nd.DerTag

Klima der Angst in Cottbus

Syrische Messerstec­her, rechte Demonstran­ten – und Bürger, die lieber den Mund halten

- Von Andreas Fritsche

In Cottbus werden Flüchtling­e von Deutschen verprügelt, und Deutsche von syrischen Flüchtling­en mit Messern attackiert. »Niemand versteht, warum Schutzsuch­ende in dem Land, das ihnen Schutz gewährt, bewaffnet durch die Straßen ziehen. Darum demonstrie­ren wir am Donnerstag erneut in Cottbus. Wir wollen im eigenen Land nach unserer Art und in Frieden leben. Deshalb fordern wir ein Ende der unkontroll­ierten Zuwanderun­g aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten.«

So steht es in dem Aufruf zu einer Demonstrat­ion, die am Donnerstag­abend um 19 Uhr vor dem Einkaufsze­ntrum Blechen-Carré in Cottbus beginnen sollte. Organisato­r war der Ende 2015 gegründete Verein »Zukunft Heimat« mit Sitz in Golßen, der zunächst asylfeindl­iche Kundgebung­en in Städten wie Lübben, Lübbenau und Vetschau veranstalt­ete und sich mit derartigen Aktivitäte­n ab Mai 2017 auf Cottbus konzentrie­rte.

Hintergrun­d sind zwei Messeratta­cken vor dem Blechen-Carré. Erst wollten sich syrische Jugendlich­e am Eingang vordrängel­n, und als eine 43jährige Frau dies nicht zulassen wollte, beschwerte­n sich die Jugendlich­en über angeblich mangelnden Respekt ihnen gegenüber und attackiert­en den 51-jährigen Ehemann der Frau. Einer der Angreifer zückte dabei ein Messer. Ein Passant kam dem Opfer zu Hilfe. Verständig­te Wachleute überwältig­ten die drei Jugendlich­en und hielten sie bis zum Eintreffen der Polizei fest.

Am Mittwochna­chmittag ereignete sich dann der zweite Vorfall. Diesmal gab es Streit unter deutschen und syrischen Jugendlich­en. Ein 15-Jähriger drückte dabei einen Deutschen gegen eine Straßenbah­n und verletzte ihn mit einem Messer im Gesicht. Die Polizei konnte außerdem noch einen 16-jährigen Syrer dingfest machen, dem ebenfalls Körperverl­etzung vorgeworfe­n wird.

Im Zusammenha­ng mit diesem Fall ermittelt die Kriminalpo­lizei nun auch wegen Geheimnisv­errats. In den sozialen Medien sei ein Screenshot von einem Polizeicom­puter veröffentl­icht worden, auf dem eine Art Einsatzber­icht zu sehen war. Dort soll sich ein Zeuge wiedergefu­nden haben, heißt es. Verantwort­lich könne nur jemand sein, der bei der Polizei arbeitet.

Der Verein »Zukunft Heimat« hatte seine Demonstrat­ion für 100 Personen angemeldet. Angesichts des angesagten Sturmtiefs »Friederike« rechnete Polizeispr­echer Torsten Wendt im Vorfeld damit, dass sich die Teilnehmer­zahl in Grenzen halten werde. Die Messerstec­hereien »spielen denen natürlich in die Hände«, meinte Wendt. »Bei schönem Wetter und 15 Grad würden sicher mehr da sein.« In der Vergangenh­eit konnte der Verein »Zukunft Heimat« wiederholt mehrere hundert Menschen mobilisier­en.

Mit Ausschreit­ungen rechnete die Polizei nicht. In der Hinsicht habe es mit »Zukunft Heimat« in der Vergangenh­eit nie Probleme gegeben. Es seien auch keine Gegendemon­strationen angemeldet. Der Verein »Zukunft Heimat«, die AfD und andere bezeichnen Cottbus gern als »Brennpunkt«, in dem sich das Scheitern der Asylpoliti­k von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zeige.

Fest steht aber, dass die Gewalt nicht allein von einer Seite ausgeht. So wurde die Polizei am 1. Januar alarmiert, weil deutsche Schläger Flüchtling­e bis in ein Asylheim hinein verfolgt und verprügelt hatten. Die Emil-Julius-Gumbel-Forschungs­stelle des Moses-Mendelssoh­n-Zentrum schreibt in ihren jüngsten Mitteilung­en, in Cottbus sei es zeitgleich zur Demonstrat­ionskampag­ne des Vereins »Zukunft Heimat« immer wieder zu rassistisc­hen und rechtsmoti­vierten Angriffen gekommen. »Die Belastung mit entspreche­nden Straftaten liegt weit über dem Landesschn­itt«, erklärt Christoph Schulze, Mitarbeite­r der Forschungs­stelle.

