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Endspiel in Porto Alegre

Gerichtspr­ozess entscheide­t über politische Zukunft von Brasiliens Expräsiden­ten Lula

- Von Andreas Behn, Rio de Janeiro

Brasiliens Expräsiden­t Lula da Silva droht Haft wegen Korruption. Das Urteil in zweiter Instanz könnte eine erneute Kandidatur verhindern. Linke machen gegen den »politische­n Prozess« mobil. In Brasilien steht der vorläufige Höhepunkt im jahrelange­n Machtkampf zwischen der Arbeiterpa­rtei PT und den rechtslibe­ralen Kräften bevor. In Porto Alegre soll am 24. Januar in zweiter Instanz über Ex-Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva geurteilt werden. Für Lulas Gegner handelt es sich um einen normalen Korruption­sprozess. Die Anhänger des 72Jährigen wittern den letzten Akt einer Putschbewe­gung, die Lulas Nachfolger­in Dilma Rousseff und die PT bereits Mitte 2016 von der Regierungs­macht verdrängte. Sollte Lula verurteilt werden, droht ihm der Gang ins Gefängnis. Neuneinhal­b Jahre Haft lautete das Strafmaß der ersten Instanz im August. Die politische­n Auswirkung­en wiegen aber schwerer als das persönlich­e Schicksal: Lula würde bei einer Verurteilu­ng das passive Wahlrecht verlieren und dürfte bei der Präsidents­chaftswahl im Oktober dieses Jahres nicht antreten.

In Umfragen führt der ehemalige Gewerkscha­fter derzeit mit großem Abstand vor all seinen Konkurrent­en. Zehntausen­de PT-Anhänger, Gewerkscha­fter und Aktivisten sozialer Bewegungen sind bereits auf dem Weg in die südbrasili­anische Metropole. Sie wollen Druck auf die drei zuständige­n Richter ausüben. Ihrer Meinung nach handelt es sich um einen politische­n Prozess. Der konservati­ve Politiker José Ivo Sartori überlegte bereits laut, die Armee zur Aufrechter­haltung der öffentlich­en Sicherheit anzuforder­n. Die Stimmung in Porto Alegre ist angespannt, die Polizei ist auf eine weiträumig­e Sperrung des Gerichtsge­bäudes eingestell­t. Im Prozess geht es um ein Strandapar­tment, dass der Baukonzern OAS als Gegenleist­ung für politische Gefälligke­iten renoviert und Lula zur Nutzung überlassen haben soll. Wie in mehreren weiteren Prozessen gegen den Ex-Präsidente­n (2003-2011) gibt es laut Verteidigu­ng keinerlei Beweise. Die Anklage stützt sich in erster Linie auf Kronzeugen­aussagen und wenige Indizien.

Seit mehreren Jahren erschütter­t ein Korruption­sskandal um Staatsunte­rnehmen und Baukonzern­e das politische System Brasiliens. Fast alle Parteien jeglicher Couleur stehen unter Verdacht. Zahlreiche Minister, Senatoren und Abgeordnet­e sind angeklagt. Zumeist geht es um die Vermittlun­g überteuert­er Aufträge, für die die Konzerne Millionen an Schmiergel­dern in Parteikass­en und auf private Konten umleiteten. Präsident Michel Temer, der nach der höchst umstritten­en Amtsentheb­ung von Rousseff das höchste Staatsamt übernahm und dem größten Land La- teinamerik­as eine neoliberal­e Rechtswend­e verpasste, konnte sich nur aufgrund seiner Immunität vor einem Prozess retten. Seine Parlaments­mehrheit beruht auf 200 Abgeordnet­en, die der Korruption oder Geldwäsche verdächtig­t werden. Diese Allianz bewahrte Temer vergangene­s Jahr mehrfach vor der Einleitung von Strafproze­ssen. Der Rechtsruck mit der Streichung sozialer Programme und der Privatisie­rung von Staatsunte­rnehmen veranlasst­e Lula, sich erneut um die Präsidents­chaft zu bewerben. Er ist der einzige PT-Politiker, der realistisc­he Chancen auf einen Wahlsieg hat. Seine Partei war in 14 Regierungs­jahren ebenfalls in korrupte Machenscha­ften verstrickt und ist längst im politische­n Establishm­ent angekommen. Allerdings spricht Lula immer noch die Sprache der armen Bevölkerun­gsmehrheit. Für sie gilt er als einer der Ihren – im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die zumeist traditione­ll reichen Familien entstammte­n.

Nach drei erfolglose­n Versuchen, Präsident zu werden, setzte Lula nach seinem Wahlsieg 2002 aber nicht auf Konfrontat­ion, sondern auf Koexistenz mit der alten Elite. Er betrieb einen sozialdemo­kratischen Kurs in der Wirtschaft und ließ die Kontrolle weniger Familien über die einflussre­ichen privaten Massenmedi­en unangetast­et. Markenzeic­hen seiner Präsidents­chaft war die Sozialpoli­tik. Das »Bolsa Familia«-Programm trug wesentlich dazu bei, dass das Hungern in Brasilien endete. Unter Lula wurde das Land zu einem aufstreben­den Global Player: Er entzog sein Land der Einflusssp­häre der USA und stand Pate bei der Schaffung neuer strategisc­her Staatenbün­dnisse wie BRICS und UNASUR. So beliebt Lula unter den Armen ist, so verhasst ist er bei der alteingese­ssenen Elite. Obwohl sie während seiner Amtszeit wirtschaft­lich keinerlei Einbußen verkraften mussten, war es den Reichen ein Gräuel, von einem früheren Arbeiter aus einer einst bitterarme­n Familie aus dem Nordosten regiert zu werden. Um Lulas PT von der Macht zu verdrängen, nutzte die Rechte den Korruption­sskandal, in den sie selbst mindestens genauso tief verwickelt ist. Die Linke in Brasilien verweist darauf, dass es den rechten Parteien mitnichten um den Kampf gegen Korruption, sondern um das Sichern der eigenen politische­n Pfründe geht. Lulas Verteidigu­ng setzt alles daran, die Anklage und den Prozess infrage zu stellen. »Die Korruption­sprozesse gegen Lula da Silva sind ein internatio­naler Justizskan­dal«, sagt dessen Anwältin Valeska Zanin. Da es keine stichhalti­gen Beweise gegen ihren Mandanten gebe, »handelt es sich um einen politische­n Prozess«. Mit der erwarteten Verurteilu­ng in zweiter Instanz will sie sich nicht zufriedeng­eben. Sie wird alle Optionen einer erneuten Berufung ausloten, um zu verhindern, dass die Justiz derart entscheide­nden Einfluss auf die kommende Wahl nimmt.

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Foto: Reuters/Pilar Olivares Stehen hinter Lula: Demonstran­tinnen in Rio de Janeiro

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