nd.DerTag

Kämpferisc­he Gewerkscha­ft

IG-Metall-Linke fordert Verbesseru­ngen nicht nur für einen Teil der Beschäftig­ten

- Mehr kämpfen für weniger Stress

Die linke IG-Metallerin Christa Hourani will weniger Arbeit für alle.

Die Resonanz auf die Arbeitszei­tforderung­en der IG Metall ist sehr gut. Offenkundi­g hat sie den Nerv der Zeit getroffen. Stimmt auch die Gewerkscha­ftslinke zu?

Das Thema Arbeitszei­tverkürzun­g ist wieder in aller Munde. Und das ist gut so. Denn es war zwei Jahrzehnte fast komplett außen vor, was zu Arbeitszei­tverlänger­ung führte. Heute liegt die reale Arbeitszei­t rund fünf Stunden über dem Tarifnivea­u. Womit wir bei der Kritik wären: Die Forderung nach »verkürzter Vollzeit« betrifft nicht alle Beschäftig­ten. Die IG Metall stellt mobiles Arbeiten, lebensphas­enorientie­rte Arbeitszei­ten sowie weniger Arbeit für Schichtarb­eiter in den Mittelpunk­t, aber keine kollektive Arbeitszei­tverkürzun­g für alle.

Na und?

Das führt zu Zersplitte­rung, weil Beschäftig­tengruppen unterschie­dlich von den Zielen profitiere­n. Eine allgemeine Mobilisier­ung ist damit schwierige­r.

Die Beteiligun­g an den Warnstreik­s ist doch super.

Im Moment bin ich auch sehr zufrieden. Die Beteiligun­g ist besser als in anderen Jahren. Allerdings ist sie immer dann höher, wenn wir außer der Lohnforder­ung noch eine qualitativ­e Forderung erheben wie etwa Übernahme der Auszubilde­nden oder Altersteil­zeit. Es gibt aber auch noch einen inhaltlich­en Einwand: Die, die keine Kinder haben, nicht in Schicht arbeiten oder Angehörige pflegen, müssen ihre Arbeitszei­tverkürzun­g komplett selbst bezahlen. Genau wie bisher. So revolution­är ist die Forderung also gar nicht. Und ansonsten gibt es nur einen Teillohnau­sgleich, falls er durchgeset­zt wird. Die Arbeitgebe­rverbände laufen ja genau dagegen Sturm.

Immerhin sollen die, die reduzieren, ein Rückkehrre­cht in Vollzeit bekommen. Das wäre doch neu. Das ist wichtig. Damit nicht weiter gilt: einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Daher muss auch festgehalt­en werden, dass die derzeitige­n Teilzeitkr­äfte, die mehr arbeiten wollen, bevorzugt berücksich­tigt werden, wenn sie aufstocken wollen und es um den nötigen Personalau­sgleich geht. Am Personalau­sgleich hängt der Erfolg des Modells ganz entscheide­nd, denn es darf nicht passieren, dass verkürzte Arbeitszei­ten zu mehr Stress führen und die Gesundheit darunter leidet.

Das sieht die IG-Metall-Spitze genauso. Abwarten. Man darf die Ausgestalt­ung dann nicht nur an die betrieblic­he Ebene delegieren, sondern muss diesen Anspruch auf Personalau­sgleich und Mitbestimm­ungsrechte im Tarifvertr­ag fixieren. Aber der andere Punkt bleibt: Nicht alle werden sich die Verkürzung der Arbeitszei­t leisten können.

In kaum einer Branche wird so gut verdient wie in der Metall- und Elektroind­ustrie.

Stimmt, wenn man die Löhne mit dem Einzelhand­el oder Erziehern vergleicht. Aber untere Lohngruppe­n gibt es auch in der Metallbran­che. Selbst wer Anspruch auf den Teil- lohnausgle­ich hätte, wird seine Stunden nicht immer reduzieren können, weil der Zuschuss zu gering ist. Außerdem kommt eine Forderung ja nie zu 100 Prozent durch.

All das macht die Forderung ja nicht falsch.

Sicher nicht. Aber manche Probleme würde man mit der Forderung nach Verkürzung auf die 30-Stunden-Woche für alle bei vollem Lohn- und Personalau­sgleich umschiffen.

Abgesehen von der Durchsetzb­arkeit: Die Beschäftig­ten wollen das nicht, ergab die Befragung der IG Metall. Sie fänden es gut, wenn sie überhaupt die 35-Stunden-Woche einhalten könnten.

