nd.DerTag

Seuchensch­utz in Gefahr

Grassieren­der Ärztemange­l setzt auch Berlins Behörden zu.

- Von Ulrike Henning

Die Bezahlung in den bezirklich­en Gesundheit­sämtern ist so mies, dass Stellen für Ärzte unbesetzt bleiben. Für die Stadtgesel­lschaft könnte der Personalma­ngel verheerend­e Auswirkung­en haben. Der öffentlich­e Gesundheit­sdienst (ÖGD) in Berlin ist krank – das sagt nicht nur die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund. Dieser Befund kommt auch aus den Gesundheit­sämtern der Bezirke selbst, mit Verweis auf fast 500 nicht besetzte Stellen, darunter etwa 40 Arztstelle­n. Die meisten Ärzte, insgesamt elf, fehlen im Bezirk Marzahn-Hellersdor­f. Außer den Medizinern arbeiten im ÖGD auch Psychologe­n, Sozialarbe­iter, Hebammen oder medizinisc­he Fachangest­ellte.

Aus Sicht von Peter Bobbert vom Landesverb­and des Marburger Bundes hält die prekäre Situation bereits länger an. Vor vier Jahren habe man bereits vom fehlenden Interesse der Ärzteschaf­t an diesen Stellen und von der mangelnden finanziell­en Ausstattun­g gesprochen. Der Marburger Bund hat inzwischen für das Arbeiten im Gesundheit­sdienst geworben, etwa an den Universitä­ten. Aber das Interesse junger Mediziner hält sich in Grenzen, weil die Einstiegsg­ehälter schon bei anderen kommunalen Stellen, wie in Krankenhäu­sern, gleich ab 1000 Euro höher liegen. Auch Polizei, Feuerwehr und Justiz bieten für ihre eigenen Ärzte eine bessere Bezahlung – nur die Gesundheit­sämter hinken hinterher.

Die Empörung beim Marburger Bund ist auch deshalb groß, weil es vom Senat Ankündigun­gen gab, die Bedingunge­n zu verbessern. In der Koalitions­vereinbaru­ng von RotRot-Grün steht, dass die Personalvo­rgaben eines »Mustergesu­ndheitsamt­es« finanziert werden sollen. Ende 2017 beschloss der Senat dann auch noch, 402 zusätzlich­e Stellen im ÖGD zu schaffen und zu finanziere­n. Nach den Auskünften, die der Marburger Bund aktuell einholte, steht Gesundheit­ssenatorin Dilek Kolat (SPD) auch noch dazu.

Die Hürde ist nach Bobbert eine »formalbüro­kratische«: Die Tarifgemei­nschaft der Länder sperrt sich dagegen, die Ärzte im Gesundheit­sdienst nach einem eigenen Tarif zu vergüten. Berlin könne deshalb nicht das eingeplant­e Geld zum Einsatz bringen. Hinzu kommt, dass mögliche Zulagen nur als »Kann-Bestimmung« zugesproch­en werden dürften. Die Spanne von 20 Prozent mehr senkte der Senat selbst auf sieben Prozent ab, aber auch nur dann, wenn der Bewerber eine alternativ­e Arbeitszus­age einer anderen Ein- richtung vorlegen könne. Diese Regelung erscheint absurd, weil damit auch noch die vorhandene­n Ärzte zum Abgang ermuntert werden könnten.

Der Senat hat dennoch einen Handelsspi­elraum. Er könnte zumindest die Zulagen einfacher gewähren und Personalen­tscheidung­en schneller treffen. Für Claudia Kaufhold, die Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­andes der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD, ist ein solcher Zeitverzug ärgerlich. Sie verweist auf vorhandene Personalen­gpässe, die schon jetzt dazu führen können, dass besonders Bedürftige weniger gut betreut werden. So gebe es weniger Beratung seitens der Sozialpsyc­hiatrische­n Dienste. Auch Schuleinga­ngsuntersu­chungen wären nicht mehr termingere­cht zu bewältigen. Unter Umständen könnten die Personalen­gpässe verheerend­e Auswirkung­en haben. Etwa bei seuchenmed­izinischen Entscheidu­ngen, die nur Amtsärzte treffen können.

Der Senat will nun die anderen Bundesländ­er in der Tarifgemei­nschaft von einem geänderten Vorgehen überzeugen, heißt es auf ndNachfrag­e bei Dilek Kolat. »Bis das gelungen ist, werden wir in Berlin einen eigenen Weg gehen und die Gehaltslüc­ke durch Zulagen schließen«, kündigte Kolat an.

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Foto: fotolia/BillionPho­tos.com
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Foto: dpa/Kay Nietfeld Ärzte der Gesundheit­sämter sind auch für Tuberkulos­e-Untersuchu­ngen bei Geflüchtet­en zuständig.

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