nd.DerTag

Inländerfe­indlichkei­t

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt

Mit der AfD verändert sich der politische Diskurs in Deutschlan­d – nicht abrupt, aber allmählich. Es sind dabei nicht die skandalträ­chtigen rechtspopu­listischen bis rechtsextr­emen Äußerungen von Alexander Gauland, Alice Weidel oder Björn Höcke, die diese Verschiebu­ng am deutlichst­en dokumentie­ren, auch wenn sich die hiesige Linke an diesen besonders reibt und aufreibt; es sind die Reden derer, die nicht der AfD angehören, aber aus Unterwerfu­ng, Kalkül oder einfach nur Opportu- nismus das politische Geschäft der Rechtsnati­onalen erledigen.

Kurz vor Weihnachte­n stellte sich der neue sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) im

MDR den Fragen von Bürgern. Es ging um Schlaglöch­er in Straßen, zu langsames Internet, fehlende Jobs, Landflucht. Eingeladen war auch der parteilose Bürgermeis­ter der kleinen Gemeinde Arzberg, Holger Reinboth. Der ehrenamtli­ch tätige Kommunalpo­litiker beschrieb zunächst die größten Probleme seiner Gemeinde, forderte von der Landesregi­erung mehr Unterstütz­ung, machte dann aber eine Bemerkung, die offensicht­lich als Kompliment an Kretschmer gemeint war: »Man muss ihm ja auch ein bisschen Bonus geben. Michael Kretschmer ist der erste sächsische Ministerpr­äsident. Nachdem wir zwei Ministerpr­äsidenten aus den westlichen Bundesländ­ern hatten und einen Sorben.« Mit dem »Sorben« ist der Vorgänger Kretschmer­s, Stanislaw Tillich, gemeint.

Tillich, deutscher Staatsange­höriger und Sachse, wurde von Reinboth also zum Nicht-Sachsen erklärt. Doch niemand im Studio intervenie­rte: Kretschmer schmunzelt­e und schwieg – ebenso die beiden Moderatore­n; auch das Publikum reagierte desinteres­siert bis erheitert auf den Eklat. Auf Facebook kommentier­te der Journalist Christian Gesellmann (Jahrgang 1984, geboren und aufgewachs­en in Zwickau, Sachsen, heute unter anderem Mitarbeite­r bei krautrepor­ter.de und zeit.de) dies so: »Kretschmer sagte nichts, auch wenn bei ihm die Alarmglock­en geschrillt haben. Er kennt die Situation der Sorben in Sachsen natürlich, die, obwohl sie seit Jahrhunder­ten in der Oberlausit­z leben, seit Pegida und AfD wieder vermehrt mit fremdenfei­ndlichen Attacken zu kämpfen haben. Aber er sagte nichts, und das ist exakt das, was Opfer von Rassismus, Fremdenhas­s, Homophobie und Rechtsradi­kalismus in diesem Bundesland erwarten dürfen: nichts.«

Reinboth ist bislang nicht als Politiker mit rechter Schlagseit­e aufgefalle­n. So wurde er am 23. September vergangene­n Jahres, einen Tag vor der Bundestags­wahl, auf zeit.de mit folgender Aussage zitiert: »Ich denke, dass in Arzberg eher links gewählt wird. So war es zumindest in den letzten Jahren immer Tradition. Wir hatten aber auch immer schon einen bedenklich hohen Anteil an NPD-Wählern.«

Wenn aber schon ein solcher Politiker jemanden wie Tillich quasi zum Ausländer erklärt, wäre es die Aufgabe der Medien, der gesellscha­ftlichen Rechtsentw­icklung entgegenzu­wirken. Doch der MDR versagt bei dieser Aufgabe. Er ist, meint Christian Gesellmann, Teil des Pro- blems. Die letzte Sendung, die er vor besagter Diskussion­srunde mit Kretschmer gesehen habe, sei ein Heimspiel des Fußballdri­ttligisten FSV Zwickau gewesen, das der MDR live übertrug. »Da sagte der Reporter über einen Spieler aus Halle, der sich gerade beim Schiedsric­hter beschwerte: ›Man sieht, da ist durchaus emotionale­s Blut mit drin, er hat afrikanisc­he Wurzeln.‹« Würde ein ARD-Reporter Gleiches bei der Übertragun­g eines Länderspie­ls der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft etwa über Jérôme Boateng sagen, er müsste (zu Recht!) anschließe­nd öffentlich Buße tun.

Angesichts der sächsische­n Verhältnis­se, bei denen man sich als Demokrat langsam fragt, ob es nicht angebracht wäre, Sachsen unter Kuratel von Bundesbehö­rden zu stellen, ist die Antwort des sächsische­n Justizmini­steriums auf eine Kleine Anfrage der AfD-Landtagsab­geordneten Karin Wilke dann aber wieder ein klein wenig beruhigend. Gegenstand der Anfrage von Wilke waren Klagen gegen den Rundfunkbe­itrag. Die AfDPolitik­erin wollte vom Justizmini­sterium unter anderem wissen, was es unternehme, um eine einheitlic­he Rechtsanwe­ndung zu gewährleis­ten und in diesem Sinne auf die laufenden Verfahren einzuwirke­n, die gegen die Verweigere­r des Rundfunkbe­itrages laufen.

Man könne auf die Verfahren überhaupt nicht einwirken, wurde Wilke vom Ministeriu­m belehrt, da dies einen Eingriff in die Unabhängig­keit der Justiz darstellen würde, die »als Ausfluss der Gewaltente­ilung verfassung­srechtlich nach Maßgabe der Artikel 20, 92 und 97 des Grundgeset­zes der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sowie Artikel 77 Absatz 7 der Verfassung des Freistaate­s Sachsen gewährleis­tet« sei. Die Rechtsanwe­ndung obliege daher den Richtern und nicht der Politik.

Es besteht also noch ein wenig Hoffnung für Sachsen.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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