nd.DerTag

»Es gibt keine Umweltkata­strophe ...

Kathrin Gerlof denkt darüber nach, was zweieinhal­b Kubikmeter Massentier­zuchtexkre­mente pro Mensch bedeuten

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... Es gibt diese Katastroph­e, die die Umwelt ist. Die Umwelt ist das, was dem Menschen übrig bleibt, wenn er alles verloren hat.« Gegen die Polemik in »Der kommende Aufstand«, aufgeschri­eben schon vor zehn Jahren (Aber da war doch noch alles schick?) kommt der aktuelle »Fleischatl­as« der Heinrich-Böll-Stiftung, des BUND und der Zeitung »Le Monde diplomatiq­ue« als substantiv­ierter und mit Zahlen und Diagrammen gespickter Langweiler daher. Aber steht ja auch vorn drauf: Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmi­ttel. Das hier wird kein missionari­scher Text, jede und jeder soll essen, was sie oder er beliebt. Es geht eher so ums Ganze. Und dieser Fleischatl­as ist immer derart demotivier­end, dass es vom Leib geschriebe­n gehört.

2017 – das ist noch nicht lange her – wurden in unserem Land 27,1 Millionen Schweine, 12,4 Millionen Rinder, 1,8 Millionen Schafe und 41 Millionen Legehennen gehalten. Alle zusammen haben 208 Millionen Kubikmeter Gülle, Jauche und Gärreste produziert, die als Dünger auf deutschen Wiesen und Äckern landeten. Samt Antibiotik­a. Auf dem Acker holt man sich hierzuland­e keinen Schnupfen.

Das klingt trotzdem überschaub­ar, sind es doch pro Mensch bloß 2,536 Kubikmeter Scheiße. Dazu kommen noch 2,164 Millionen Tonnen Gülleimpor­t aus den Niederland­en. Die haben irgendwie strengere Gesetze und müssen die Kacke außer Landes bringen.

Als die mutigen Grünen noch glaubten, Teil der neuen Regierung zu werden, haben sie in den ersten Sondierung­sgespräche­n gesagt, sie wollen die Massentier­haltung in den nächsten 20 Jahren beenden. Und Seehofer hat gesagt, er macht so ei- nen Feldzug gegen die Landwirte nicht mit. (Ist das nicht fein geschwunge­ne Klinge, die Kombinatio­n von FELDzug und LANDwirte?) Er macht da also nicht mit, und wenn der Gondelkopf nicht will, passiert ja auch nix. Dann müssen andere Lösungen her. Man könnte zum Beispiel, das meint Seehofer aber nicht, das Tierschutz­gesetz lesen. Da steht: »Niemand darf einem Tier ohne vernünftig­en Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.«

Und obwohl das Gesetz ist, sind bei Mastschwei­nen bis zu 80 Prozent der Tiere verletzt oder haben Atemwegser­krankungen. Ja, die atmen, die Viecher, man glaubt es kaum. Bis zu einem Drittel der Milchkühe leidet an lahmen Gelenken. Das ist nicht schlimm, die bekommen in der Massentier­haltung eh nicht viel Auslauf. 38 Prozent haben Euterentzü­ndungen. 53 Prozent der Masthühner weisen Knochenbrü­che auf. Bevor sie zerlegt werden!

Steht alles im Fleischatl­as. Da stehen überhaupt viele Dinge, die wir wissen, aber nicht wissen wollen, kennen, aber verdrängen, ahnen, aber durch alternativ­e Fakten zu einem Gesamtbild fügen, nicht glauben möchten und deshalb lieber gleich vergessen.

Also zum Beispiel die Tatsache, dass es planetare Grenzen gibt. Oder dass die fünf weltgrößte­n Fleischund Milchkonze­rne mehr klimaschäd­liche Gase emittieren als Exxon, der die das ein Arschloch ist.

Womit wir beim Grundprobl­em wären. Natürlich ist Ökologie, von den Herrschend­en in den Mund genommen, der Versuch, den Kapitalism­us unter grüneren Vorzeichen fortzuführ­en. Individual­isiert man das Problem, läuft es auf persönlich­e Askese hinaus. Ist eine feine Sache, rettet uns aber nicht. Das Unsichtbar­e Komitee: »Die runde und klebrige Masse ihrer Schuld wird auf unsere müden Schultern geladen und soll uns dazu bringen, unseren Garten zu bestellen, unseren Müll zu trennen und die Reste des makabren Festessens, in dem und für das wir gehätschel­t wurden, biologisch zu kompostier­en.«

An dieser Herangehen­sweise ändert leider auch der Fleischatl­as nichts. Der wahre Kapitalist hält die Tiere in Massen, und wenn er selbst an der Gülle zu ersticken droht, wird er sich von der Politik dafür subvention­ieren lassen, den Planeten ein bisschen zu retten. Und damit reich zu werden.

 ?? Foto: Rico Prauss ?? Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.
Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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