Hinschauen und handeln
Bundestag fordert die Einsetzung eines Antisemitismus-Beauftragten
Berlin. Deutschland soll einen Antisemitismus-Beauftragten bekommen. Zumindest forderte der Bundestag die Regierung in einem am Donnerstag gefassten Beschluss auf, einen solchen Posten einzurichten. In dem von Union, SPD, FDP und Grünen vorgelegten Antrag heißt es, der Beauftragte soll von einem unabhängigen Kreis beraten werden, der sich aus Experten aus Wissenschaft, Bildungspraxis und Zivilgesellschaft zusammensetzt. Weil die LINKE im Vorfeld nicht eingebunden war und in einigen Punkten Nachbesserungsbedarf sah, enthielt sich die Fraktion der Stimme. Hingegen stimmte die AfD für den An- trag mit der Überschrift »Antisemitismus entschlossen bekämpfen«. Als Rednerin verwies AfD-Fraktionsvize Beatrix von Storch vor allem auf Antisemitismus unter Migranten. Die unter den eigenen Mitgliedern virulente Judenfeindschaft verschwieg sie. Erst am Dienstag hatte das Landgericht Berlin entschieden, dass der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon als »Holocaust-Leugner« bezeichnet werden darf.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte die Initiative des Bundestags. »Damit haben die Parlamentarier deutlich signalisiert, dass sie die Sorgen der jüdischen Ge- meinschaft ernst nehmen«, hieß es in einer Erklärung. Ein Beauftragter könne »längerfristig und ohne Ressortdenken« die Entwicklungen beim Thema Antisemitismus beobachten sowie Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung entwickeln und koordinieren, sagte Zentralrats-Präsident Josef Schuster.
Wie nötig solche Strategien und Maßnahmen sind, zeigt sich in Berlin, wo es in bestimmten Stadtvierteln Juden zu gefährlich erscheint, sich als solche erkennen zu geben. Initiativen wie »Salaam-Shalom« setzen sich für ein friedliches Miteinander zwischen Muslimen und Juden ein.
Antisemitismus kommt in Deutschland in unterschiedlichsten Ausprägungen vor und aus verschiedenen Richtungen – rechts, links, muslimisch geprägt. Gerade letzterer geriet zunehmend in den Fokus.
Viele jüdische Berliner trauen sich in muslimisch geprägten Bezirken wie Neukölln nicht, sich zu ihrem Glauben zu bekennen. Doch es gibt jüdische und muslimische Aktivisten, die sich für das Miteinander einsetzen. Michael Groys nippt an seiner Tasse Schwarztee und schaut aus dem Fenster. Draußen schneit es. Drinnen läuft arabische Popmusik. Das libanesische Restaurant »Arabesque« in der Marburger Straße in Berlin-Wilmersdorf ist einer seiner Lieblingsorte im Kiez. »Die orientalische Küche ist fabelhaft und die islamische Kultur hat mich schon immer fasziniert«, sagt Groys. Der 26-Jährige hat Politikwissenschaften studiert, engagiert sich in der SPD und in der jüdischen Gemeinde.
Seit er mit seiner Familie Mitte der 1990er Jahre aus der Ukraine nach Berlin gekommen ist, wohnt er in Charlottenburg-Wilmersdorf. »Der Bezirk ist für mich der jüdischste in Berlin. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen«,
Neben Muslimen engagieren sich auch Christen, Juden und Konfessionslose in der »Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus«.
sagt Groys mit einem Schmunzeln. Mit drei Synagogen, dem Gemeindehaus, einer Schule, mehreren israelischen Restaurants und koscheren Lebensmittelläden gebe es im Stadtteil eine gute Infrastruktur für jüdisches Leben, erläutert er. Mit ihren rund 10 000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Berlin die größte in Deutschland. Viele Mitglieder stammen wie Groys und seine Familie aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Community wächst, nicht zuletzt durch den Zuzug von zumeist jungen Israelis.
