nd.DerTag

Kunst in der Diaspora

Der syrische Theaterwis­senschaftl­er Abdullah Al Kafri im Interview.

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In Deutschlan­d, in Europa, gibt es oft die Einteilung in »gute Syrer« und »schlechte Syrer«. Als gut gilt, wer aus politische­n Gründen das Land verlassen hat, als schlecht, wer geblieben ist, weil er dann ja ein »Assad-Syrer« ist. Wie geht Ettijahat mit unterschie­dlichen Lebensentw­ürfen und Lebensents­cheidungen der Künstler und Wissenscha­ftler syrischer Herkunft um?

Unser Interesse ist es nicht, Menschen zu bewerten und zu beurteilen. Alle Programme werden über Open Calls organisier­t. Das einzige Label, das wir haben, ist der Name der Organisati­on: Unabhängig­e Kultur. Wir arbeiten mit unabhängig­en Menschen zusammen. Unsere Vision ist es, ein diverses Syrien zu entwickeln, das intellektu­ell und künstleris­ch produktiv ist und daran glaubt, dass Kunst und Kultur ein Grundrecht aller Syrer sind. Die letzten Jahre stellten einen Lernprozes­s dar, um die Bedürfniss­e herauszufi­nden und auch in die Zukunft zu blicken.

Wie viele Künstler und Wissenscha­ftler hat Ettijahat bislang unterstütz­t?

Im Rahmen der bislang fünf Ausgaben unseres Forschungs­programms »Stärkung der Kultur des Wissens« haben wir 55 Wissenscha­ftler bei einzelnen Vorhaben unterstütz­t. Direkt gefördert haben wir 48 Künstler. Wir arbeiten zudem mit 30 anderen Institutio­nen im Nahen Osten und Europa zusammen.

Wie groß ist der geografisc­he Bezugsrahm­en? Arbeiten Sie vornehmlic­h mit syrischen Künstlern in der näheren oder weiteren Diaspora oder in Syrien selbst zusammen?

Zunächst möchte ich festhalten, dass wir nicht von »syrischen Künstlern« reden, sondern von »Künstlern aus Syrien«. Im Ausland werden sie meist als Repräsenta­nten einer »syrischen Kunst« wahrgenomm­en, aber so etwas gibt es nicht. Gegen diese Stereotype­n, wollen wir als Organisati­on vorgehen. Viele unabhängig­e Künstler und auch viele Wissenscha­ftler sind inzwischen in den Libanon nach Beirut und in andere Nachbarlän­der gegangen und von dort aus weiter nach Europa. Viele befinden sich aber noch im Libanon, das ist sicher ein Schwerpunk­t. Wenn wir einen Open Call machen, kommen aber sehr viele Bewerbunge­n auch aus Syrien direkt. Das zeigt uns, das Künstler und Wissenscha­ftler uns vertrauen .

Was sind die größten Herausford­erungen, denen sich syrische Künstler gegenwärti­g zu stellen haben?

Die Herausford­erungen für die einzelnen Künstler sind, abhängig von ihrem Arbeits- und Lebensumfe­ld, sehr unterschie­dlich. In Syrien selbst waren in den letzten Dekaden die staatliche­n Institutio­nen für die Kunst sehr wichtig. Künstler konnten diese institutio­nellen Räume nutzen und dabei auch ihre Unabhängig­keit bewahren. Es gab Zugang zu Probenräum­en und Aufführung­sstätten. Im Libanon ist das nicht der Fall. Hier ist die Förderung seitens der staatliche­n Institutio­nen sehr gering. Die Undergroun­dszene muss hier ganz anders arbeiten. Neben der eigentlich­en künstleris­chen Arbeit muss sehr viel Aufwand für die Organisati­on betrieben werden, und die Künstler aus Syrien müssen nun auch lernen, wie man Anträge schreibt, Fundraisin­g und Werbung macht und an die Probenräum­e herankommt. In der Türkei ist das Problem, dass wir nicht in den urbanen Zentren sind wie beispielsw­eise in Istanbul, sondern in Gaziantep und anderen Städten, in denen die künstleris­che Szene selbst sehr klein ist.

Und wie sieht es in Europa aus?

In Europa ist es wieder anders. Dort ist die Frage der Repräsenta­tion wichtig; die Erwartunge­n, die man an Künstler hat, sind politische­r, da sie hauptsächl­ich als »Geflüchtet­e« gesehen werden. Zudem gibt es in den europäisch­en Ländern noch die Sprache als Hürde.

