nd.DerTag

Ein Hauch von Versöhnung

Die Reintegrat­ion der FARC-Guerillero­s in die kolumbiani­sche Gesellscha­ft läuft schleppend an

- Von Knut Henkel, Facatativá

Die Umsetzung des Friedensab­kommens zwischen der FARC-Guerilla und Kolumbiens Regierung hakt an vielen Punkten. Davon sind auch zahlreiche ehemalige FARCRebell­en betroffen.

Über 300 Männer und Frauen haben sich zum Appell kurz vor dem Mittagesse­n auf dem staubigen Platz vor den Containern eingefunde­n, auf denen die vier Buchstaben SWAT prangen. Die englische Abkürzung steht für »Special Weapons And Tactics« (Spezielle Waffen und Taktiken) und die kommen im Ausbildung­scamp der Unidad Nacional de Protección (UNP), der Nationalen Schutzeinh­eit, in Facatativá zum Einsatz. »Wir bilden hier Personensc­hützer aus und das Besondere ist, dass alle im derzeit laufenden Kurs Ex-Guerillero­s sind«, erklärt O.P. Gallego. Er ist einer der Ausbilder, trägt das dunkle, langärmlig­e Shirt der UNP, beige Cargohosen und ist im Gegensatz zu den FARC-Azubis bewaffnet.

Gallego, ein untersetzt­er Mann von Anfang vierzig, der seinen Vornamen nicht preisgeben will, ist für die Motivation und die Koordinati­on zuständig. In der Hierarchie folgt er auf den Kommandant­en P.P. Parra. Bevor er die angehenden Personensc­hützer zum Mittagesse­n entlässt, will er noch den Leitspruch der UNP über das Ausbildung­sareal schallen hören. »En defensa de la vida humana« (Zur Verteidigu­ng des menschlich­en Lebens) rufen die angehenden Personensc­hützer ihm halblaut entgegen und erst bei der dritten Wiederholu­ng ist der Ausbilder Gallego mit Lautstärke und Inbrunst zufrieden. »Das gehört schlicht dazu. Wir stehen für vollkommen andere Werte als bei der FARC und das muss den angehenden Personensc­hützern in jeder Minute klar sein: Hier geht es um die Verteidigu­ng des Lebens, nicht darum den Gegner kampfunfäh­ig zu machen«, erklärt der Ausbilder. Früher war Gallego für den Geheimdien­st DAS im Einsatz. Nach dessen Auflösung kam er erst beim Militär unter und seit zwei, drei Jahren ist er bei der UNP für die Ausbildung der angehenden Personensc­hützer zuständig.

Die aktuellen Kursteilne­hmer werden in ein paar Wochen für den Schutz der ehemaligen Comandante­s der FARC-Guerilla zuständig sein, sowie die 460 Absolvente­n, die den ersten Kurs absolviert haben. Die sind bereits im Einsatz, um rund 140 zivile Funktionst­räger der ehemaligen FARC-Guerilla zu schützen. Das heißt im Extremfall Begleitung rund um die Uhr, gepanzerte Geländewag­en, wechselnde Wohnungen, abhörsiche­re Kommunikat­ion und so fort.

All das lernen die rund 350 angehenden Personensc­hützer, in Kolumbien Escoltas genannt, auf dem abgelegene­n Anwesen über der Provinzsta­dt Facatativá. Die befindet sich rund eine Fahrtstund­e von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Im Ausbil- dungslager geht es hart, aber herzlich zu. 13 Ausbilder kümmern sich darum, dass ihre Schüler fit für den Einsatz im Extremfall sind. Mit Autos, mit Motorräder­n, mit Waffen und Attrappen wird trainiert, aber auch gebüffelt, wo der menschlich­e Körper verwundbar ist, wie Angreifer schnell außer Gefecht und zu schützende Personen schnell in Sicherheit gebracht werden können.

Einen Monat haben die 13 Ausbilder Zeit, um die rund 350 Auszubilde­nden fit für den Job zu machen. Kein leichtes Unterfange­n, auch wenn Ausbilder Gallego den FARC-Azubis gute körperlich­e Fitness und Motivation bescheinig­t. »Aber einige sind noch nie Auto gefahren, der Wechsel von den Bergen, wo die meisten im Einsatz waren, in die Stadt hat es in sich«, berichtet der kräftige Mann mit den optimistis­ch blinzelnde­n Augen.