Doch trotz aller sichtbaren Präsenz jüdischen Lebens: Von einer jüdisch-deutschen Normalität in Berlin möchte Groys nicht sprechen. Und das nicht nur wegen der Vergangenheit. »Wenn mitten in Berlin israelische Fahnen verbrannt werden, muslimische Jugendliche ›Tod den Juden‹ skandieren und sich jüdische Menschen nicht trauen, mit Kippa oder Davidstern in bestimmten Stadtvierteln unterwegs zu sein, ist gar nichts normal«, sagt Groys. Die antisemitischen Kundgebungen propalästinensischer Demonstranten gegen die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Donald Trump im Dezember haben ihn wegen des unverhohlen zur Schau gestellten Hasses auf der einen Seite schockiert, auf der anderen Seite ein ihm schon lange bekanntes Problem bestätigt: »Insbesondere in der muslimischen Community vermischt sich der Hass auf Israel mit dem Hass auf Juden«, sagt Groys. Er erlebe diese Vermengung, wenn er sich im Gespräch mit muslimischen Freunden ständig für Aktionen der israelischen Regierung rechtfertigen solle.
Er nennt ein anderes Beispiel: Bei einem Spaziergang durch die Sonnenallee im multikulturellen Bezirk Neukölln habe er letztens mehrere Geschäfte und Restaurants gesehen, in denen Landkarten vom Nahen Osten ohne den Staat Israel aufgehängt waren. »In der muslimischen Gemeinschaft gibt es ein echtes Prob- lem mit antiisraelischem Antisemitismus. Die islamischen Verbände müssen sich viel energischer dagegen engagieren«, fordert Groys. Sich in Neukölln offen als jüdisch zu erkennen zu geben, könne er niemandem empfehlen. »Das ist einfach zu gefährlich. Wer will schon beschimpft oder bedroht werden?«
Armin Langer kennt diese Sorgen. »Ja, es gibt Antisemitismus auch in Neukölln«, sagt der 28-Jährige. »Ich glaube aber nicht, dass die Bekämpfung des Antisemitismus gelingen kann, wenn Juden nicht mehr im Bezirk wohnen oder es vermeiden, hierher zu kommen.« Langer stammt aus einer jüdischen Familie aus Ungarn und lebt seit einigen Jahren in Neukölln. Ganz bewusst hat er sich für den Bezirk entschieden. »Ich lebe gerne hier«, sagt er. Antisemitisch beschimpft habe man ihn auf der Straße noch nie. Langer geht regelmäßig zum Beten in die orthodoxe Synagoge Fraenkelufer, die zwar nicht in Neukölln, aber gleich hinter der Grenze im benachbarten Kreuzberg liegt. Eigentlich war Langer nach Berlin gekommen, um Rabbiner zu werden.
Heute ist er Vollzeitaktivist in der von ihm mitgegründeten »SalaamSchalom-Initaitve«, die sich mit Workshops an Schulen für ein friedliches Miteinander von Juden und Muslimen einsetzt. »Wir dürfen nicht immer nur über Muslime, sondern müssen mit ihnen reden«, meint Langer. Bei seinen Schulbesuchen in Klassen, in denen es viele muslimische Kids gibt, erlebe er immer wieder, dass viele noch nie mit einem Juden gesprochen hätten und oftmals nur Vorurteile aus dem Elternhaus nachplapperten. »Die Situation zwischen den Communities ist sehr angespannt, auch dank der Medienberichterstattung. Nur wenn wir uns hinsetzen und gemeinsam reden, werden wir die Ängste überwinden können«, ist Langer überzeugt.
Sein Freund Dervis Hizarci nickt. Der 34-jährige gebürtige Berliner mit türkischen Wurzeln bezeichnet sich selber als religiösen Muslim. Seit zwei Jahren ist er Vorsitzender der »Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus« (KIgA). »Als eine migrantisch geprägte Initiative nutzen wir unsere Kompetenzen, Antisemitismus auch unter muslimischen Jugendlichen zu behandeln. Doch wir möchten nicht nur in der Community, sondern auch in der Gesamtgesellschaft ein Problembewusstsein dafür schaffen«, sagt Hizarci.
Neben Muslimen engagieren sich auch Christen, Juden und Konfessionslose in der KIgA. Für ihn habe der Hass auf Juden und Andersgläubige nichts mit dem Islam zu tun, der Einsatz gegen jegliche Form von Diskriminierung müsse für einen Muslim oberstes Gebot sein. »Jüdische und muslimische Akteure müssen sich mehr austauschen«, sagt Hizarci, der jeden Freitag zum Gebet geht und im Anschluss mit seinen Kumpels beim jüdischen Berliner Fußballclub Makkabi kickt. Im Frühjahr will die KIgA ihr neues Projekt starten. Unter dem Motto »No Go? No Way!« soll es eine zivilgesellschaftliche Kampagne in Neukölln geben, mit der sich der Bezirk gegen Antisemitismus stellt.