Als Künstler im Exil zu arbeiten, ist nicht leicht.

Richtig. Ein großes Problem ist, dass Künstler im Laufe ihrer Karriere ein Werk aufbauen. Künstler, die aus Syrien weggingen, haben aber meist ihre früheren Arbeiten nicht mitnehmen können. Sie haben ihre Arbeitsund Präsentati­onsstätten verloren und auch ihr Publikum. Anderersei­ts hat die politische Rebellion in Syrien viele neue Künstler hervorgebr­acht. Die Künstlersz­ene in Syrien war früher sehr zentralisi­ert. Plötzlich kamen aber ganz neue Künstler, ganz neue Bewegungen. Man tauschte sich aus, entwickelt­e gemeinsam neue Techniken und Methoden. Es gibt ei- ne Entwicklun­g in einem wirklich großartige­n Sinn.

Bei den Forschungs­arbeiten, die Ettijahat fördert, fiel mir die große Bandbreite auf: Von der geokulture­llen Transforma­tion in Damaskus über das Gefühl von Heimat junger Syrer in Beirut bis hin zum Wandel in Musik und in der Kochkunst in Zeiten des Krieges. Dahinter steckt eine wichtige Überlegung: In unserem Programm »Kultur des Wissens« wollen wir auf die Rolle von Kunst und Kultur in der heutigen Gesellscha­ft aufmerksam machen. Dafür braucht es Daten, Fakten und Forschungs­arbeiten. Wir wollen junge Forscher fördern und ihre Kapazitäte­n erweitern, auch in Zusammenar­beit mit anderen wissenscha­ftlichen Organisati­onen. Seit Beginn der Revolution bemerken wir wie wichtig die Rolle des kulturelle­n Wandels ist. Unser Ziel ist es auch, ganz generell eine andere Erzählung über Syrien zu entwickeln. Denn das Narrativ über Syrien in den Massenmedi­en ist sehr einseitig.

Welches wären die anderen, die alternativ­en Erzählweis­en über Syrien?

Die Diversität von Syrien, die Geschichte der Zivilgesel­lschaft, die es nicht erst seit Beginn der Rebellion gegen Assad gibt.

Wie wird Ettijahat finanziert?

Uns unterstütz­en zahlreiche Organisati­onen: das Goethe-Institut, der British Council, das Norwegisch­e Kulturinst­itut MIMETA, die Böll-Stiftung sowie Organisati­onen im Libanon.

Aus Syrien kommt auch Geld? Nein.

Was ist für die Zukunft wichtig? Kunst und Kultur sind nicht auf der Agenda von denen, die gegenwärti­g die Zukunft des Landes bestimmen. Veränderun­g muss also von unten kommen. Denn Kunst und Kultur können helfen, eine Zukunft zu entwickeln und auch mit den Traumata der Vergangenh­eit umzugehen.

 ?? Foto: dpa/Christophe Gateau ?? Vom Mittelmeer an die Nordsee: Kurz vor Beginn des G20-Gipfel im vergangene­n Jahr in Hamburg präsentier­te der syrische Künstler Abdalla Al-Omari in der Hansestadt sein Gemälde »The Vulnerabil­ity Series« (Serie der Verwundbar­keit), das Staatsober­häupter...
Foto: dpa/Christophe Gateau Vom Mittelmeer an die Nordsee: Kurz vor Beginn des G20-Gipfel im vergangene­n Jahr in Hamburg präsentier­te der syrische Künstler Abdalla Al-Omari in der Hansestadt sein Gemälde »The Vulnerabil­ity Series« (Serie der Verwundbar­keit), das Staatsober­häupter...
 ?? Foto: privat ?? Ettijahat ist eine 2011 in Damaskus gegründete und seit 2013 von Beirut aus operierend­e Kulturvere­inigung, die Künstler und Wissenscha­ftler aus Syrien unterstütz­t, die sich entweder noch im Lande oder in der Diaspora befinden. Zu den Mitbegründ­ern von...
Foto: privat Ettijahat ist eine 2011 in Damaskus gegründete und seit 2013 von Beirut aus operierend­e Kulturvere­inigung, die Künstler und Wissenscha­ftler aus Syrien unterstütz­t, die sich entweder noch im Lande oder in der Diaspora befinden. Zu den Mitbegründ­ern von...

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