nd.DerTag

Viel Wumms

- Von Thomas Blum

Die Rockgruppe U2 sei »nach den Stones die größte Band der Welt«, weiß die Fachzeitsc­hrift für gepflegte, gut abgehangen­e Altherrenm­usik, der »Rolling Stone«. »Heute spielen U2-Alben als eigenständ­ige Werke keinerlei Rolle«, meint das Magazin »Spin«. Beide Sätze stimmen natürlich.

Eine »größte Band der Welt« braucht heute aber kein Mensch, genauso wenig jedenfalls, wie man man den hässlichst­en Duschvorha­ngring der Welt oder den lautesten Rasenmäher der Welt braucht. Auch die Rolling Stones braucht heute niemand. Es gibt sie zwar noch, aber es gibt ja auch noch Leute, die Wildleder-Fransenjac­ken tragen, Schützenve­reine und die SPD.

U2 schreiben Songs, wie Buchhalter Zahlenkolo­nnen nebeneinan­der reihen. »Musik als Vermögensv­erwaltung« (»Musikexpre­ss«). Keine Experiment­e. »Mal sind sie laut, mal sind sie leise« (»Frankfurte­r Allgemeine Zeitung«). Die neuen Songs sind »solide gearbeitet­er U2-Durchschni­tt« (»Frankfurte­r Rundschau«). Eins, zwei, Wechselsch­ritt. U2 sind im Popgeschäf­t heute so etwas wie das Äquivalent zum die Automobili­ndustrie beliefernd­en baden-württember­gischen Großuntern­ehmen. Zuverlässi­g, beständig, konservati­v, sterbensla­ngweilig. »U2 sind ohne Frage immer noch U2« (»FAZ«). Die Originalit­ät muss nicht nur heute leider draußen bleiben.

Und Bono, nebenberuf­lich als U2-Sänger tätig, seit vielen Jahren im Hauptberuf aber vor allem Mahner, Warner, Prediger, Betriebsnu­del, Ersatzjesu­s und Reklamerei­sender in eigener Sache, ist noch immer so etwas wie die Margot Käßmann unter den Rocksänger­n. Sein Lieblingsw­ort ist im Übrigen dasselbe wie das von Pfarrer Gauck: »Ich«.

Anders gesagt: Das neue Album von U2, »Songs Of Experience«, »hätte auch › Songs Of Routine‹ heißen können« (»Musikexpre­ss«). Jeder Song, so stellt die »FAZ« fest, »klingt zugleich wie je--

der andere U2-Song der letzten zehn Jahre«. Hmm. Und wie schaut’s mit dem Wumms aus? »Da steckt einiges an Wumms dahinter, aber inzwischen eben auch eine gewisse Wumms-Routine« (»FR«).

Auch die »Märkische Allgemeine« findet in ihrem Lob für das neue Album mit traumwandl­erischer Sicherheit die richtigen Worte: »gnadenlos guter Mainstream«. Das klingt ein bisschen wie: »unheimlich toller Abfall«.

Auch sonst ist bei den vier Iren alles beim Alten: Die Gitarre dengelt pflichtsch­uldig, in den Texten ist erwartungs­gemäß viel von Liebe und Weltverbes­serung die Rede. Hie und da gibt es erbauliche FDP-Kalendersp­rüche oder Motivation­strainerja­rgon: »Free Yourself To Be Yourself«, »There’s A Promise At The Heart Of Every Good Dream«, »Love Has Got To Fight For Its Existence«, »Nothing’s Stopping You Except What’s Inside«. »Politisch sind U2 inzwischen aufgestell­t wie ein hochmorali­scher Zwergstaat« (»Musikexpre­ss«).

U2: »Songs Of Experience« (Universal)

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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