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