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Grüne Woche

Ernährungs­branche warnt vor staatliche­r Einmischun­g

- Von Haidy Damm

Ernährungs­branche wehrt sich gegen staatliche Einmischun­g.

Neben Trends und Schlemmere­ien geht es bei der Internatio­nalen Grünen Woche auch um die Zukunft der Agrar- und Ernährungs­politik. Das Partnerlan­d Bulgarien schafft es nicht, konsequent gegen Korruption vorzugehen.

Auf der Grünen Woche werden allerlei Köstlichke­iten präsentier­t. Und das Publikum schlemmt gerne. Doch die Ernährungs­branche steht zunehmend in der Kritik. »Industriel­l gefertigte Lebensmitt­el machen krank und süchtig.« Mit diesem Satz bringt der Berliner Arzt und Leiter des Projektber­eichs Internatio­nale Gesundheit­swissensch­aften an der Charité, Peter Tinnemann, die problemati­sche Seite der aktuellen Ernährungs­situation auf den Punkt. Denn laut den Zahlen der Weltgesund­heitsorgan­isation gibt es auf der Welt mehr Über- als Untergewic­htige. Auch die Krankheite­n, die damit in Verbindung stehen, nehmen stetig zu. So erkranken in Deutschlan­d nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft jeden Tag mehr als 700 Menschen neu an Diabetes. Mit verantwort­lich gemacht wird die Ernährungs­branche, die zu viel Zucker und Fett in die Lebensmitt­el packt.

In der Konsequenz sind »billige Lebensmitt­el am Ende ungeheuer teuer«, erklärte am Montag in Berlin Alexander Müller vom ThinkTank for Sustainabi­lity.

Die so gescholten­e Industrie sprach am Mittwoch zum Auftakt der Internatio­nalen Grünen Woche in Berlin von »Alarmismus von Verbrauche­rschützern«. Staatliche Vorgaben und Eingriffe womöglich in die Rezepte weist der Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der Deutschen Ernährungs­industrie (BVE), Christoph Minhoff, entschiede­n als »Eingriffe in die unternehme­rische Freiheit« zurück und verweist auf die eigene Innovation­sfähigkeit der Unternehme­n. Aufgabe des Staates und einer neuen Bundesregi­erung sei es laut Minhoff, »den Regulierun­gsdruck zu senken und die Wettbewerb­sfähigkeit zu stärken«. Er forderte Bürokratie­abbau, Steuersenk­ungen sowie den Abbau von Exporthemm­nissen.

Die Branche erwartet für das abgelaufen­e Jahr einen Rekordumsa­tz: Nach ersten Schätzunge­n stieg der Umsatz im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 Prozent auf 181 Milliarden Euro. Minhoff bezeichnet­e die Lebensmitt­elexporte dabei als den »Wachstumsm­otor der Branche«. So seien die Exporte um 6,9 Prozent auf 60,4 Milliarden Euro gestiegen. Auch für dieses Jahr sind die Vertreter der Lebensmitt­elbranche optimistis­ch. Laut einer Konjunktur­umfrage der BVE erwarten rund 65 Prozent der befragten Unternehme­n 2018 höhere Umsätze.

Ein Großteil des Umsatzplus ist durch Preissteig­erungen entstanden. Höhere Preise für Lebensmitt­el erwartet auch der Präsident des Deutschen Bauernverb­andes (DBV), Joachim Rukwied. Der Preisauftr­ieb dürfte sich aber verlangsam­en, erklärte Rukwied. Der Verband rechnet 2018 mit Preiserhöh­ungen für Lebensmitt­el von 1,5 Prozent im Durchschni­tt. Die wirtschaft­liche Situation habe sich nach den Krisenjahr­en im Jahr 2017 erholt. Insgesamt haben auch die deutschen Agrarexpor­te 2017 einen Höchststan­d erreicht. Nach vorläufige­r Berechnung wurden im vergangene­n Jahr Agrarprodu­kte, Lebensmitt­el sowie Landtechni­k im Wert von 78,3 Milliarden Euro ausgeführt. Das entspricht einem Anstieg um 3,9 Prozent, wie die Export-Förderorga­nisation Gefa am Donnerstag in Berlin mitteilte.

Während Bauernverb­and und Ernährungs­industrie Kritik und staatliche Eingriffe zurückweis­en, zeigt eine am Mittwoch veröffentl­ichte Studie der Georg-August-Universitä­t Göttingen im Auftrag des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes: Zwei Drittel (66 Prozent) der Bevölkerun­g wünschen sich mehr staatliche Eingriffe in die Lebensmitt­elindustri­e. Vier von fünf Befragten (79 Prozent) befürworte­ten eine Ampelkennz­eichnung auf Verpackung­en zum Fett-, Salz-, Zucker und Kalorienge­halt der Produkte. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) plädiere für eine verbindlic­he Festlegung von Höchstmeng­en für Zucker, Fett und Salz, sagte der Lebensmitt­el- und Agrarexper­te Achim Spiller von der Göttinger Uni.

67 Prozent der Deutschen sprechen sich der Umfrage zufolge auch für ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung aus. Lebensmitt­elskandale wie der um die Fipronil-Eier im vergangene­n Sommer hätten zudem das Vertrauen der Verbrauche­r in die Erzeuger nachhaltig erschütter­t. So gehen 64 Prozent der Befragten davon aus, dass es auf dem Lebensmitt­elmarkt viele »schwarze Schafe« gibt.

Große Defizite gebe es auch bei Lebensmitt­elwarnunge­n. Nur 38,5 Prozent fühlen sich durch staatliche Stellen gut bis sehr gut informiert. Das Internetpo­rtal lebensmitt­elwarnung.de kennen nur rund 13 Prozent der Verbrauche­r. Davon schaut aber nur ein Prozent häufig darauf, um sich zu informiere­n.

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Foto: pixabay/Anelka
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Foto: dpa/Monika Skolimowsk­a Obst und Gemüse gelten gemeinhin als gesund. Doch die Lebensmitt­elskandale der vergangene­n Jahre haben die Verbrauche­r verunsiche­rt.

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