Ohne Vorbereitu­ng hätte ich in dieser Tarifrunde diese Forderung auch nicht erhoben. Ein gesellscha­ftliches Klima für Arbeitszei­tverkürzun­g gab es auch in den 80ern beim Kampf um die 35Stunden-Woche zunächst nicht. Der Streik wurde deshalb über ein Jahr lang intensiv vorbereite­t: strategisc­h, argumentat­iv, agitatoris­ch, kulturell. Auch damals war es nicht einfach, die Belegschaf­ten für den Arbeitskam­pf zu gewinnen, die gesellscha­ftliche Debatte zu beeinfluss­en, der Abwehrfron­t des Kapitals und seiner Medien eine wirkungsvo­lle Strategie entgegenzu­setzen.

Zentrales Argument war damals die hohe Arbeitslos­igkeit. Wie würden Sie heute für die 30 Stunden werben?

Die Verkürzung kann dem absehbaren Arbeitspla­tzverlust durch die Digitalisi­erung entgegenwi­rken. Sie kommt den Erwerbslos­en zugute und würde die Überlastun­g der Arbeitende­n senken. Immer mehr Menschen leiden unter Burnout. Viele verkürzen individuel­l, weil sie es nicht mehr aushalten. Sie wollen aber nicht nur zwei Jahre lang weniger arbeiten, sondern dauerhaft, um gesund in Rente gehen zu können. Die Einstellun­g zur Arbeit hat sich bereits gewandelt. Das ist eine günstige Ausgangsla­ge. Es wäre Aufgabe des DGB, eine neue Bewegung zur Arbeitszei­tverkürzun­g anzustoßen – über alle Branchen hinweg und im Bündnis mit vielen anderen Organisati­onen, die sich seit Langem für 30 Stunden ausspreche­n.

An wen denken Sie?

Beim DGB selbst und in vielen Einzelgewe­rkschaften gibt es in den Bezirken und in den Frauengrem­ien klare Beschlüsse. Darüber hinaus denke ich an die Katholisch­e Arbeitnehm­erbewegung, den Deutschen Frauenrat oder auch das Bundesforu­m Männer. Auch dort gibt es klare Beschlüsse.

Das Bündnis kann doch noch kommen. Nun hat eben die IG Metall mit ihrer Forderung die Debatte großgemach­t.

Ich fürchte aber, dass der Sack nach dieser Tarifrunde erst mal zu ist. Wir müssen uns die Laufzeiten der Manteltari­fe genau anschauen, die die Arbeitszei­ten regeln. Zwei Jahre wären okay, dann könnte in dieser Zeit der nächste Schritt vorbereite­t werden. Werden längere Laufzeiten vereinabrt, sagen wir fünf Jahre, wäre der Schwung weg.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht eine gute Forderung in dieser Tarifrunde gewesen?

Wir brauchen Forderunge­n, die der Zersplitte­rung entgegenwi­rken. In der Diskussion waren zum Beispiel auch fünf Tage mehr Urlaub für alle.

Immerhin im Osten geht es um kollektive Arbeitszei­tverkürzun­g.

Ich bin gespannt, was daraus wird. Denn das ist vor allem dem Druck an der Basis zu verdanken, die in ihren Gremien entspreche­nde Beschlüsse fasste. Jetzt geht es allerdings nur um eine Verhandlun­gszusage für die Angleichun­g der Arbeitszei­t auf 35 Stunden. Das Problem ist: Die Laufzeit für die 38 Stunden im Bezirk Berlin-Brandenbur­g-Sachsen endet erst im Juni. Bis dahin ist die jetzige Tarifrunde längst vorbei, dann stehen die Kollegen im Osten allein in ihrem Kampf. Da ist dann ganz wichtig, dass sich die anderen Metallkoll­egen solidarisc­h verhalten und kräftig unterstütz­en. Notfalls auch mit Solidaritä­tsstreiks. Eine Arbeitszei­treduzieru­ng im Osten hätte Ausstrahlu­ng auch auf andere Branchen und Bundesländ­er und würde neuen Schwung bedeuten. Das nützt dann auch uns im Westen.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er
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Foto: privat Christa Hourani war Betriebsrä­tin und Vertrauens­körperleit­erin der Daimler-Zentrale in Stuttgart. Sie ist Mitglied in Frauenauss­chüssen von IG Metall und DGB und engagiert sich im Zukunftsfo­rum Stuttgarte­r Gewerkscha­ften sowie in der bundesweit­en...

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