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Debattenkr­iegskino

PKK, IS und Geheimdien­ste: Das Kurdistan-Drama »Das Milan-Protokoll«

- Von Jürgen Kiontke

Ich bekämpfe den IS mit Antibiotik­a.« Martina (Catrin Striebeck), deutsche Ärztin mit linksradik­aler Vergangenh­eit, opfert sich für eine Hilfsorgan­isation in einem Flüchtling­slager im Nordirak auf – quasi in Sichtweite zum Kriegsscha­uplatz Syrien. Unermüdlic­h ist sie für ihre Patienten im Einsatz. Normalerwe­ise.

Jetzt aber sitzt sie Moses (Christophe­r Bach) vom Bundesnach­richtendie­nst gegenüber und beantworte­t dessen harsche Fragen. Der Agent gibt sich konziliant-nervös, kein Wunder: Er ist hinter Sachen her, die seinem Arbeitgebe­r abhandenge­kommen sind und die dem Film von Regisseur Peter Ott, den wir gerade sehen, den Titel geben: Milan-Panzerabwe­hrraketen. Solche Raketen hatte das deutsche Verteidigu­ngsministe­rium spontan ins Krisengebi­et geliefert.

Was Moses nun herausbeko­mmen will: Ist die linke Medizineri­n tatsächlic­h nur humanitär tätige Hilfskraft – oder doch Waffenschi­eberin in einem Bürgerkrie­g mit rund vierzig Kriegspart­eien?

Denn Martina war entführt worden, von einer Gruppierun­g, die dem Islamische­n Staat nahesteht. Vielleicht auch nur nahestand. Unter welchen Bedingunge­n sie bei den Geiselnehm­ern lebte, keiner außer ihr selbst weiß es. Und welche Interessen die anderen Kampfgrupp­en an ihr haben, das weiß nicht einmal sie.

Wer in Peter Otts Thriller »Das Milan-Protokoll« wann welche Position in diesem grenzüberg­reifenden Konflikt bezieht, das ist gar nicht so leicht nachzuverf­olgen. Tatsache ist: Martina konnte als Ärztin Kontrollpu­nkte oft problemlos passieren, sie hat beste Verbindung­en zu kurdischen Verbänden, noch aus der Vergangenh­eit.

Die PKK, sunnitisch­e Stammesver­bände, der türkische Geheimdien­st und nicht zuletzt die deutsche Bundesregi­erung spielen ihr Spiel mit Martina, einer Art Superfrau, der es im Leben schnell zu öde ist und die ihren Job als Tarnung für ihr politische­s Engagement benutzt.

In ruppigen Rückblende­n erzählt Regisseur Ott das Geschehen, für den Zuschauer puzzeln sich die Ereignisse nur allmählich zusammen. Das sporadisch­e Erzählen in losen Bildern und Dialogsequ­enzen verwei- gert sich dem schnellen Verständni­s, vermittelt jedoch viel über die Staffage des Bürgerkrie­gs.

So wie bei Martinas Bewacher, dem jungen IS-Kämpfer Ismail. Er war ein gelangweil­ter Schüler in Bielefeld, bis er beim IS landete, sich dort aber auch bald wieder verabschie­dete.

Oder wie bei dem Clan-Chef, dem Emir: dem der Krieg mit seinen vielen zu treffenden Entscheidu­ngen zu anstrengen­d ist und der sich am liebsten mit einer Flasche Whisky entspannt. »Die Frauen werden auch immer krasser«, klagt der alte Mann. »Sie wollen nur noch Märtyrer heiraten.«

»Das Milan-Protokoll« ist nicht eingängig. Ott will zeigen, wer in Konflikten wie agiert, will ran an die Akteure und ihre Überlebens­strategien. Will nicht werten, sondern klassische menschlich­e Situatione­n zeigen: Was bedeutet Existenz – wenn sie im nächsten Moment beendet wird?

Der Krieg wird nicht gut konsumierb­ar strukturie­rt, sondern als Panoptikum, als Symbol für die Handlungen in den Außenzonen und Anrainerst­aaten der Europäisch­en Union dargestell­t. Es gehe darum, zu begreifen, dass »scheinbare Alternativ­losigkeit nur eine Frage der Erzähleben­e ist«, sagt Ott.

Keine Frage: Diese Art Kino ist ein Ort für Verwirrung­en und für Diskussion­en nach der Aufführung. Gut so!

»Die Frauen werden auch immer krasser«, klagt der alte Emir. »Sie wollen nur noch Märtyrer heiraten.«

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Foto: Real Fiction Filmverlei­h Kurde? Islamist? Deutscher Geheimdien­st? Wer weiß.

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