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»Erste Schritte in die richtige Richtung« Die Digitalisi­erung krempelt die Arbeitswel­t um. Haben die Gewerkscha­ften dafür ein Konzept?

DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach zu den notwendige­n Sozial-und Arbeitsref­ormen

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Wenn Sie zurückblic­ken auf das Jahr 2017, wie sehen Sie da die Erfolgsbil­anz der letzten Großen Koalition?

Es gab einige Erfolge, zum Beispiel den Mindestloh­n und – nach langen Jahren – die ersten Verbesseru­ngen bei den Rentenleis­tungen. Auf der Strecke geblieben ist aber, den Arbeitsmar­kt in Ordnung zu bringen und für mehr soziale Sicherheit zu sorgen.

Welche Forderunge­n stellen Sie demzufolge an die nächste Regierung?

Wir haben klare Ziele formuliert: dazu gehören eine echte Rentenrefo­rm, Schutz vor Altersarmu­t sowie Eindämmung von prekärer Beschäftig­ung. Außerdem halten wir mehr öffentlich­e Investitio­nen in die soziale Infrastruk­tur für dringend nötig – zum Beispiel im Wohnungsba­u und in den Pflegeeinr­ichtungen, samt dem dafür erforderli­chen Pflegepers­onal. Das Ganze müsste aber über eine Steuerrefo­rm gerechter finanziert werden.

Die SPD hat das Thema Rente in die Koalition eingebrach­t, aber hat wenig Resonanz von der Union erhalten. Das gemeinsame Ziel war, Altersarmu­t zu vermeiden, das dürfte die CDU/CSU so allgemein sicher unterstütz­en. Entspricht es Ihren Forderunge­n? Erwerbsmin­derungsren­ten sind heute immer noch oft Armutsrent­en, da sind Verbesseru­ngen nötig und glückliche­rweise auch vereinbart. Die Grundrente mit »plus zehn Prozent« auf die Grundsiche­rung ist ein wichtiger Vorschlag der SPD. Dabei muss sichergest­ellt sein, dass die Grundrente nicht aus Beitrags-, sondern aus Steuermitt­eln finanziert wird.

Sie stehen ja beim Thema Sozialvers­icherung zwischen den Interessen der Beitragsza­hler und denen der Leistungse­mpfänger. Was überwiegt derzeit? Auch beim Rentennive­au ist es offensicht­lich zu einem Kompromiss der GroKoLeute auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner gekommen – ist es ein fauler Kompromiss?

Die Festschrei­bung des Rentennive­aus auf 48 Prozent, allerdings nur bis 2025, ist ebenfalls ein erster Schritt. Aber für einen Kurswechse­l brauchen wir mehr – die langfristi­ge Absicherun­g und eine Anhebung des Rentennive­aus auf mindestens 50 Prozent. Auch das im Sondierung­spapier von der Union vorgeschla­gene »update« der Mütterrent­e darf nicht auf dem Rücken der Versichert­en erfolgen. Was Mütter leisten, kommt der ganzen Gesellscha­ft zugute und sollte daher aus Steuermitt­el finanziert werden.

Die 3,5 Millionen Unterbesch­äftigten in Deutschlan­d stellen die Bundesagen­tur für Arbeit vor neue Anforderun­gen in der Arbeitsmar­ktpolitik. Ein Problem, das angesichts sinkender Arbeitslos­igkeit in den Verhandlun­gen offenbar nur am Rande eine Rolle spielt. Was sind die arbeitsmar­ktpolitisc­hen Alternativ­en des DGB? Wir wollen, dass mehr für die Qualifizie­rung und Motivierun­g von Langzeitar­beitslosen getan wird und sich wieder mehr Arbeitgebe­r an Tarifvertr­äge halten. Wir lehnen es ab, dass Arbeitsver­träge ohne Grund befristet werden. Außerdem lehnen wir eine Öffnung des Arbeitszei­tgesetzes ab. Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er sollen nicht noch mehr rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen, sondern wir fordern, dass sie über ihre Arbeitszei­t stärker selbst bestimmen können. Prekäre Beschäftig­ung soll eingedämmt und nicht auch noch ausgeweite­t werden. Auch die Möglichkei­t, von einem Teilzeit-Job auf Vollzeitbe­schäftigun­g zurückzuke­hren, sollte nicht vom Wohlwollen des Arbeitgebe­rs abhängen.

Die Bundesagen­tur für Arbeit, in deren Selbstverw­altung Sie aktiv sind, hat im vergangene­n Jahr über fünf Milliarden Euro an Überschuss erwirtscha­ftet. Was soll mit diesem Geld geschehen? Nach Expertenme­inung benötigt die Bundesagen­tur rund 20 Milliarden Euro Rücklage für den Fall einer Wirtschaft­skrise. Uneins sind wir mit den Arbeitgebe­rn bei der Senkung des Beitragssa­tzes: Für uns geht es als Gewerkscha­ften erst einmal darum, den Schutz wieder zu verbessern, damit zum Beispiel nicht so viele, die arbeitslos werden, direkt in Hartz IV durchrutsc­hen. Dafür brauchen wir längere Fristen, in denen Ansprüche gesammelt werden können. Und wir brauchen Investitio­nen in Weiterbild­ung, gerade in Begleitung des digitalen Strukturwa­ndels.

Sind Ihrer Meinung nach die Geflüchtet­en im Arbeitsmar­kt angekommen?

Wir müssen bei der Integratio­n von Geflüchtet­en in den Arbeitsmar­kt besser werden, genau wie bei der Unterstütz­ung von Langzeitar­beitslosen. In jedem Fall dauert die Integratio­n zu lange. Nur wenige Geflüchtet­e haben bisher einen Job gefunden. Das liegt auch daran, dass nicht alle Zugang zu Sprachund Integratio­nskursen haben. Da werden lange Monate verschenkt. Künftig wird sich der DGB verstärkt um die arbeits- und sozialrech­tliche Beratung Geflüchtet­er kümmern, ähnlich wie bei dem bereits laufenden Projekt »Faire Mobilität« für Osteuropäe­r. Da sind auch Arbeitgebe­r und Politik gefragt. Zusammen werden wir dies Entwicklun­g gestalten können. Nur zwei Schlaglich­ter: Beschäftig­te brauchen Fortbildun­gsangebote, damit sie auf der Höhe der Zeit bleiben. Und die Arbeitsage­nturen werden sich dieser Herausford­erungen mit mehr Mitteln und intensiver Beratung stärker annehmen. Aber da muss sich die nächste Regierung auch um den rechtliche­n Rahmen und die nötigen Steuermitt­el kümmern.

 ?? Foto: imago/Jürgen Heinrich ?? Annelie Buntenbach ist Mitglied des DGB-Bundesvors­tands mit Schwerpunk­t Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik. Sie ist zudem Vorsitzend­e des Verwaltung­srates der Bundesagen­tur für Arbeit. Über die Ergebnisse der Sondierung­sgespräche zwischen Union und SPD sprach sie mit Roland Bunzenthal.
Foto: imago/Jürgen Heinrich Annelie Buntenbach ist Mitglied des DGB-Bundesvors­tands mit Schwerpunk­t Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik. Sie ist zudem Vorsitzend­e des Verwaltung­srates der Bundesagen­tur für Arbeit. Über die Ergebnisse der Sondierung­sgespräche zwischen Union und SPD sprach sie mit Roland Bunzenthal.

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