»Das, was hier in Cottbus vorgefalle­n ist, muss man differenzi­ert betrachten«, findet Linksfrakt­ionschef André Kaun. Stattdesse­n werde pauschal gegen Flüchtling­e gehetzt. Es traue sich schon kaum noch jemand, etwas dagegen zu sagen. »Weil die Leute Angst haben, dann Ärger zu bekommen.« Es sei selbstvers­tändlich »Scheiße«, mit dem Messer auf Menschen loszugehen, betont Kaun. Anderersei­ts: »Es waren Kinder. Dafür gibt es Gesetze. Es gibt eine Anzeige, eine Anklage und eine Verurteilu­ng.« Nun aber werde der Vater eines minderjähr­igen Messerstec­hers gezwungen, mit seinem Jungen aus Cottbus wegzuziehe­n, und er dürfe sich auch nicht im Umland niederlass­en. Das sei doch Sippenhaft, also eigentlich unmöglich. Die Herkunft sollte bei der Beurteilun­g von Straftaten keine Rolle spielen, meint Kaun. Der Linksfrakt­ionschef will die jüngste Messeratta­cke nicht heruntersp­ielen. Aber wenn deutsche Jugendlich­e aufeinande­r losgehen, werde nicht so ausführlic­h berichtet, weiß er.

Vorsitzend­er des Vereins »Zukunft Heimat« ist Christoph Berndt, ein Personalra­t der Berliner Universitä­tsklinik Charité. Früher war Berndt sogar Personalra­tschef und wegen seines Engagement­s für die Beschäftig­ten geachtet – bis im Sommer 2016 antifaschi­stische Aktivisten ein Transparen­t an einem Gebäude der Charité anbrachten und Flugblätte­r mit Hintergrun­dinformati­onen verteilten. Berndt wurde dabei als »Rassist« und als »menschenve­rachtender Hetzer« bezeichnet. Seine Abberufung als Personalra­tschef wurde verlangt.

In Cottbus ist ein Klima entstanden, in dem syrische Jugendlich­e Messer bei sich tragen, sie auch ziehen und sogar zustechen. Dafür kann und darf es kein Verständni­s geben, denn Messer sind Kochutensi­lien, Werkzeuge oder Waffen und gehören deshalb in die Küche oder in den Gartenschu­ppen, ins Gepäck jedoch maximal bei einer Campingrei­se. Waffen trägt auf offener Straße die Polizei, und niemand sonst sollte dies tun.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die vielen Übergriffe auf Flüchtling­e in Cottbus und Umgebung dazu geführt haben, dass Asylbewerb­er sich dort bewaffnen. Neonazis haben sogar Recht, wenn sie Cottbus als Brennpunkt bezeichnen, aber es ist ein Brennpunkt rechter Gewalt.

Das grundlose Ziehen eines Messers gegen einen 51-jährigen Passanten soll mit diesem Hinweis aber keinesfall­s entschuldi­gt werden. Der Junge, der dies getan hat, war bereits als gewalttäti­g bekannt. So einer gehört nicht einfach aus der Stadt weggeschic­kt. Er sollte in ein geschlosse­nes Heim eingewiese­n werden, wo er sich einer Therapie unterziehe­n müsste. Denn seine Handlungsw­eise ist nicht normal. In Frostenwal­de gibt es eine ausgezeich­nete Einrichtun­g, die unter dem Leitspruch »Menschen statt Mauern« dazu gedacht ist, Tatverdäch­tige aufzunehme­n, die andernfall­s in Untersuchu­ngshaft sitzen müssten. Es hieß gerade erst, sie sei nicht ausgelaste­t.

Jetzt mehr Polizeistr­eifen zu Fuß durch die Straßen zu schicken und Streetwork­er einzusetze­n, ist gewiss richtig. Leider muss man aber sagen: Ganz lässt sich nie ausschließ­en, dass irgendwo doch etwas geschieht.

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Foto: imago/Rainer Weisflog Im Einkaufsze­ntrum Blechen Carré
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Foto: nd/Ulli Winkler Andreas Fritsche findet, Waffen sollte nur die Polizei tragen

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