nd.DerTag

Oui, sie wollen mit Macron gehen

Debatte zu 55. Jahren Élyséevert­rag unterstrei­cht den Willen der Bundestags­mehrheit, EU-Reformen anzugehen

- Von Nelli Tügel

Bereits im September hatte der französisc­he Präsident einen Vorstoß zur Vertiefung der Europäisch­en Integratio­n gemacht. Seitdem wartet man auf eine deutsche Regierung. Jetzt aber soll es losgehen. »Willst du mit mir gehen?« Das hatten mit Macron-Masken verkleidet­e Demonstran­ten auf ihr Schild geschriebe­n, als sie während der Sondierung­sgespräche protestier­ten, um die SPD dazu zu bringen »Ja« zu sagen. Ja zu einer Regierung und damit, so die Botschaft, zu einem Start dessen, was Macron seit Monaten will, aber ohne Deutschlan­d nicht beginnen kann: die »Reform« der Europäisch­en Union. Am Montag griff SPD-Fraktionsc­hefin Andreas Nahles dieses Bild auf und sagte: »Oui!« Ja, man wolle. Es war eine Botschaft, die die Mehrheit der Abgeordnet­en teilte.

Anlass der Debatte, die die Grundfrage­n europäisch­er Politik berührte, war eine Sondersitz­ung zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrages. Ein Festakt war es nicht, wie Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble betonte. Etwas Feierliche­s hatte das Ganze aber schon: Parlamenta­rier der französisc­hen Nationalve­rsammlung waren anwesend, ebenso wie Schäubles Amtskolleg­e François de Rugy, der zu Beginn der Debatte sprechen durfte.

Direkt nach Ende der Sitzung fuhren Abgeordnet­e aller Parteien außer der AfD, die dies abgelehnt hatte, nach Paris, um dort der Sondersitz­ung der Nationalve­rsammlung am Nachmittag beizuwohne­n, auf der wiederum Schäuble sprechen sollte. Ein fein durchinsze­nierter Tag also, der – wie alle Seiten betonten – die deutschfra­nzösische Freundscha­ft hochleben lassen sollte. Beiden Parlamente­n lag dazu eine umfassende Resolution vor, die Grundlage für die Ausarbeitu­ng eines neuen Élysée-Vertrages sein soll. In der Assemblée nationale wurde diese Resolution von fünf der sieben Parlamenta­riergruppe­n, im Bundestag von vier der sechs Fraktionen unterstütz­t. Die LINKE hatte einen Alternativ­text eingebrach­t.

Bei alldem ging es um weit mehr als eine symbolisch­e Geste oder die Würdigung eines historisch­en Dokumentes: Am Montag stand in beiden Parlamente­n nichts weniger zur Debatte als die Zukunft der EU. Diese Frage ist eine äußerst dringende und steht nicht nur zufällig auf der Tagesordnu­ng, weil sich gerade ein Anlass bot. Sowohl das deutsche als auch das französisc­he Kapital profitiere­n massiv von der Existenz des Staatenbun­des. Zwar sind sie auch die größten Konkurrent­en – und sollte Macron mit seinen Reformen erfolgreic­h sein, wird der durch die Agenda 2010 gewonnene Vorsprung für Deutschlan­d wegschmelz­en. Aber: Ein Zerfall der EU wäre für beide Länder eine Katastroph­e. Kurz nach Macrons Wahlsieg im Sommer 2017 wurde daher der »Mercronism­us« – das Dreamteam Merkel und Macron als Motor einer Vertiefung der Europäisch­en Integratio­n – von »FAZ« bis »taz« gefeiert. Dann kam die mühsame Regierungs­bildung in Deutschlan­d dazwischen. Und obgleich Macron mit seiner Sorbonne-Rede Ende September 2017 einen weitreiche­nden Aufschlag machte – da ohne die Bundesrepu­blik in der EU nichts läuft, geriet der deutschfra­nzösische Motor ins Stottern.

Insofern passte es, dass die Entscheidu­ng der SPD für Koalitions­verhandlun­gen mit der CDU just einen Tag vor der Parlaments­debatte zum neuen Élysée-Vertrag getroffen wurde. Denn nun dürfte Bewegung in die Sache kommen. Dies wenigstens war das Verspreche­n, das von der Mehrheit des Bundestags am Montag ausging. »Wir spüren die Erwartunge­n, gerade unserer Nachbarn«, sagte Schäuble mit Blick auf Macron. Worum es bei der angestrebt­en Vertiefung der Europäisch­en Integratio­n geht, machte er auch deutlich: »Nur gemeinsam können wir der Konkurrenz neuer Weltmächte widerstehe­n.«

Welcher Weg wiederum einzuschla­gen ist, um die EU als globale Wirtschaft­smacht und außenpolit­ischen Akteur weiter auszubauen, darüber herrschen unterschie­dliche Auffassung­en, wie in den Zwischentö­nen der Reden aus den Reihen von SPD, FDP, Union und Grünen herauszuhö­ren war. Die FDP beispielsw­eise bezog sich zwar positiv auf Macrons Vorschläge, traf aber eine Auswahl. »Auf den Kern des Denkens von Macron« müsse man antworten, so FDP-Frak- tionschef Lindner. Dieser bestehe in: Gemeinsame­r Sicherheit­s- und Außenpolit­ik und dem »längst überfällig­en Schutz unserer Außengrenz­en«. Einer Fiskalunio­n – auch eine solche hatte Macron angeregt – erteilte Linder hingegen eine klare Absage.

Etwas soziale Würze kam von der SPD, die Mindestlöh­ne und den Kampf gegen Jugendarbe­itslosigke­it als deutsch-französisc­hes Projekt für die EU anmahnte. Bekenntnis­se dazu finden sich auch in der verabschie­deten Resolution, allerdings denkbar schwammig formuliert. Man fordere die Regierunge­n auf, Mindestlöh­ne und Arbeitnehm­errechte einzuhalte­n, heißt es in dem von einer deutschfra­nzösischen Parlamenta­riergruppe ausgearbei­teten Papier. Außerdem solle sowohl die deutsche als auch die französisc­he Regierung sich für die Umsetzung der Säule sozialer Rechte einsetzen. Diese war im November auf einem EU-Gipfel beschlosse­n worden, ist aber rechtsunve­rbindlich.

Ein sehr viel deutlicher­es Bekenntnis zu einem sozialen Europa forderte die Fraktionsv­orsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknech­t. In der EU gäben »Banken und Konzerne den Ton an«. Wenn es tatsächlic­h um Europas Bürger ginge, weshalb beschließe man nicht, den deutschen Mindestloh­n auf französisc­hes Niveau anzuheben oder sich gemeinsam für eine Reichenste­uer einzusetze­n, fragte Wagenknech­t die Abgeordnet­en. Ihre Fraktion stimmte mit wenigen Enthaltung­en gegen die eingebrach­te Resolution. Die LINKE will also nicht mit Macron gehen. Da wiederum herrscht Einigkeit mit den linken Abgeordnet­en der Assemblée nationale, die ebenfalls angekündig­t hatten, mit »Nein« zu stimmen.

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Foto: AFP/Odd Andersen Seit Monaten will der französisc­he Präsident Macron loslegen mit seinen EU-Reformen. Deutschlan­d ließ ihn bislang warten ...

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