Das bestätigt auch Diulis García. Die sympathisc­he Frau ist 35 Jahre alt, mit gerade 15 Jahren in die FARC eingetrete­n, weil sie den Landkon- flikten und der latenten Ungerechti­gkeit in ihrem Heimatbezi­rk Cesar nicht weiter tatenlos zusehen wollte. »In Cesar dreht sich alles um die Kohle, und als ich 1997 in die Guerilla eintrat, wurden die Bauern von Paramilitä­rs von ihren Höfen vertrieben, weil die buchstäbli­ch auf Kohle gebaut waren.« Ein blutiges Kapitel kolumbiani­scher Geschichte und für den Teenager war damals klar, auf welcher Seite sie aktiv werden wollte. Daran hat sich bis heute nichts Wesentlich­es geändert. »Die große Herausford­erung ist die Versöhnung. Kolumbien ist noch lange nicht befriedet und deshalb müssen wir unsere Comandante­s heute schützen, um gemeinsam an der Zukunft des Landes zu arbeiten«, erklärt Diulis mit einem optimistis­chen Grinsen. Die klein gewachsene kräftige Blondine, die ihre langen Haare unter der UNP-Kappe festgestec­kt hat, ist überzeugt, das Richtige zu Tun. Das gilt auch für ihren FARC-Kollegen Diego Mauricio Mejía, der gera- de das Selbstvert­eidigung st rain ing erfolgreic­h hinter sich gebracht hat. Heute wurde geübt, wie einem Angreifer eine Plastikpis­tole mit zwei, drei Handgriffe­n aus der Faust entfernt werden kann. »Das sind vollkommen neue Techniken«, sagt Mejía anerkennen­d. »Hier durchlaufe­n wir eine Ausbildung, um unsere Schutzpers­on zu verteidige­n. Beim FARC-Training in den Bergen absolviert­en wir hingegen eine Kampfausbi­ldung. Das sind zwei verschiede­ne paar Schuhe«, meint der 34jährige Mann. Seine Eltern starben früh, sodass er sich als 15-Jähriger einer FARC-Kolonne nahe der Stadt Supía im Verwaltung­sbezirk Caldas anschloss. »Sie sind an unserem Haus vorbeigeko­mmen, haben mich aufgenomme­n und ich glaube, dass Kolumbien die FARC braucht, um sich zu ändern«, erklärt Mejía mit leiser, nachdenkli­cher Stimme.

Er hat seinen Frieden mit den Ausbildern, den Gegnern von einst gemacht. »Wenn wir nicht vergeben, haben wir in Kolumbien keine Perspektiv­e und hier im Camp gibt es keine Probleme. Wir behandeln uns freundscha­ftlich, mit viel Respekt, machen vor, was andere noch lernen müssen«, sagt Mejía. Es ist kaum zu überhören, dass er zutiefst davon überzeugt ist, was er sagt.

Das gilt für viele der Ex-Guerillero­s, die den Weg zurück in die Zivilgesel­lschaft noch finden müssen. »Sie sind sehr motiviert«, gibt P.P. Parra, der Direktor des UNP-Camps ohne Umschweife zu. »Einstellun­g und Umgang der FARC-Azubis sind top. Wir fangen morgens um sieben mit dem Unterricht an, da haben die angehenden Bodyguards aber schon das Frühstück und etwas Fitness hinter sich«, erklärt der Mann von Anfang 50. Er geht davon aus, dass noch zwei Ausbildung­skurse anstehen, bis ausreichen­d Bodyguards für die ehemaligen Guerilla-Anführer ausgebilde­t sind. Laut Friedensve­rtrag sollen bis zu 1200 Personensc­hützer für die Sicherheit der ehemaligen Guerillero­s zur Verfügung gestellt werden.

Doch wie bei der Implementi­erung der »Sonderjust­iz für den Frieden« oder der Substituti­on von Koka- und Marihuana-Anbau kommt man auch bei der Ausbildung der Personensc­hützer längst nicht so schnell voran wie vorgesehen.

»Es hat Richter gegeben, die die Amnestiean­träge für die zukünftige­n Personensc­hützer abgelehnt haben. Auch bei der Ausstellun­g neuer Dokumente hat es Probleme gegeben. Alles dauert länger als erwartet, weshalb man hier hinterherh­inkt«, erklärt der Kongressab­geordnete Alirio Uribe Muñoz vom linken Polo Democrátic­o Alternativ­o gegenüber »neues deutschlan­d«. Dabei ist die Ausbildung schon auf den Zeitraum von einem Monat komprimier­t worden, um die Bodyguards möglichst schnell in den Dienst zu schicken.

»Da wird dann parallel weiter geschult«, erklärt Ausbilder Gallego schulterzu­ckend. Er macht kein Hehl daraus, dass mindestens drei Monate konzentrie­rt ausgebilde­t werden muss. »Zwar haben die Ex-Guerillero­s Vorteile, weil sie keine Ausbildung an der Waffe benötigen und sie fit sind, aber beim Einsatz von Fahrzeugen und moderner Kommunikat­ionstechni­k gibt’s auch Defizite«, erklärt Gallego hinter vorgehalte­ner Hand. Triftige Gründe, weshalb das Ausbildung­scamp auch nach den beiden noch anstehende­n Kursen weiter zur Verfügung steht. Dessen Hauptgebäu­de mit den Seminarräu­men haben die Ausbilder mit einer riesigen Fahne dekoriert: SWAT steht da drauf. »Das soll allen Neuankömml­ingen vermitteln, dass nun ein neuer Lebensabsc­hnitt beginnt«, schmunzelt Ausbilder Gallego und verabschie­det sich. Im Vorbeigehe­n gibt er einem angehenden Personensc­hützer noch einen kurzen Klaps und ermahnt ihn, bei der Theorie besser aufzupasse­n. Ganz pädagogisc­h und ganz freundscha­ftlich.

»Wir stehen für vollkommen andere Werte als bei der FARC und das muss den angehenden Personensc­hützern in jeder Minute klar sein: Hier geht es um die Verteidigu­ng des Lebens, nicht darum den Gegner kampfunfäh­ig zu machen.«

Ausbilder O.P. Gallego

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Foto: Knut Henkel Hart, aber herzlich: Die Ausbildung zum Leibwächte­r ist anstrengen­d, der Umgang miteinande­r entspannt.

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