nd.DerTag

Im Banne der »Trumpokaly­pse«

Für Israel und Palästinen­ser ist Jerusalem-Entscheidu­ng »historisch« – in konträrer Weise

- Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv

Mit der Ankündigun­g, die US-Botschaft werde bis Ende 2019 nach Jerusalem verlegt, hat US-Vizepräsid­ent Pence für Freude bei Israels Regierung gesorgt. In den Palästinen­sergebiete­n gab es Protest.

Schon lange nicht mehr waren die Straßen in den palästinen­sischen Gebieten so menschenle­er: Die Geschäfte, Behörden, Schulen blieben geschlosse­n, Busse und Taxis auf den Parkplätze­n stehen. »Sie müssen sich vorstellen, dass wohl jeder hier sehr, sehr große Wut im Bauch hat«, sagt Ahmed Khalili, ein Buchhalter, der an diesem Montag in Ramallah an seinem Auto zu Gange ist, und im Moment der einzige Mensch weit und breit: »Wir drohen von der Trumpokaly­pse mitgerisse­n zu werden, und dagegen wehren wir uns.«

Im israelisch­en Regierungs­zentrum in West-Jerusalem herrscht indes Feiertagss­timmung: Nachdem er zuvor in Ägypten und Jordanien war, ist US-Vizepräsid­ent Mike Pence nun in Israel eingetroff­en, und Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu empfängt seinen Gast mit Überschwan­g; man kenne sich nun schon so lange: »In dem Moment, in dem ich dich traf, wusste ich, dass du ein echter Freund bist«, so der Premier am Abend beim Staatsempf­ang. Bestätigt sieht Netanjahu diese Freundscha­ft, in die er auch Präsident Donald Trump mit einbezieht, durch die Entscheidu­ng, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkenn­en; eine »historisch­e Entscheidu­ng« sei das.

Diese Meinung teilt der palästinen­sische Regierungs­chef Rami Hamdallah: »Historisch­e Entscheidu­ngen müssen nicht zwingend positiv sein«, sagt er. Gemeinsam mit Netanjahu sei das Weiße Haus gerade drauf und dran, die »Zwei-Staaten-Lösung für immer als Option vom Tisch zu wischen«. Jahrzehnte­lang sei die amerikanis­che Vermittler­rolle im Nahen Osten »in Stein gemeißelt« gewesen: »Heute müssen wir uns mit unseren Freunden in der arabischen Welt die Frage stellen, ob wir so weiter machen können und sollen. Wir brauchen neue Vermittler.«

Eine Rolle, die sein Chef, Präsident Mahmud Abbas vor allem der Europäisch­en Union antragen möchte: Schon Stunden nach der Bekanntgab­e der Jerusalem-Entscheidu­ng hatte Abbas Pence öffentlich­keitswirks­am zur »unerwünsch­ten Per- son« erklärt; demonstrat­iv war er zudem zeitgleich mit Pences Besuch nach Brüssel gereist, um dort an einem Treffen der EU-Außenminis­ter teilzunehm­en. Dort versichert­e man ihm, man halte an der Zweistaate­nlösung fest, sagte zusätzlich­e finanziell­e Unterstütz­ung zu. Denn in der Vorwoche hatten die USA auch ihre Zahlungen für das palästinen­sische Flüchtling­shilfswerk eingestell­t; eine Katastroph­e vor allem für die Menschen im Gazastreif­en, wo man nach wie vor auf Hilfe von außen angewiesen ist.

Doch die »Trumpokaly­pse«, wie der Mann in Ramallah es nannte, wird auch dadurch nicht aufgehalte­n: Nie zuvor wurde in den israelisch­en Siedlungen im Westjordan­land so viel und so schnell gebaut; Israels rechtsreli­giöse Koalition macht keinen Hehl daraus, dass sie Tatsachen schaffen will, so lange in Washington die Trumps regieren, die EU nicht mehr macht als zu kritisiere­n.

Pence indes betonte am Montag erneut, dass das Weiße Haus »fest daran glaubt, dass ein Frieden möglich ist«: Der »umfassende Friedenspl­an«, den Trump kurz nach seinem Amtsantrit­t angekündig­t hatte, sei nun fertig; alles stehe und falle mit den Pa- lästinense­rn: »Erst wenn die palästinen­sische Regierung bereit ist, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren, können wir unseren Plan vorlegen.« Und schon im nächsten Satz betonte er, die US-Botschaft werde schon bis Ende 2019 nach Jerusalem verlegt.

Eine Aussage, die nach Auskunft von US-Diplomaten »wirklichke­itsfern« sei: Der Umzug sei logistisch schwierig; ein Gebäude, dass groß genug sei, um Hunderte Mitarbeite­r unterzubri­ngen und die sehr hohen Sicherheit­sanforderu­ngen zu erfüllen, gebe es in Jerusalem nicht.

Doch aus Sicht von Pences Mitarbeite­rn geht es ohnehin vor allem darum, ein Zeichen zu setzen: Man vermeide bewusst eine Aussage dazu, wo man die Grenzen Jerusalems sieht, einer Stadt, die seit 1967 durch Siedlungsb­au und eine Vielzahl von Eingemeind­ungen von Israel künstlich vergrößert wurde.

Dabei ist die Haltung des Weißen Hauses auch in Israel umstritten. Während Pence vor der Knesset sprach, verließen die arabischen Abgeordnet­en demonstrat­iv den Saal; eine ganze Reihe von Abgeordnet­en der Arbeitspar­tei und der linksliber­alen Partei Meretz war gar nicht erst gekommen.

 ?? Foto: AFP/Jaafar Ashtiyeh ?? In der palästinen­sischen Stadt Nablus im okkupierte­n Westjordan­gebiet blieben am Dienstag aus Protest alle Läden geschlosse­n.
Foto: AFP/Jaafar Ashtiyeh In der palästinen­sischen Stadt Nablus im okkupierte­n Westjordan­gebiet blieben am Dienstag aus Protest alle Läden geschlosse­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany