SPD zieht neue Mitglieder an
Neueintritte nach Ja zu Koalitionsverhandlungen
München. Nach dem Ja des SPD-Parteitags zu Koalitionsverhandlungen mit der Union ist die Zahl der Neueintritte etwa in Bayern in die Höhe geschnellt. Seit Mitternacht habe es allein online 100 Neueintritte gegeben, sagte ein Sprecher am Montag auf Anfrage. Und es kämen immer noch weitere dazu. Die Berliner SPD vermeldete, dass rund 70 Anträge auf eine Parteimitgliedschaft eingegangen. Hintergrund könnte der Mitgliederentscheid nach den Koalitionsverhandlungen sein. Die Jusos in Nordrhein-Westfalen wollen Neueintritte gar mit einer Kampagne unter dem Motto »Einen Zehner gegen die GroKo« befördern. »Jetzt gilt es, möglichst viele GroKo-Kritiker in die Partei zu holen, damit wir beim Mitgliederentscheid das Ergebnis sprengen können«, so NRW-Juso-Chef Frederick Cordes gegenüber der »Rheinischen Post«. Zehn Euro entspreche dem Beitrag für zwei Monate. Geplant ist demnach eine »möglichst bundesweite Kampagne«. »Und wenn wir uns durchsetzen, bleiben bestimmt viele Neumitglieder der SPD erhalten.«
Die Sozialdemokraten werden mit der Union verhandeln. Zumindest ein Teil von ihnen. Der andere organisiert den Widerstand gegen eine neue Große Koalition. Mit recht knapper Mehrheit hat sich die SPD für Koalitionsverhandlungen entschieden. Für die unterlegenen GroKo-Gegner kein Grund aufzugeben. Sie bereiten sich auf den Mitgliederentscheid vor. Ein Brauhaus in der Innenstadt von Bonn am Sonntagabend. Hier wollen sich Gegner der Großen Koalition nach dem SPD-Parteitag treffen. Lange sieht es nach einer einsamen Angelegenheit aus. Nur ein SPD-Mitglied aus Köln ist gekommen und wartet auf seine Mitstreiter. Er beruhigt, der Ort sei »nicht optimal« gewählt. Dass er an diesem Abend alleine bleibt, glaubt er nicht. Zu stark sei die Stimmung in der Partei gegen die Koalitionsverhandlungen mit der Union, sagt er.
56 Prozent der Delegierten des Sonderparteitages haben für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien gestimmt – ein Erfolg für die GroKo-Gegner, so der Tenor an der SPD-Basis. Es dauert ein wenig, dann trudeln immer mehr Genossen im rheinischen Brauhaus ein. Gut 40 sind es am Ende. Weniger als eine Handvoll von ihnen war als Delegierte beim Parteitag. Bis sich alle sortiert haben, vergeht ein bisschen Zeit. Stühle und Tische werden zusammengerückt, Essen bestellt. Es gilt, den Parteitag auszuwerten und eine Strategie für den kommenden Mitgliederentscheid zu entwickeln.
Die Sozialdemokraten, die sich an diesem Abend versammelt haben, kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. In einer ersten Runde wird das Ergebnis des Parteitages als positiv bewertet: 44 Prozent der Delegierten stimmten mit »Nein«, darauf ließe sich aufbauen. »Wir wissen jetzt, wer von den Funktionären ehrlich gegen eine Neuauflage der Koalition ist, das sind unsere Verbündeten«, sagt jemand. Aus Nordrhein-Westfalen stimmten erstaunlich viele Mitglieder für Schwarz-Rot, galt der Landesverband doch als überaus GroKokritisch. Vielen von ihnen hat offensichtlich das vage Versprechen über Nachverhandlungen mit der Union ausgereicht, das der Parteivorstand in seinen Leitantrag eingebaut hatte, heißt es auf dem Treffen. Dies sei »eine Brücke« gewesen, über die viele zu schnell gegangen seien, kommentiert ein Sozialdemokrat aus dem Ruhrgebiet.
Die Gegner der GroKo sehen sich vor einem Mitgliederentscheid gestärkt. »Es wird schwer für die Anderen, eine Kampagne für die Koalition zu organisieren.« Eine sozialdemokratische Handschrift werde ein möglicher Koalitionsvertrag wohl nicht aufweisen, meinen die Aktivisten im Brauhaus. Ihnen stößt besonders sauer auf, dass DGB-Chef Reiner Hoffmann sich auf dem Parteitag vehement für eine Große Koalition ausgesprochen hat, obwohl es in dem Dachverband unterschiedliche Meinungen zu einer schwarz-roten Neuauflage gibt. Angeblich soll Hoffmann sogar die Münchener DGBVorsitzende und GroKo-Gegnerin Simone Burger von einer Teilnahme in Bonn abgehalten haben. So jedenfalls wird es bei dem abendlichen Treffen erzählt.
Der Basis missfällt das Verhalten des Parteivorstandes. Wörter wie »Zensur« fallen in der Runde. Es sei schwer, an Mitgliederlisten zu kommen und zu eigenen Treffen einzuladen, heißt es. Bisher geschieht dies über Facebook und WhatsApp. Aber um beim Mitgliederentscheid eine Chance zu haben, müsse man Über- zeugungsarbeit in den Ortsvereinen der SPD leisten. Steve Hudson, britisches SPD-Mitglied und Unterstützer des linken Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn, vertritt die Ansicht, dass eine von der Parteiführung den Mitgliedern aufgedrückte Meinung sich ins Gegenteil ändern könne. Auch die Corbyn-Anhänger seien von oben bevormundet worden, hätten sich dann aber durchsetzen können. »Wir wollen eine sozialdemokratische SPD!«, bringt es ein Teilnehmer auf den Punkt.
Der Weg dahin scheint lang zu sein – möglicherweise sogar länger, als dem einen oder anderen Basisaktivisten lieb sein dürfte.