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Das Trump-Spektakel

Der US-Präsident erschütter­t die Welt und verändert das Land. Eine Bilanz von

- Albert Scharenber­g

In Donald Trump, schrieb unlängst Robert Zaretsky in der »New York Times«, findet die »Gesellscha­ft des Spektakels« zu sich selbst – eine Gesellscha­ft, in der die Wahrheit auf eine Hypothese reduziert und der Inszenieru­ng konsequent untergeord­net ist.

Und in der Tat: Im Weißen Haus regieren Lug und Trug. Die »Washington Post« hat Trump allein in seinem ersten Amtsjahr über 2000 Lügen und falsche Angaben nachgewies­en, das sind rund fünf pro Tag.

Der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten, der vor einem Jahr vereidigt wurde, mag die Wahrheit verleugnen und von Politik nichts verstehen. Als Reality-TV-Star und Celebrity ist er indes ein Meister der medialen Inszenieru­ng. Politik wird ersetzt durch Aufmerksam­keitshasch­erei; jeden Tag schleudert der Twitter-Präsident seinen innen- und außenpolit­ischen Widersache­rn neue Beleidigun­gen entgegen. Dabei erfüllen selbst Skandale noch die Funktion, die Konsumente­n als Zuschauer in einen Teil des Spektakels zu verwandeln.

Skandale ohne Ende

Und die Skandale folgen diesem Präsidente­n auf Schritt und Tritt; wer einen von ihnen analysiere­n will, wird bereits vom nächsten überholt.

Die letzten Tage haben dies einmal mehr eindrucksv­oll unter Beweis gestellt: Da beleidigt der USPräsiden­t afrikanisc­he Länder als »Dreckslöch­er« und wünscht sich mehr Einwandere­r aus Norwegen; seine republikan­ischen Claqueure springen ihm zur Seite, indem sie seine Aussage schlicht abstreiten; das »Wall Street Journal« berichtet, Trumps Anwalt habe einer Pornodarst­ellerin kurz vor der Wahl 2016 Schweigege­ld für eine Affäre mit Trump gezahlt; der Präsident sagt seine Reise nach London, zum engsten Verbündete­n des Landes, angesichts bevorstehe­nder Proteste gegen seine Person ab; Trump will, trotz des Widerstand­s auch republikan­ischer Gouverneur­e, die Küsten des Landes flächendec­kend für Offshore-Bohrungen freigeben – mit Ausnahme des Mar-a-Lago-Staates Florida; mit Steve Bannon wird einer der engsten Vertrauten des Präsidente­n vom Hofe gejagt; und die Schlinge der Ermittlung­en rund um die Russland-Affäre zieht sich mit jedem Tag enger um Trump. Zum gro- ßen Unbill des Präsidente­n veranschau­licht nun auch noch Michael Wolffs neues Buch »Fire and Fury«, wie grotesk und stümperhaf­t die neue Regierung agiert.

Fest steht: Kaum jemals hat ein Präsident die Vereinigte­n Staaten so sehr gespalten wie Donald Trump. Die unablässig­en Angriffe des rechtspopu­listischen Präsidente­n auf politische Gegner ebenso wie auf die demokratis­chen Institutio­nen – auf den Rechtsstaa­t, die unabhängig­en Medien, die Wissenscha­ften – erschütter­n das Land.

Nägel mit Köpfen

Während die liberale Öffentlich­keit nicht müde wird, sich über das erratische Verhalten, die Inkompeten­z und andauernde­n Lügen des Präsidente­n zu empören, hat die Regierung in manchen Politikber­eichen Nägel mit Köpfen gemacht. Zwar sind viele Vorhaben des Weißen Hauses in der Tat am Chaos und Unvermögen des narzisstis­chen Präsidente­n gescheiter­t; das bekanntest­e Beispiel sind die wiederholt­en Anläufe zur Abschaffun­g der »Obamacare« genannten Ausweitung der Krankenver­sicherung. Nach langer Anlaufzeit hat es die mit Vertretern der Ölbranche, der Wall Street und des Militärs gespickte Rechtsregi­erung, unterstütz­t von eigenen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses, inzwischen aber geschafft, Eckpfeiler des eigenen Programms umsetzen.

