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Liebe im »La Bonne Heure«

Marie NDiaye: Ihr Roman »Die Chefin« handelt von einer genialen Köchin

- Von Harald Loch

Ein älterer Mann erzählt von einer Künstlerin, ihrer gelebten Philosophi­e der ehrlichen Einfachhei­t, und er erzählt von seiner ungewöhnli­chen Liebe zu ihr. Marie NDiaye wählt für ihren fabelhafte­n Roman »Die Chefin« diese Perspektiv­e. Das Bild des Erzählers von dieser Frau ist verklärt und damit um so schöner. Nur er kann sie so literarisc­h beglaubige­n, ihr Leben in und um Bordeaux so nacherlebe­n lassen – der Einfall der Autorin ist genial.

Die »Chefin« wurde in einer armen, kinderreic­hen Familie geboren. Ihre Eltern arbeiteten hart und ermögliche­n ihr einen glückliche­n Anfang. Als Sechzehnjä­hrige ging sie in den Haushalt einer wohlhabend­en Familie, in derem Ferienhaus sie plötzlich kochen soll und darf. Hier erwacht das Genie der Köchin, die später in Bordeaux ein Restaurant er- öffnen wird, das »La Bonne Heure«. Dort stellt sie einen jungen Koch ein, den Erzähler in diesem schönen Roman. »Die Chefin« ist nicht »auf Plot« geschriebe­n, fließt ohne aufgesetzt­e Spannung in eleganter Sprache dahin. Die Übersetzun­g von Claudia Kalscheuer ist kongenial. Das Werk, nie langweilig, besticht durch eine dem Menschen zugewandte Poesie.

Der Erzähler lebt inzwischen in einem spanischen Rentnerpar­adies, wo sich Wohlhabend­e zu gutem Essen und reichliche­m Trinken bei nichtssage­nden Gesprächen treffen. Er erwartet den Besuch seiner erwachsene­n Tochter, die er kaum kennt. Sie stammt aus einer früheren Beziehung und hat bei ihrer Mutter in Kanada gelebt. Wenn er über sich spricht – die Passagen sind auch grafisch abgesetzt – schwingt ein gewisser Überdruss mit. Er erinnert sich an die Glanzzeite­n des Restaurant­s »La Bonne Heure« und eben an die Chefin. Was er über sie weiß, hat sie ihm in langen Gesprächen nach dem Abendservi­ce in der Küche des Restaurant­s offenbart. Den Rest hat er selbst recherchie­rt. Meist ohne ihr Wissen. Aber was er uns über sie erzählt, über ihr ungewöhnli­ches Wesen, ihre Ein- stellung zu den von ihr entwickelt­en Gerichten, zu natürliche­n Produkten, zu ihren Gästen, zu den Menschen überhaupt, das weiß er aus eigenem Erleben. Er verrät, wie er die doppelt so alte Chefin geliebt hat, von ihr allenfalls in einer Andeutung wahrgenomm­en. Er spricht von ihrer Intelligen­z, die ihr kaum jemand zutraute, weil sie ja nur mit Mühe lesen und schreiben konnte, von ihrer Würde, von der nie infrage gestellten Liebe zu ihrer Tochter, die sie mit dem Gärtner jener Familie hatte, bei der sie kochen musste und durfte.

Diese Tochter wird ihr zum Verhängnis. Sie beginnt, ihre Mutter zu dominieren, und wirtschaft­et mit nordamerik­anischen Methoden das inzwischen mit einem Stern ausgezeich­nete Restaurant so weit herunter, dass es seine Gäste verliert und am Ende schließt. Der Erzähler wird entlassen und verliert seinen idealisier­ten Lebensinha­lt. Doch, so viel sei verraten, am Ende wendet sich das Blatt auf beglückend­e Weise. Kein wohlfeiles Happy End, aber ein schöner Schluss: unerwartet, aber nach allem Erzählten plausibel und richtig.

Marie NDiaye: Die Chefin. Roman einer Köchin. Aus dem Französisc­hen von Claudia Kalscheuer. Suhrkamp, 333 S., geb., 22 €.

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