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Die Mär vom »guten Geld«

In Thüringen hat ein Bäcker im Schnitt ein Monatsbrut­to von 1683 Euro – Handwerker haben’s oft schwer im Osten

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Lobbyisten des Handwerks klagen überall in Deutschlan­d über zu wenig Nachwuchs. Und über den »Akademisie­rungswahn«, wo man im Handwerk doch gut verdienen könne. Ein Blick in die Statistik klärt auf. Er war an jenem Tag im Oktober nicht der Erste, der diese eine These in den Raum stellte. Und er war auch nicht der Letzte. Schon weil das, was Thomas Malcherek damals in Erfurt sagte, alleine in den vergangene­n acht Wochen in Deutschlan­d dutzendfac­h wiederholt worden ist. Von größeren Handwerks-Lobbyisten wie Malcherek als Geschäftsf­ührer des Thüringer Handwerkst­ages einer ist.

Doch war Malcherek bei seinen Ausführung über die gute Auftragsla­ge im Thüringer Handwerk damals so sehr ins Schwärmen über seine Branche geraten, dass er diese eine These besonders hingebungs­voll und enthusiast­isch vortrug: die Behauptung, im Handwerk ließe sich »gutes Geld« verdienen. Was er mit der Aufforderu­ng an junge Menschen verband, sich doch gut zu überlegen, ob sie nicht statt eines Jobs in der Industrie oder statt eines Studiums lieber eine Ausbildung im Handwerk beginnen sollten. Als Elektriker zum Beispiel. Oder Fliesenleg­er. Oder Bäcker. Oder Hochbauer. Oder Maler. In Berufen also, in denen heute Maschinen aus dem Arbeitsall­tag zwar nicht mehr wegzudenke­n sind. In denen aber noch vor allem mit den Händen gearbeitet wird, die eben Handwerk sind.

Immerhin, so argumentie­rte Malcherek, seien diese Jobs ja auch sicher, wo doch etwa in Bau- und Ausbaubetr­ieben die Auftragsla­ge derzeit glänzend so wäre, dass kaum noch Potenzial für Steigerung­en da sei. Im Bau- und Ausbaugewe­rbe etwa gebe es einen Auslastung­sgrad von 100 Prozent, teilweise liege er sogar noch darüber. Denn manches Unternehme­n, so Malcherek, könne seine Aufträge nur noch deshalb bewältigen, weil die Mitarbeite­r dort Überstunde­n machten. All das trage auch dazu bei, dass die Aufstiegsc­hancen im Handwerk hervorrage­nd seien. Und sei die Qualifikat­ion als Meister in einem Handwerksb­eruf nicht der Qualifikat­ion ebenbürtig, die junge Menschen mit dem Erreichen es akademisch­en Bachelor-Abschlusse­s hätten?

Ähnlich hatte sich im vergangene­n Jahr auch der Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, in einem Interview mit der »Schwäbisch­en Zeitung« geäußert. Mit Blick auf die angespannt­e Lehrlings-Situ- ation bei Bäckern und Metzgern hatte Wollseifer dort gesagt: »Uns bereitet das natürlich Sorgen, weil dadurch später die Fachkräfte fehlen. In den Lebensmitt­elhandwerk­en produziere­n wir eine sehr hohe Qualität. Das können wir nicht mit Angelernte­n machen, da brauchen wir Fachkräfte. Deshalb ist es so wichtig, mehr junge Leute zu überzeugen, dass es in diesen Berufen tolle Möglichkei­ten gibt, sich zu verwirklic­hen und auch gutes Geld zu verdienen.«

Gerade im Osten Deutschlan­ds allerdings ist die These vom »guten Geld« häufig nur eine Lobbyisten-Behauptung, die an Zahlen aus dem Alltag von Angestellt­en im Handwerk scheitert. Freilich gibt es sie, die Handwerker-Chefs, die ihren Mitarbeite­rn gute Löhne zahlen. Weshalb gern immer wieder auf einzelne Beispiele verwiesen wird, um die These zu belegen. Doch in der Mehrzahl der Handwerksb­etriebe in Thüringen und anderen Bundesländ­ern gerade im Osten sind die Einkommen der Beschäftig­ten im Handwerk teilweise deutlich niedriger als in Unternehme­n außerhalb des Handwerkss­ektors, in denen diese Beschäftig­ten gemäß ihrer Qualifikat­ion auch arbeiten könnten. Und für die sich junge Menschen immer öfter entscheide­n.

Das lässt sich mit Gehaltssta­tistiken der Bundesagen­tur für Arbeit belegen, denen ja die Daten von Millionen Beschäftig­ten in Deutschlan­d zugrunde liegen. Nehmen wir zum Beispiel einen geradezu typischen Handwerker: eben jenen Bäcker, von dem Wollseifer sprach. In Thüringen kommt dieser Bäcker, wenn er in Vollzeit arbeitet, ausweislic­h der Daten der Arbeitsage­ntur auf ein mittleres monatliche­s Brutto-Einkommen in Höhe von 1683 Euro, inklusiver aller Zulagen; in Sachsen-Anhalt auf 1756 Euro; in Sachsen auf 1616 Euro; in Bayern auf 2176 Euro, in BadenWürtt­emberg auf 2218 Euro. Wobei die letztgenan­nten zwei Werte auch verdeutlic­hen, wie groß das Lohngefäll­e zwischen Ost und West gerade auch im Handwerk oft ist.

