Postler verlangen mehr Geld und mehr Freizeit
Forderungen auf Grundlage einer Befragung
Die Tarifrunde für die Tarifkräfte der Deutschen Post AG soll nach dem Willen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di keine reine Lohnrunde werden. Gestresste Zusteller sehnen sich nach mehr Freizeit. Für die rund 130 000 Tarifbeschäftigten und Auszubildenden der privatisierten Deutschen Post AG fordert ver.di eine lineare Einkommenserhöhung von sechs Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Dies hat die zuständige Tarifkommission der Gewerkschaft in der vergangenen Woche in Berlin beschlossen. Ein weiterer Bestandteil des Forderungspakets ist die Option für einzelne Beschäftigte, per tarifvertraglicher Wahlmöglichkeit einen Teil der Lohn- und Gehaltserhöhung in freie Zeit umzuwandeln. Für die derzeit noch rund 32 000 Postbeamten, die ihren Status vor der Privatisierung des Konzerns in den 1990er Jahren erhalten hatten, soll die sogenannte Postzulage weiter bestehen bleiben. Sie ist eine postspezifische Form der Sonderzulage für noch aktive Bundesbeamte in ehemals staatlichen Behörden und Betrieben.
In den vergangenen Monaten hatten ehrenamtliche Aktivisten im ver.diFachbereich 10 (Postdienste, Speditionen und Logistik) die organisierten Postler befragt und aus dem Rücklauf heraus die konkreten Tarifforderungen entwickelt. Von den im Rahmen dieser Aktion 37 000 aufgesuchten Mitgliedern hatten 61 Prozent die zunächst vorgeschlagene 5,5-ProzentForderung als »in Ordnung« bewertet, während ein rundes Drittel diesen Wert als »zu gering« einschätzte. Beim Thema individuelle Arbeitsbelastung und möglichen Schritten zu ihrer Reduzierung erklärten 80 Prozent der Befragten, dass für sie freie Zeit zur Entlastung ein wichtiges Anliegen in dieser Tarifrunde ist. Nur fünf Prozent halten diese Frage für unwichtig.
Bei der vorgegebenen Alternative »Geld oder mehr freie Zeit« sprachen sich nur 23 Prozent für deutlich mehr Geld aus. 49 Prozent und damit jeder zweite wollen von beidem etwas, während 28 Prozent mehr Wert auf freie Zeit zur Entlastung als auf mehr Geld legen. Aus diesen Erkenntnissen heraus formulierten die Tarifexperten die Forderung nach der Wahlmöglichkeit zwischen mehr Lohn und mehr Freizeit. Diese Zielrichtung orientiert sich auch an einem von der Bahngewerkschaft EVG für die Deutsche Bahn ausgehandelten Wahlmodell, bei dem Beschäftigte statt eines Teils der Einkommenserhöhung eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit oder mehr Urlaubstage auswählen können. Die Idee einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich für alle dürfte damit erneut für mehrere Jahre vom Tisch sein. Diese Zielsetzung hatte noch in der alten Bundesrepublik der 1980er Jahre zu einem tarifpolitischen Aufbruch weg von der 40-Stunden-Woche und hin zur 35Stunden-Woche für Metaller und Drucker geführt. Bei der Deutschen Post liegt die reguläre Wochenarbeitszeit derzeit bei 38,5 Stunden. Zu den weiteren markanten Ergebnissen der Mitgliederbefragung gehören übrigens der Wunsch nach Schutz des Arbeitsplatzes durch Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und Schritte gegen eine zu hohe Arbeitsbelastung und zu groß geschnittene Zustellbezirke.
»Die Deutsche Post steht wirtschaftlich blendend da. Sie erzielt Ergebnisse auf Rekordniveau und erwirtschaftet hohe Renditen. Jetzt ist es an der Zeit, diesen Erfolg mit den Beschäftigten zu teilen«, so die stellvertretende ver.di-Vorsitzende und PostVerhandlungsführerin Andrea Kocsis. Damit bezieht sich die Gewerkschafterin auf den Gewinn des Konzerns in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2016. Für 2017 erwarten Beobachter und Insider gar einen Überschuss von 3,75 Milliarden Euro.
Diese glänzende Bilanz des Weltkonzerns wurde nicht zuletzt durch die zunehmende Rekrutierung von Niedriglöhnern über die Billigtochter Delivery GmbH erzielt. Die wurde 2015 gegründet und hat in ihren 49 regionalen Paketgesellschaften bereits rund 10 000 Beschäftigte eingestellt. Rund 4000 von ihnen waren zuvor mit Zeitverträgen angeheuerte und bei Laune gehaltene Beschäftigte der PostStammbelegschaft und sind somit nicht ganz freiwillig in die Billigtochter gewechselt. Sie werden von der angehenden Tarifrunde nicht erfasst, weil das Postmanagement für sie nur das deutlich schlechtere Tarifniveau für die Logistikbranche gelten lässt. Ver.di hatte sich damit nach einem harten Arbeitskampf im Sommer 2015 abgefunden. Insider berichten von einem hohen Personaldurchlauf bei der Billigtochter.
Wie mühselig der Kampf um einen Anschluss an das noch höhere Einkommensniveau der Postler ist, zeigt die jüngste ver.di-Tarifbewegung für regionale Tarifverträge in der Logistikbranche und damit auch bei der Delivery GmbH. So wurde etwa in Hessen nach einer intensiven Streikwelle mit hoher Beteiligung Anfang Dezember eine Lohnerhöhung um lediglich 3,0 Prozent ab Januar 2018 und um weitere 2,5 Prozent ab Januar 2019 vereinbart. Angesichts des deutlich niedrigeren Einkommensniveaus im Vergleich zur »alten« Post-Stammbelegschaft stünde nach Ansicht vieler Gewerkschafter bei einer Umfrage unter den eher jüngeren Delivery-Beschäftigten vermutlich die Sehnsucht im Mittelpunkt, durch ehrgeizige Lohnerhöhungen finanziell überhaupt erst mal auf einen grünen Zweig zu kommen.
ver.di hat den laufenden Entgelttarifvertrag für die Deutsche Post AG zum 31. Januar 2018 gekündigt. Bis Ende Februar sind drei Verhandlungsrunden terminiert.