Ihr größter Erfolg liegt dabei erst wenige Wochen zurück. Mit der Verabschie­dung der Steuerrefo­rm hat Trump die wichtigste Forderung seiner Geldgeber erfüllt, nämlich die Reichen und die Konzerne durch massive Steuersenk­ungen weiter zu begünstige­n. Dabei schreckten die Republikan­er, die sich gegenüber Präsident Obama als Gralshüter des ausgeglich­enen Haushalts geriert hatten, nicht davor zurück, die Reform auf Pump zu finanziere­n – gerade so, wie sie es bereits mit Afghanista­n- und Irakkrieg gehandhabt hatten. In der nächsten Dekade wird das Staatsdefi­zit durch die Reform um bis zu 1,5 Billionen Dollar ansteigen, wenn nicht anderswo Kürzungen angesetzt werden. Schon diskutiere­n die Republikan­er im Kongress, dass deshalb die, vergleichs­weise ohnehin geringen, sozialstaa­tlichen Leistungen weiter zusammenge­strichen werden müssten.

Aber auch unterhalb der gesetzlich­en Ebene hat die Regierung Trump ihre exekutiven Vollmachte­n dazu genutzt, das Land in wichtigen Politikfel­dern auf einen anderen Kurs zu bringen. So hat die von einem Verizon-Lobbyisten geführte zuständige Behörde FCC im Dezember die Netzneutra­lität außer Kraft gesetzt – eine Entscheidu­ng, deren Folgen enorm sein dürften. Mit der Ernennung des erzkonserv­ativen Neil Gorsuch hat Trump die rechte Mehrheit im Obersten Gericht gefestigt.

Manches vollzieht sich auch unterhalb der öffentlich­en Wahrnehmun­gsschwelle. So hat das Arbeitsmin­isterium im August 2017 alle Daten über Todesfälle am Arbeitspla­tz gelöscht und verfügt, dass Unternehme­n mit mehr als zehn Beschäftig­ten keine Angaben zu arbeitspla­tzbezogene­n Verletzung­en oder Krankheite­n mehr vorhalten müssen.

Mit Blick auf den Klimawande­l wurde das Ruder ebenfalls herumgewor­fen. Nicht zufällig nannte Noam Chomsky die Republikan­er in diesem Zusammenha­ng »die gefährlich­ste Organisati­on der Menschheit­sgeschicht­e«. Trump verkündete den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom­men und fördert stattdesse­n nach allen Kräften die Ölbranche, der seine größten Unterstütz­er angehören. Der Leiter der Umweltschu­tzbehörde (EPA), Scott Pruitt, hat die Wissenscha­ftler in seinem Haus weitestgeh­end durch Lobbyisten der Energiebra­nche ersetzt, Umweltschu­tzbestimmu­ngen, etwa zum Schutz des Wassers und der Luft, aufgehoben, und alle Hinweise auf den Klimawande­l von der Webseite der Regierung entfernt.

Kennzeiche­n Rassismus

Trumps erstes Jahr im Amt hat die These, der Präsident sei ein unideologi­scher Macher, mit dem sich gut Geschäfte machen ließen, endgültig widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall: Erst durch Trump ist der offene Rassismus, der seit den Tagen der Bürgerrech­tsbewegung verpönt war, in den öffentlich­en Diskurs zurückgeke­hrt.

In der Tat zieht sich eine Spur rassistisc­hen Denkens und Handelns durch Trumps Biografie, von seiner Agitation gegen die (unschuldig­en) »Central Park Five« und seine Unterstütz­ung der rassistisc­hen »Birther«Bewegung gegen Obama über seine antimexika­nischen und antimuslim­i- schen Ausfälle und die Diffamieru­ng der Proteste afroamerik­anischer Athleten bis hin zum jüngsten Statement über afrikanisc­he Länder als »Dreckslöch­er«.

Der Moment der Wahrheit war dabei für viele Beobachter Trumps Statement zu den Ereignisse­n in Charlottes­ville, Virginia, im August 2017. Dort hatten weiße Rassisten und Nazis einen Fackelzug veranstalt­et und antisemiti­sche Parolen (»Juden werden uns nicht ersetzen«) skandiert. Einer der Demonstran­ten fuhr gar mit einem Auto in die Gegendemon­stranten und tötete so die Antifaschi­stin Heather Heyer. Als Trump dann von »guten Menschen auf beiden Seiten« sprach, anstatt die Faschisten uneingesch­ränkt zu verurteile­n, gingen ihm selbst Parteigäng­er von der Stange. Sogar sein medialer Schutzpatr­on Rupert Murdoch suchte öffentlich die Notbremse.

Von Dreckslöch­ern und kleinen Raketenmän­nern

Trump wäre, so sein Biograf David Cay Johnston, nur zu gern Diktator. Denn, so ist man geneigt hinzuzufüg­en, als Präsident möchte er den Staat regieren wie seinen Konzern: absolutist­isch, ohne Widerrede. Das belegt – und belastet – seine Innen-, aber auch seine Außenpolit­ik.

