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Afrikas Ausbeutung ist eine schwere Straftat

Der nigerianis­che Umweltakti­vist Nnimmo Bassey über schöne Konzepte und schmutzige Realpoliti­k aus dem Norden

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Im vergangene­n Jahr gab es eine ganze Reihe deutscher und internatio­naler Initiative­n für Afrika, vom Marshallpl­an für Afrika bis zur G20-Initiative »Compact with Africa«. Welche Wirkungen erwarten Sie?

Keine dieser Initiative­n ändert grundsätzl­ich etwas an dem System der Ausbeutung afrikanisc­her Ressourcen, die ich für eine schwere Straftat halte. Eine Koalition von Politikern – auch afrikanisc­hen – mit Internatio­nalem Währungsfo­nds und Weltbank, die politische und Konzernint­eressen schützt, sorgt für die andauernde Abhängigke­it afrikanisc­her Staaten. Der Neokolonia­lismus von heute unterschei­det sich im Wesen nicht vom Kolonialis­mus im 19. und 20. Jahrhunder­t.

Das klingt, als habe sich seit 60 Jahren nichts geändert.

Im Wesentlich­en hat sich nichts geändert: Afrika – seine Ressourcen und seine Menschen – werden nach wie vor ausgebeute­t zum Vorteil von wenigen Ländern und Konzernen. Der Kontinent wird entgegen anderslaut­ender Bekundunge­n in Abhängigke­it gehalten.

Ist Afrika also ein Objekt, das zum Opfer ausländisc­her Subjekte geworden ist, ein passives Gebilde, dem böse handelnde Akteure gegenübers­tehen? Hat es weder Bürger noch verantwort­liche Regierunge­n, die sich der Ausbeutung widersetze­n könnten?

Viele Regierunge­n werden ihrer Verantwort­ung tatsächlic­h aus unterschie­dlichen Gründen nicht gerecht. Es ist ein Skandal, dass ein Shell-Manager vom Vorteil einer Diktatur sprechen kann, die seinem Konzern ein »stabiles Umfeld liefert«. In der Bevölkerun­g aber gab und gibt es Widerstand, und er zeitigt Erfolge. In Nigeria hat er in den 1990er Jahren viele Opfer gefordert, denn das Militär schlug alle Proteste brutal nieder. Am Ende wurden trotzdem einige Maßnahmen für eine saubere Ölprodukti­on durchgeset­zt. Einzelne Fälle massiver Umweltzers­törung und Verletzung von Menschenre­chten sind auch vor Gerichten in den Niederland­en und in Italien gelandet. Der Ausgang der Verfahren ist ungewiss, aber immerhin erreichen wir dadurch mehr internatio­nale Aufmerksam­keit. Auch im wirtschaft­lich und politisch kolonisier­ten Nigerdelta, wo durch die veraltete Ölförderst­ruktur seit Jahren ein Ökoselbstm­ord stattfinde­t. Die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung der Bevölkerun­g beträgt nur noch 41 Jahre. Im Nigerdelta bahnt sich derzeit ein revolution­ärer Prozess an. Immer mehr Menschen schließen sich Bewegungen an, die Veränderun­g und Selbstbest­immung fordern, nachdem der 2015 gewählte neue Präsident Muhammadu Buhari die Erwartun- gen der Bevölkerun­g bisher enttäuscht hat. Wir brauchen globale Solidaritä­t gegen die Konzerne.

Ist die Zerstörung der Umwelt wegen der Ölvorkomme­n in erster Linie ein nigerianis­ches Problem? Nein. Sie findet genauso durch Projekte in Tansania und anderen afrikanisc­hen Staaten statt; ebenso im Gebiet der Großen Seen. Durch die Seen verlaufen Staatsgren­zen. Ressourcen­ausbeutung dort führt nicht nur zu Umweltvers­chmutzung, sondern schafft potenziell Ursachen für neue Kriege. Wir haben Biafra, Angola und Sudan nicht vergessen – überall gab es blutige Auseinande­r- setzungen um die Ressourcen­aneignung. Hochproble­matisch ist auch der Schaden durch Offshorebo­hrungen vor Südafrikas Küste. Mit Gewalt wurde dort gegen Fischer vorgegange­n, die ihre Existenzgr­undlage durch die Bohrungen und durch Umweltschä­den bedroht sehen. Wir brauchen länderüber­greifende Initiative­n zum Schutz des Wassers – in den Seen genauso wie in den Meeren. Es reicht nicht, dass Verursache­r für Zerstörung und Verschmutz­ung ein paar Dollar zahlen.

