nd.DerTag

Teufel wider Willen

Tristan Garcia über einen seltsamen Charakter

- Von Fokke Joel

Er war eine Lichtgesta­lt ihrer Kindheit und Jugend: Faber. Vor 15 Jahren hat Madeleine ihn aus den Augen verloren. Um ihn zu treffen, fährt sie ins Tal von Aulac. Erst findet sie den Weg nicht. Es scheint, als ob ihr Unbewusste­s sie von der Begegnung abhalten will ...

Zunächst aber geht es in dem Roman des französisc­hen Schriftste­llers und Philosophe­n Tristan Garcia um Fabers Kindheit. Als Achtjährig­er taucht er an Basiles und Madeleines Schule in der Provinzsta­dt Mornay auf. Nachdem seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, zieht er zu Pflegeelte­rn in die Stadt. Bereits am ersten Tag in der Schule wird Basile sein Anhänger. Faber gelingt es, den schüchtern­en Jungen aus den Fängen eines sadistisch­en Klassenkam­eraden zu befreien. Kurz darauf ist er die unumstritt­ene Autorität auf dem Schulhof. Zusammen mit Madeleine, Basiles Freundin, bildet sich ein unzertrenn­liches Trio. Als Faber dann signalisie­rt, dass er bei seiner Pflegefami­lie bleiben will, macht er das nicht aus Zuneigung. Das zumindest meint Basile. Er wollte bleiben, »weil er uns gefunden hatte, Madeleine und mich, und weil er zum ersten Mal Angst hatte, etwas zu verlieren«.

Der Junge beeindruck­t alle, liest viel, kennt die neuesten MusikTrend­s. Die Schule fällt ihm leicht. Er weiß mit Erwachsene­n umzugehen, die ihn ebenso lieben, aber alle seine Beziehunge­n beruhen auf der Bewunderun­g der anderen und nicht auf ebenbürtig­er Freundscha­ft. Immer wieder tritt auch seine dunkle Seite zum Vorschein. Kaltblütig zerstört er das Leben eines unbeliebte­n, psy- chisch labilen Mathelehre­rs. Als mitreißend­er Anführer organisier­t er die Besetzung des Gymnasiums im Rahmen von Protesten gegen Reformplän­e der französisc­hen Regierung. Nach dem Scheitern der Revolte wird er der Schule verwiesen und verschwind­et aus Mornay.

Als Madeleine ihn schließlic­h im Tal von Aulac findet, ist er völlig herunterge­kommen. Der brillante Geist, der alle fasziniert­e und von dem alle annahmen, er brächte es einmal zu einem großen Künstler oder Politiker, lebt in einer baufällige­n Hütte. Seine Haut ist mit Ekzemen übersät, und er stinkt. Trotzdem spürt Madeleine die einstige Anziehung. Sie packt ihn in ihr kleines Auto und fährt zurück nach Mornay, wo die Katastroph­e ihren Lauf nimmt ...

Tristan Garcia erzählt geschickt sowohl aus der Perspektiv­e von Faber selbst als auch von Basile, Madeleine und am Ende von einem Tristan, der das von Basile verfasste Romanmanus­kript beendet. Das Verstörend­e ist die ungeheure Ambivalenz, die sich in der Figur Fabers ausdrückt. Intellektu­eller Kopf und charismati­scher Anführer, Verräter und Zerstörer, der sich dessen bewusst ist und darunter leidet. Manche meinen, sagt Tristan am Schluss, »Faber sei ein Teufel wider Willen, eine vollkommen negative Macht, aber in menschlich­er Gestalt. Und wie alles, was sich verkörpert, ist der Teufel auch ein Individuum. Mit Fabers Zügen ausgestatt­et, haben einige von uns, die Sensibelst­en, Mitleid mit ihm bekommen und ihn geliebt.«

Tristan Garcia: Faber. Der Zerstörer. Aus dem Französisc­hen von Birgit Leib. Wagenbach, 432 S., geb., 24 €.

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