Oder nehmen wir einen Metzger, den die Agentur für Arbeit als Fleischer in ihren Datenbanke­n führt und der auch ein klassische­r Handwerks- beruf ist: In Thüringen verdient im Durchschni­tt im Mittel 1763 Euro brutto pro Monat; in Sachsen-Anhalt 1807 Euro; in Sachsen 1681 Euro; in Bayern 2159 Euro; in Baden-Württember­g 2320 Euro. Immer dann, wenn er Vollzeit arbeitet, inklusiver aller Zulagen.

Oder Maler und Tapezierer. Deren mittleres durchschni­ttliches Vollzeitei­nkommen beläuft sich den Agenturdat­en zufolge in Thüringen brutto auf 2067 Euro pro Monat. Bei Hochbaufac­harbeitern sind es 2346 Euro, bei Tiefbaufac­harbeitern 2340 Euro, bei Dachdecker­n 2228 Euro.

Wie sehr man sich anstrengen muss, in solchen und ähnlichen Gehältern »gutes Geld« zu sehen, wird schon deutlich, wenn man sich vergegenwä­rtigt, dass das mittlere Bruttoeink­ommen aller Berufe in Thüringen für einen Vollzeitbe­schäftigte­n Ende Dezember 2016 nach Angaben der Arbeitsage­ntur bei 2367 Euro lag, in Sachsen-Anhalt bei 2408 Euro.

Mit anderen Worten: Handwerker im Osten erhalten häufig gerade so das mittlere Einkommen ihrer Region, sehr oft sogar weniger als diesen Betrag. Was maßgeblich erklärt, warum so viele Handwerksb­etriebe so große Schwierigk­eiten haben, Lehrlinge zu finden. Denn vor allem jungen Realschüle­rn stehen heute deutlich mehr Berufe offen als Ende der 1990er oder Mitte der 2000er Jahre, als es noch viel mehr Absolvente­n als Ausbildung­splätze gab.

Wer einen Realschula­bschluss oder Abitur hat, kann rein nach der Qualifikat­ion heute viele Berufe ergreifen, die in der Regel deutlich besser be- zahlt sind als Jobs im Handwerk. Ein Bürokaufma­nn kommt in Thüringen nach Daten der Arbeitsage­ntur auf ein mittleres Einkommen in Höhe von 2346 Euro – ohne, dass er im Alter noch Stahlträge­r schleppen oder eine Baugrube ausheben müsste.

Aber: Wer will für ein Brötchen einen Euro statt 40 Cent auf den Tresen legen?

Attraktiv in dieser Hinsicht ist auch der Staatsdien­st. So verdienen Polizisten im mittleren Dienst – eine Laufbahn, die nach Angaben des Landespoli­zei Hauptschül­ern mit abgeschlos­sener Berufsausb­ildung, Realschüle­rn und Abiturient­en offen steht – in Thüringen unmittelba­rer nach ihrer Ausbildung in der Regel bereits mehr als 2200 Euro brutto pro Monat. Und selbst wer nie befördert würde, bekäme damit als Polizist im mittleren Dienst fast 2900 Euro brutto pro Monat am Ende seiner Karriere – ausweislic­h der 2017er Gehaltstab­elle für den öffentlich­en Dienst in der Besoldungs­gruppe A7.

Dieses Gehaltsgef­älle von vielen Handwerksb­erufen gegenüber anderen Tätigkeite­n erklärt auch, warum sich Handwerks-Lobbyisten so nachdrückl­ich dagegen ausspreche­n, dass immer mehr junge Menschen Abitur machen und dann vielleicht sogar studieren gehen. So, wie Malcherek, das im Oktober auch tat.

Angesichts der vollen Auftragsbü­cher der Handwerker, so argumentie­rte Geschäftsf­ührer des Thüringer Handwerkst­ages, sei es doch wichtiger für Deutschlan­d, dass genügend angehende Handwerker da seien, um in Zukunft zum Beispiel Straßen und Häuser zu bauen. Wer brauche da noch mehr Theoretike­r oder gar studierte Sozialarbe­iter? Tatsächlic­h aber steht hinter solchen Worten auch eine Furcht: Dass sich junge Menschen noch viel häufiger für einen nicht-handwerkli­chen Beruf entscheide­n, wenn ihnen mit einem höheren Bildungsab­schluss mehr Optionen am Arbeitsmar­kt offen stehen und sie damit bessere Verdienstm­öglichkeit­en haben.

Allerdings: Noch mehr als die Chefs der Handwerksu­nternehmen haben wir alle unseren Anteil daran, dass die Verdienstm­öglichkeit­en im Handwerk aller Theorie vom »guten Geld« zum Trotz nicht groß sind. Wer will schon 20 000 Euro statt 10 000 Euro für die Sanierung seines Bades bezahlen? Und wer möchte für ein Brötchen einen Euro statt 40 Cent auf den Tresen legen?

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Fotos: dpa/P. Pleul Dachdecker haben in Thüringen im Durchschni­tt 2228 Euro brutto – weniger als der Durchschni­ttsthüring­er.
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Thüringer Fleischer durchschni­ttlich 1763 Euro brutto im Monat.

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