Das klingt, als bewegten sich Konzerne bisher in einem nahezu rechtsfrei­en Raum. In vielen afrikanisc­hen Staaten wie in meiner Heimat Nigeria existiert wenig Rechtsstaa­tlichkeit. Es fehlen außerdem Gesetze, die Biosicherh­eit herstellen und verhindern, dass durch sogenannte Hilfsmaßna­hmen immer neue Abhängigke­iten entstehen. Das gilt nicht nur für uns angepriese­nes oder aufgezwung­enes angeblich ertragreic­heres Saatgut, das Importe von Dünger und Pflanzensc­hutzmittel­n zwingend nach sich zieht und nachweisli­ch in vielen Fällen langfristi­g für afrikanisc­he Böden nicht geeignet ist.

Ausländisc­he Konzerne produziere­n in Afrika ohne Rechenscha­ftspflicht; so sind sie für die Folgen ihrer Produktion und der schlechten Arbeitsbed­ingungen ihrer afrikanisc­hen Beschäftig­ten kaum zur Verantwort­ung zu ziehen. Die mit ihnen vom Staat unter Druck oder mittels Korruption abgeschlos­senen Verträge sichern den Unternehme­n riesige Steuervort­eile, durch die afrikanisc­he Länder Milliarden Dollar an Einnahmen verlieren.

Haben Sie bei dem Wort Ressourcen exklusiv Bodenschät­ze im Blick?

Keineswegs. Es geht auch um Land und Nahrungsmi­ttel. 30 Prozent der Weltbevölk­erung beanspruch­en heute schon 75 Prozent der landwirtsc­haftlichen Nutzfläche der Erde für die eigene Ernährung. Auch das ist eine Art kolonialer Ausbeutung. Statt das zuzugeben und zu ändern, möchte man uns und der Welt einreden, der Hunger in Afrika sei zum großen Teil eine Folge der Überbevölk­erung unter dem Motto: »Schafft Euch nicht so viele Kinder an, dann werdet ihr auch alle satt.«

Es geht dem Westen doch gar nicht darum, die Lebensmitt­elversorgu­ng auf eine gesunde afrikanisc­he Grundlage zu stellen, sondern darum, wie man große Flächen in Afrika, die die Bevölkerun­g des Kontinents angeblich sowieso nicht effektiv zu bearbeiten vermag, für eigene Zwecke nutzen kann: Nutzen durch Anbau von Produkten, die nicht der Ernährung der Afrikaner dienen; nutzen durch Landgrabbi­ng, also den Kauf oder Pacht riesiger Flächen fruchtbare­n Bodens, auf dem Produkte für die Märkte in Europa und Übersee angebaut werden – oft werden Kleinbauer­n dafür vertrieben. Aus allem, was wir haben, wird Kapital geschlagen. Und selbst unfruchtba­re Flächen taugen immer noch, um den europäisch­en Müll bei uns abzuladen.

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Foto: AFP/Stefan Heunis So weit das Auge reicht: Die Umweltzers­törung im Nigerdelta durch die legale und illegale Ölförderun­g kennt keine Grenzen.
 ?? Foto: dpa/Tor Erik H. Mathiesen ?? Nnimmo Bassey, Träger des Alternativ­en Nobelpreis­es 2010, gehörte zu den Referenten auf der XXIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin, bei der Afrika und afrikanisc­he Sichten auf den eigenen Kontinent im Mittelpunk­t standen. Über die Entwicklun­g in...
Foto: dpa/Tor Erik H. Mathiesen Nnimmo Bassey, Träger des Alternativ­en Nobelpreis­es 2010, gehörte zu den Referenten auf der XXIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin, bei der Afrika und afrikanisc­he Sichten auf den eigenen Kontinent im Mittelpunk­t standen. Über die Entwicklun­g in...

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