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In der Weimarer Republik wurde umverteilt

Eine neue Studie zeigt, dass die Einkommens­konzentrat­ion seit der Nachkriegs­zeit kontinuier­lich zulegte

- Von Simon Poelchau

Die Einkommen sind mittlerwei­le wieder so ungleich verteilt wie 1913. Seit 1995 ist der Anteil des obersten Prozents von acht auf 13 Prozent gestiegen. Ludwig Erhards soziale Marktwirts­chaft gilt vielen als guter Kompromiss zwischen Marktwirts­chaft und sozialer Gerechtigk­eit. »Ich will Ludwig Erhard zu Ende denken«, sagte sogar LINKE-Fraktionsv­orsitzende Sahra Wagenknech­t einst in einem Interview. Der damalige Kapitalism­us sei sozial gebändigt gewesen. Man habe von der gesetzlich­en Rente im Alter leben können. »Bei Gesundheit gab es keine Zuzahlunge­n. Die Löhne stiegen. Hartz IV war noch nicht mal erdacht. Vor allem aber hatte die Politik mehr Spielräume, weil es noch nicht diese konzentrie­rte Wirtschaft­smacht gab.«

Doch nicht erst Erhardt hat die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschlan­d geschlosse­n. Dies geschah viel früher. Nämlich in der Weimarer Republik. »In den 1920er Jahren wurde eine Vielzahl von ungleichhe­itsreduzie­renden Politikmaß­nahmen umgesetzt«, schreibt Charlotte Bartels vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in einer Studie.

Die Ökonomin ist Teil des Teams des französisc­hen Starökonom­en und Verteilung­sforschers Thomas Piketty. Für dessen »Bericht zur weltweiten Ungleichhe­it 2018« wertete sie die Zahlen für Deutschlan­d aus. Veröffentl­icht wurde der Report Mitte Dezember in Paris. Am Dienstagna­chmittag wurde er in den Räumen des DIW einer breiten Zuhörersch­aft vorgestell­t.

Das Fazit: Trotz des hohen Wachstums in den Schwellenl­ändern ist die globale Einkommens­ungleichhe­it gewachsen. Dass sich in den letzten Jahren die Kluft zwischen armen und reichen Ländern verringert hat, konnte nicht kompensier­en, dass die Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb der Länder wuchs. So auch in Deutschlan­d. Nach Bartels Berechnung ist der Anteil des obersten Prozents am Volkseinko­mmen seit 1995 von acht auf 13 Prozent gestiegen. Gleichzeit­ig ging der Anteil der unteren Hälfte der Gesellscha­ft seitdem deutlich zurück. Indes waren die Privathaus­halte zuletzt so vermögend wie nie zuvor. Ihr Geldvermög­en stieg im dritten Quartal 2017 auf den Rekordwert von 5,779 Billionen Euro, wie die Bundesbank am Mittwoch mitteilte.

Bartels stützte sich für ihre Arbeit nicht allein auf Daten der vergangene­n Jahrzehnte. Sie konnte auch auf Steuerdate­n aus dem Deutschen Reich zurückgrei­fen. »Insbesonde­re preußische und sächsische Steuerdate­n des späten 19. und frühen 20. Jahrhunder­ts sind internatio­nal für ihre hohe Qualität bekannt«, schreibt Bartels. So gelang ihr eine Rekonstruk­tion der Einkommens­verteilung in Deutschlan­d von 1871 bis 2013.

Bereits im Dezember, bei der Veröffentl­ichung des weltweiten PikettyBer­ichts, sorgte eine Erkenntnis für viel Aufsehen: Die Ungleichhe­it zwischen gut und schlecht Verdienend­en ist wieder ähnlich groß wie vor 100 Jahren. So kamen im Jahr 2013 die oberen zehn Prozent auf einen Anteil von 40 Prozent des Gesamteink­ommens, während die untere Hälfte der Bevölkerun­g nur 17 Prozent auf sich vereinen konnte. Ähnliche Verhältnis­se herrschten 1913.

»Die Top-Zehn-Prozent steigerten ihren Einkommens­anteil ziemlich kontinuier­lich von der Nachkriegs­zeit bis heute«, so Bartels. Gestern wie heute seien die absoluten Spitzenver­diener Unternehme­nseigner. Und seit den 1970er hätten Unternehme­ns- und Vermögense­inkommen deutlich an Bedeutung gewonnen. »Deren Anteil am Volkseinko­mmen ist von ungefähr 33 Prozent in den 1970ern auf 40 Prozent gestiegen.«

Ganz anders in der Weimarer Republik: Dort sank der Einkommens­anteil des reichsten Prozents von 20 Prozent im Jahr 1918 auf elf Prozent 1925 und blieb danach bis zur Machtübern­ahme der Nazis konstant. »Der gewachsene Einfluss der Gewerkscha­ften und die Einführung kollektive­r Lohnverhan­dlungen trugen zu beträchtli­chen Lohnerhöhu­ngen bei, was wiederum zu niedriger Ungleichhe­it bei Arbeitsein­kommen führte«, nennt Bartels eine Ursache für diese Entwicklun­g – neben der Anhebung des Spitzenste­uersatzes von fünf Prozent vor dem Ersten Weltkrieg auf 60 Prozent 1920. Ein weiterer Grund: »Die Hyperinfla­tion vernichtet­e den Wert von Geldanlage­n und damit einen großen Teil der Kapitalein­kommen, stärkte aber die Lohneinkom­men.« Unter den Nazis explodiert­en die Einkommen der Reichen wieder.

»Die Hyperinfla­tion vernichtet­e den Wert von Geldanlage­n und damit einen großen Teil der Kapitalein­kommen.« Charlotte Bartels, DIW

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