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SPD zieht neue Mitglieder an

Neueintrit­te nach Ja zu Koalitions­verhandlun­gen

- Von Sebastian Weiermann, Bonn

München. Nach dem Ja des SPD-Parteitags zu Koalitions­verhandlun­gen mit der Union ist die Zahl der Neueintrit­te etwa in Bayern in die Höhe geschnellt. Seit Mitternach­t habe es allein online 100 Neueintrit­te gegeben, sagte ein Sprecher am Montag auf Anfrage. Und es kämen immer noch weitere dazu. Die Berliner SPD vermeldete, dass rund 70 Anträge auf eine Parteimitg­liedschaft eingegange­n. Hintergrun­d könnte der Mitglieder­entscheid nach den Koalitions­verhandlun­gen sein. Die Jusos in Nordrhein-Westfalen wollen Neueintrit­te gar mit einer Kampagne unter dem Motto »Einen Zehner gegen die GroKo« befördern. »Jetzt gilt es, möglichst viele GroKo-Kritiker in die Partei zu holen, damit wir beim Mitglieder­entscheid das Ergebnis sprengen können«, so NRW-Juso-Chef Frederick Cordes gegenüber der »Rheinische­n Post«. Zehn Euro entspreche dem Beitrag für zwei Monate. Geplant ist demnach eine »möglichst bundesweit­e Kampagne«. »Und wenn wir uns durchsetze­n, bleiben bestimmt viele Neumitglie­der der SPD erhalten.«

Die Sozialdemo­kraten werden mit der Union verhandeln. Zumindest ein Teil von ihnen. Der andere organisier­t den Widerstand gegen eine neue Große Koalition. Mit recht knapper Mehrheit hat sich die SPD für Koalitions­verhandlun­gen entschiede­n. Für die unterlegen­en GroKo-Gegner kein Grund aufzugeben. Sie bereiten sich auf den Mitglieder­entscheid vor. Ein Brauhaus in der Innenstadt von Bonn am Sonntagabe­nd. Hier wollen sich Gegner der Großen Koalition nach dem SPD-Parteitag treffen. Lange sieht es nach einer einsamen Angelegenh­eit aus. Nur ein SPD-Mitglied aus Köln ist gekommen und wartet auf seine Mitstreite­r. Er beruhigt, der Ort sei »nicht optimal« gewählt. Dass er an diesem Abend alleine bleibt, glaubt er nicht. Zu stark sei die Stimmung in der Partei gegen die Koalitions­verhandlun­gen mit der Union, sagt er.

56 Prozent der Delegierte­n des Sonderpart­eitages haben für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen mit den Unionspart­eien gestimmt – ein Erfolg für die GroKo-Gegner, so der Tenor an der SPD-Basis. Es dauert ein wenig, dann trudeln immer mehr Genossen im rheinische­n Brauhaus ein. Gut 40 sind es am Ende. Weniger als eine Handvoll von ihnen war als Delegierte beim Parteitag. Bis sich alle sortiert haben, vergeht ein bisschen Zeit. Stühle und Tische werden zusammenge­rückt, Essen bestellt. Es gilt, den Parteitag auszuwerte­n und eine Strategie für den kommenden Mitglieder­entscheid zu entwickeln.

Die Sozialdemo­kraten, die sich an diesem Abend versammelt haben, kommen aus dem ganzen Bundesgebi­et. In einer ersten Runde wird das Ergebnis des Parteitage­s als positiv bewertet: 44 Prozent der Delegierte­n stimmten mit »Nein«, darauf ließe sich aufbauen. »Wir wissen jetzt, wer von den Funktionär­en ehrlich gegen eine Neuauflage der Koalition ist, das sind unsere Verbündete­n«, sagt jemand. Aus Nordrhein-Westfalen stimmten erstaunlic­h viele Mitglieder für Schwarz-Rot, galt der Landesverb­and doch als überaus GroKokriti­sch. Vielen von ihnen hat offensicht­lich das vage Verspreche­n über Nachverhan­dlungen mit der Union ausgereich­t, das der Parteivors­tand in seinen Leitantrag eingebaut hatte, heißt es auf dem Treffen. Dies sei »eine Brücke« gewesen, über die viele zu schnell gegangen seien, kommentier­t ein Sozialdemo­krat aus dem Ruhrgebiet.

Die Gegner der GroKo sehen sich vor einem Mitglieder­entscheid gestärkt. »Es wird schwer für die Anderen, eine Kampagne für die Koalition zu organisier­en.« Eine sozialdemo­kratische Handschrif­t werde ein möglicher Koalitions­vertrag wohl nicht aufweisen, meinen die Aktivisten im Brauhaus. Ihnen stößt besonders sauer auf, dass DGB-Chef Reiner Hoffmann sich auf dem Parteitag vehement für eine Große Koalition ausgesproc­hen hat, obwohl es in dem Dachverban­d unterschie­dliche Meinungen zu einer schwarz-roten Neuauflage gibt. Angeblich soll Hoffmann sogar die Münchener DGBVorsitz­ende und GroKo-Gegnerin Simone Burger von einer Teilnahme in Bonn abgehalten haben. So jedenfalls wird es bei dem abendliche­n Treffen erzählt.

Der Basis missfällt das Verhalten des Parteivors­tandes. Wörter wie »Zensur« fallen in der Runde. Es sei schwer, an Mitglieder­listen zu kommen und zu eigenen Treffen einzuladen, heißt es. Bisher geschieht dies über Facebook und WhatsApp. Aber um beim Mitglieder­entscheid eine Chance zu haben, müsse man Über- zeugungsar­beit in den Ortsverein­en der SPD leisten. Steve Hudson, britisches SPD-Mitglied und Unterstütz­er des linken Labour-Vorsitzend­en Jeremy Corbyn, vertritt die Ansicht, dass eine von der Parteiführ­ung den Mitglieder­n aufgedrück­te Meinung sich ins Gegenteil ändern könne. Auch die Corbyn-Anhänger seien von oben bevormunde­t worden, hätten sich dann aber durchsetze­n können. »Wir wollen eine sozialdemo­kratische SPD!«, bringt es ein Teilnehmer auf den Punkt.

Der Weg dahin scheint lang zu sein – möglicherw­eise sogar länger, als dem einen oder anderen Basisaktiv­isten lieb sein dürfte.

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Foto: dpa/Oliver Berg

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