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Sieg bei Stalingrad – kein deutsches Thema

Nichts geplant zum 75. Jahrestag der Wende im Zweiten Weltkrieg – dafür Relativier­ung der Verbrechen

- Von René Heilig

Der Sieg der Roten Armee bei Stalingrad jährt sich zum 75. Mal. Doch das ist kein Thema für die Bundesregi­erung. Die LINKE nennt das einen »geschichts­politische­n Offenbarun­gseid«. Gerade weil die Bundeswehr derzeit um eine Präzisieru­ng ihres Traditions­verständni­sses ringt, wollte die stellvertr­etende Chefin der Linksfrakt­ion Sevim Dagdelen wissen, wie die Bundesregi­erung das Ende der Stalingrad­er Schlacht begehen will. Dieser entscheide­nde Sieg der Roten Armee jährt sich am Monatsende zum 75. Mal. Er war »ein entscheide­nder Schritt zur Befreiung der europäisch­en Völker von der Nazi-Diktatur«, meint Dagdelen.

Nun mag es ja sein, dass man in Moskau angesichts der höchst gespannten Situation zwischen Russland und der NATO nicht allzu viele Hoffnung auf den deut- schen Beitrag zur Verständig­ung über ehemalige Gräben hinweg setzt. Eine Gelegenhei­t wäre es allemal. Doch die Antwort der Bundesregi­erung auf eine entspreche­nde Anfrage der Linksfrakt­ion ist ernüchtern­d. Man habe »grundsätzl­ich Kenntnis von Gedenkfeie­rlichkeite­n in Wolgograd«, plane aber selbst nichts. Möglich, dass der deutsche Botschafte­r und der Militäratt­aché an der Gedenkvera­nstaltung in Wolgograd, dem einstigen Stalingrad, teilnehmen. Wenn sie eingeladen werden. Darüber hinaus erwähnt werden lediglich noch einige Bücher, die das Zentrum für Militärges­chichte in diesem Jahr vorstellen will.

Das ist dürftig. Als sich die Abgeordnet­e vergewisse­rn will, ob der Überfall auf die Sowjetunio­n aus Sicht der Bundesregi­erung grundsätzl­ich ein verbrecher­ischer Angriffskr­ieg bleibt, den Nazideutsc­hland ohne jede Not eröffnet und von vornherein als rassenideo­logischen Vernichtun­gskrieg geplant hatte, gerät die Antwort zum Skandal: »Die Einordnung damaliger militärisc­her Handlungen der Wehrmacht als verbrecher­isch im strafrecht­lichen Sinne ist einzel- fallbezoge­n vorzunehme­n. Als verbrecher­isch könnten Handlungen konkreter Täter einzustufe­n sein, die gegen anwendbare­s Recht verstießen, insbesonde­re Kriegsverb­rechen oder Verbrechen gegen die Menschlich­keit.« Damit geht die Bundesregi­erung weit hinter eigene Positionen zurück.

»Es handelt sich um einen Vernichtun­gskampf«, hatte Hitler seinen Wehrmachts-Generälen schon im März 1941 erklärt. Mindestens 27 Millionen Menschen wurden auf sowjetisch­er Seite Opfer dieses Krieges. Hinter der rasch nach Osten rückenden Front erschossen Einsatzgru­ppen Hunderttau­sende Zivilisten, vor allem Juden. 5,7 Millionen Rotarmiste­n gerieten in Gefangensc­haft, 3,3 Millionen wurden ermordet.

»Die Handlungen der NaziWehrma­cht im Rahmen dieses verbrecher­ischen Angriffs- und Vernichtun­gskrieges gegen die Sowjetunio­n waren ein Verbrechen«, betont Dagdelen. »Da gibt es kein Vertun und keine ›einzelfall­bezogene‹ Abwägung.« Um einen Kontrapunk­t gegen die offizielle deutsche Geschichts­vergessenh­eit zu setzen, wird eine Delegation der Linksfrakt­ion nach Wolgograd reisen, um an der offizielle­n Gedenkvera­nstaltung zum Sieg der Roten Armee teilzunehm­en.

Die Regierung hat »grundsätzl­ich Kenntnis von Gedenkfeie­rlichkeite­n in Wolgograd«.

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