Der Tempeldoktor von Angkor Wat
Seit 20 Jahren restauriert ein Professor aus Köln ein Weltkulturerbe in Kambodscha
Eine der größten Attraktionen des UNESCO-Weltkulturerbes Angkor Wat sind die Apsaras – in Sandstein gemeißelte Tempeltänzerinnen. Seit 20 Jahren restauriert der Kölner Professor Hans Leisen dort. Die Diagnosetechnik des Tempeldoktors Hans Leisen besteht aus Fingerknöchelarbeit. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten verarztet der Professor vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der FH Köln im fernen Kambodscha die steinernen Tempeltänzerinnen am berühmten Weltkulturerbe Angkor Wat. Apsara nennt man diese zarten Reliefs der hübschen Khmerdamen, von denen 1850 die Wände des ehemaligen Vishnu-Tempels zieren. Viele der Apsaras sind krank. Der Zahn der Zeit, unsachgemäße Restaurierungen aus früheren Jahren wie auch haptisch veranlagte Touristen setzen ihnen zu.
Die Diagnose stellen Leisen, Privatdozentin Dr. Esther von PlehweLeisen und ihre Mitarbeiter im »German Apsara Conservation Project« (GACP) durch das Abklopfen der leicht bekleideten Tempelschönheiten eben mit den Fingerknöcheln. »Klingt es hohl, ist das Relief gefährdet«, erklärt Leisen.
Die Therapie ist penibelste Feinarbeit. Erst werden die Apsaras sorgfältig mit Pinsel, Schwämmen, aber auch hochmodernen Mikrosandstrahlgebläsen von Schmutz und Salzen gereinigt. Dann werden Löcher in den Stein gebohrt und in diese mit einer Riesenspritze ein von Leisen entwickeltes »Botox« unter die bröckelnde Apsara gepumpt.
»1995 bin ich das erste Mal mit einem Kollegen von der FH Köln nach Angkor gereist, um den Zustand der Tempelanlagen zu begutachten. Wir haben schwere Schäden festgestellt.« Der Professor für Steinrestaurierung wurde bei der Bundesregierung vorstellig und erhielt die Zusage der Förderung der Tempeltherapie durch das Auswärtige Amt, die seit 1997 Jahr für Jahr erneuert wurde und sich inzwischen auf vier Millionen Euro summiert. »Wir hatten immer gute Argumente, die Politik davon zu überzeugen, dass man das GACP fortführen muss«, sagt Leisen schmunzelnd.
Ein gutes Argument ist das der Nachhaltigkeit. Die Denkmalpflege in Angkor ist zugleich ein Ausbildungsprojekt. Leisen bindet Studenten in die praktische Arbeit an Angkor Wat ein und bildet zudem – noch wichtiger – Kambodschaner zu Experten der Pflege und Restaurierung ihres steinernen Kulturerbes aus.
Ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit war auch die erste internationale wis- senschaftliche Tagung zur Denkmalpflege vor Ort in der Angkor-Stadt Siem Reap, die Leisen im Dezember 2017 zum zwanzigsten Jubiläum des GACP organisiert hatte. In steifem Politikersprech preist die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Maria Böhmer die Arbeit von Leisen und das Engagement ihres Amtes: »Mit diesem umfangreichsten und langjährigsten Vorhaben im Rahmen des Kulturerhalt-Programms unterstützt das Auswärtige Amt in Kooperation mit seinen kambodschanischen Partnern den Erhalt einer der bedeutendsten Weltkulturerbestätten, die Tempelanlage Angkor in Kambodscha. Durch sein weltweites Engagement für Schutz und Pflege von bedeutendem Kulturerbe leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung kultureller Identitäten, fördert den Wissenstransfer und interkulturellen Dialog.«
Der Tempeldoktor behandelt längst auch andere antike Patienten. In Indonesien half er bei denkmalpflegerischen Arbeiten am buddhistischen Tempel Borobudur aus dem 9. Jahrhundert, in Thailand wurde er gerufen, nachdem 2011 ein Jahrhunderthochwasser den historischen Palästen und Tempeln in Ayutthaya arg zugesetzt hatte. In diesem Frühjahr beginnen die Leisens mit der Restaurierung eines antiken Tempels in der alten buddhistischen Tempel- und Königsstadt Bagan in Myanmar.
Beim Engagement der Bundesrepublik geht es allerdings nicht nur um die pure Denkmalpflege. Wie für viele Länder ist auch für Deutschland der Kulturerhalt ein Mittel der sanften Diplomatie. In den antiken Trümmern Südostasiens kämpfen viele Staaten mit der Finanzierung solcher Projekte um Macht und Einfluss, polieren ihren nicht immer unbefleckten Ruf in den jeweiligen Ländern.
Angkor und Bagan sind aktuell Schauplatz des Ringens um Einfluss zwischen westlichen Ländern und dem in Südostasien immer stärker dominierenden China. Die Chinesen scheren sich nicht um die Zusammenarbeit und Kommunikation mit der UNESCO oder dem ICC Angkor, jenem internationalen wissenschaftlichen Koordinierungsgremium der rund 30 Länder, die in Angkor forschen, graben und konservieren. »Die Chinesen schließen mit den Regierungen von Kambodscha und Myanmar bilaterale Verträge«, sagt Leisen.
Das GACP ist aber auch unter den vielen Leidtragenden der quälend langsamen Regierungsbildung in Deutschland. »Zunächst sind Gelder nur bis Juni bewilligt«, sagt Leisen. »Wie es weitergeht, sehen wir, wenn der neue Bundeshaushalt vorliegt.« Kulturerhalt ist eben auch politisch.