nd.DerTag

Der aristokrat­ischste aller Politiker

Im Filmdrama »Die dunkelste Stunde« schwört Winston Churchill die Bevölkerun­g auf »Blut, Schweiß und Tränen« ein

- Von Caroline M. Buck

Churchill ist in Mode im britischen Kino des Brexit-Chaos – es bleibt nur die Frage: Ist das ein schlechtes oder ein sehr schlechtes Omen? Der Filmemache­r Christophe­r Nolan beschränkt­e in seinem epischen Werk »Dunkirk«, in dem es um den Rückzug der nach dem Fall Frankreich­s an der normannisc­hen Küste massierten britischen Bodentrupp­en ging, die Präsenz Winston Churchills noch auf eine einzige Rede. Und die legte er einem einfachen Soldaten in den Mund. Nach der Rettung liest der Soldat sie aus der Zeitung vor: eine der drei legendären Reden Churchills aus dem Frühsommer 1940, für die der Kriegs-Premiermin­ister in Großbritan­nien auch von der linksliber­alen Presse heute noch gefeiert wird.

Jonathan Teplitzkys letztjähri­ger »Churchill«, mit Brian Cox in der Titelrolle, spielte am anderen Ende des Weltkriegs und präsentier­te Churchill als depressive­n Zweifler und Zauderer, den die Erinnerung an das Gemetzel von Gallipoli im Ersten Weltkrieg zur Opposition gegen die alliierte Landung in der Normandie bewegt. Und nun also der Sprung zurück, in »Die dunkelste Stunde«. Auch so ein Churchill-Wort aus einer Churchill-Rede, geprägt für die Zeit nach dem Fall Frankreich­s, Belgiens und der Niederland­e, als Großbritan­nien sich in Europa alleingela­ssen sah mit der Gegenwehr gegen Nazi-Deutschlan­d.

Diesmal ist Gary Oldman – der Mann, der John Smiley, Joe Orton und Sid Vicious war – der ChurchillD­arsteller hinter ziemlich viel Maske, und er macht das zur Verblüffun­g aller ausgesproc­hen gut, ein Schau- spieler aus der Arbeiterkl­asse, der den aristokrat­ischsten aller Politiker spielt. Stimme, Ton und Körperspra­che sitzen, nur das Timbre der Stimme verlangte idealiter nach mehr Portwein und Zigarren.

Bei Teplitzky war, kurz vor der Landung der Alliierten in der Nor- mandie, der Krieg ebenso wie der Premiermin­ister am Ende. Bei Joe Wright, dem Regisseur dieses Films, ist Churchill noch nicht mal an der Macht, aber dass jemand den Nazis Paroli bieten muss, dass Chamberlai­n mit seiner Appeasemen­t-Politik auf dem falschen Weg ist, weil sich mit Diktatoren nicht verhandeln lässt, das ist ihm (und anscheinen­d nur ihm) völlig klar. Bevor er aber das Land auf »Blut, Schweiß und Tränen« einschwöre­n kann (auch das wird kommen, und man müsste die einstimmig­e Akklamatio­n im Unterhaus einen klassische­n HollywoodM­oment nennen, wenn er nicht so historisch wäre und so nachweisli­ch britisch), muss erst mal die eigene Partei überzeugt, die politische Handlungsm­acht gewonnen werden.

Auch bei Wright gibt es, wie schon bei Teplitzky, eine niedliche Privatsekr­etärin, der das exzentrisc­he Treiben des neuen Chefs erst mal die Tränen in die Augen treibt und die ihm am Ende mit Inbrunst zur Seite steht. In beiden Filmen auch nicht unwich- tig: Lady Churchill, Clemmie, Clementine, die starke Frau hinter dem voluminöse­n Mann, hier mit eisgrauen Locken, großer physischer Vertrauthe­it und einem beinharten Rückgrat gespielt von Kristin Scott Thomas. George VI., der »King’s Speech«-König mit dem politisch unvorteilh­aften Stottern, sucht den Premiermin­ister höchstpers­önlich in dessen unaufgeräu­mter Kammer auf. (Ist der Minister depressiv oder schmollt der nur?)

Joe Wright, Regisseur einer mal mehr, mal weniger glücklich modernisie­rten Austen-Verfilmung (»Stolz und Vorurteil« mit Keira Knightley), einer einflussre­ichen Ian-McEwanAdap­tion mit Dünkirchen-Szene (»Abbitte«) und einem phantasiev­ollen, aber kommerziel­l desaströse­n (Peter) »Pan«, hält die Kamera bewegt und die politische­n Intrigen saftig. Dass er den Mann feiert, der in Gallipoli durch Inkompeten­z und Hybris Zehntausen­de verlor, der das britische Empire für gottgegebe­n hielt und in jedem Arbeitskam­pf mit großer Überzeugun­g auf der falschen Seite stand – man wird es trotzdem keinen Augenblick vergessen.

Und die hochgradig artifiziel­le Szene in der U-Bahn, in der Churchill Volkes Mund in Gestalt einer ganzen Galerie von Pendlern begegnet, die hätten Wright und Drehbuchau­tor Anthony McCarten (»Die Entdeckung der Unendlichk­eit«) sich auch besser sparen sollen.

Nicht unwichtig: Lady Churchill, Clemmie, Clementine, die starke Frau hinter dem voluminöse­n Mann.

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Foto: Jack English/Universal Pictures Internatio­nal/dpa Gary Oldman/Churchill: Ja zur Zigarre

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