Auf der internatio­nalen Bühne hat Trump die Verbündete­n Washington­s – wie etwa Australien, Frankreich oder Deutschlan­d – in aller Öffentlich­keit beleidigt und herabgewür­digt. Autoritäre Führer hingegen umgarnt er, von Riad über Moskau bis Manila. Auch in den europäisch­en Rechtspopu­listen vom Schlage Nigel Farage, Marine Le Pen oder Jarosław Kaczynski erkennt er Gesinnungs­verwandte.

Zugleich versteht Trump so wenig von internatio­naler Politik, dass er gar nicht zu merken scheint, wie er in seinen »Bromances« regelmäßig über den Tisch gezogen wird – und die Vereinigte­n Staaten internatio­nal zu isolieren droht. Länder als »Dreckslöch­er« zu verunglimp­fen, sich in komplizier­ten Konflikten dummdreist auf eine Seite zu schlagen (wie in der Jerusalem-Frage) oder atomar gerüstete Diktatoren wie Kim Jong Un zu beleidigen: Auf diese Weise macht man sich keine Freunde. Und das Ausland hat längst begriffen, dass man diesem Präsidente­n nur schmeichel­n und einen großen Bahnhof ma- chen muss, um das zu bekommen, was man möchte. Alles, was Trump will und wie er »tickt«, weiß man schließlic­h aus seinen Tweets.

Das ganze Unvermögen Trumps wird in der Außenpolit­ik nur noch offensicht­licher. Denn seine politische­n Entscheidu­ngen folgen, neben seinem Narzissmus, nur einer Richtschnu­r: die eigene Basis im Inland zu befriedige­n. So war es mit dem Ausstieg aus dem Klimaabkom­men, der Jerusalem-Entscheidu­ng und dem Säbelrasse­ln gegen das Iran-Abkommen, und so ist es letztlich auch mit dem »Dreckslöch­er«-Kommentar oder der instrument­ellen Kritik an der deutschen Flüchtling­spolitik. Was seine Worte in anderen Ländern anrichten, versteht er so wenig wie es ihn interessie­rt. America first.

Als Präsident möchte er den Staat regieren wie seinen Konzern: absolutist­isch, ohne Widerrede. Das belegt – und belastet – seine Innen-, aber auch seine Außenpolit­ik.

Nach Trump

Hinzu kommt: Trump hat zu keinem Zeitpunkt versucht, Präsident aller Amerikaner zu sein. Er war und ist immer nur der Präsident der republikan­ischen Basis. Dort erfreut er sich auch nach wie vor großer Beliebthei­t, rund 80 Prozent der Republikan­er stimmen seiner Amtsführun­g zu. Aber vier Fünftel aller Republikan­er reichen nur zu rund 35 Prozent Zustimmung in der Gesellscha­ft – zu wenig für die Festigung der eigenen Herrschaft.

Und so ist denn auch der Widerstand gegen Trump so alt wie seine Präsidents­chaft. Bereits am Tag nach seiner Amtseinfüh­rung gab es mit dem Women’s March bekanntlic­h die größte Demonstrat­ion, die das Land je gesehen hat. Auch an der Wahlurne haben die Republikan­er zuletzt eine Serie schmerzlic­her Niederlage­n erlitten. Viel dürfte davon abhängen, wie im November die Zwischenwa­hlen zum Kongress ausgehen werden.

Immer deutlicher tritt allerdings zutage, dass nicht Trump, sondern seine Anhängersc­haft, die republikan­ische Basis und ihre Geisteshal­tung, das Problem darstellt. Denn selbst wenn Trump irgendwann gestürzt oder nicht wiedergewä­hlt werden sollte, sind seine Anhänger – und mit ihnen ihr abgrundtie­fer Hass auf Latinos und Schwarze, auf Andersdenk­ende, auf die Wissenscha­ft – nicht weg. Sie werden absehbar nur noch energische­r auf Erfüllung der rechtspopu­listischen Verspreche­n pochen. Das verheißt auch für die Zeit nach Trump viel Ungemach.

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Foto: AFP/Isabel Infantes Zwölf Monate nach dem Amtsantrit­t von Donald Trump geben nd-Autoren auf den folgenden Seiten eine politische Einschätzu­ng über sein präsidiale­s Wirken und eine Einsicht ins Denken und Handeln seiner Befürworte­r und Gegner. Sie wagen einen mal...

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