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Unzumutbar für Polizisten

Jüngste Abschiebun­g nach Afghanista­n wird Anlass zu Klagen wegen überforder­ter Beamter

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

Am Dienstag erregte die erste Sammelabsc­hiebung des Jahres nach Afghanista­n die Gemüter. Auch die Gemüter von Polizisten.

Am Abend sollten in Düsseldorf 80 Menschen in ein Flugzeug verfrachte­t und in das Kriegsland am Hindukusch gebracht werden. Demonstran­ten hatten ihren Protest angemeldet, der die Innenbehör­den jedoch kaum von ihren Plänen zurückhalt­en würde, wie allen Beteiligte­n klar war. Dafür würden auch Polizisten sorgen, die die Demonstran­ten in solchen Fällen auf Distanz halten.

Den deutschen Polizisten freilich ist bei diesem Thema nicht wohl in ihrer Haut. Das liegt allerdings nicht an den Demonstran­ten. Sondern an den unzumutbar­en Arbeitsbed­ingungen jener Kollegen, die zur Begleitung der Abgeschobe­nen eingesetzt werden. Wenn sie ihre unglücksel­ige Fracht in Kabul abgeliefer­t haben, müssen sie nach dem anstrengen­den Flug ohne Waffe und Funkgerät das Flugzeug bis zum Rückflug bewachen, war zu lesen. Mit Westen, die sie als deutsche Polizisten erkennbar machten.

Zu gefährlich? Nur 35 Beamten hätten sich für die Begleitung am Dienstag gefunden, berichtete­n Medien noch drei Tage vor der Abschiebun­g. Sorge um die an solchen Dienstauft­rägen beteiligte­n Kollegen äußerte grundsätzl­ich Jörg Radek, führender Gewerkscha­fter der Polizei GdP, der die Forderung nach mehr Personal für die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er als überaus dringlich darstellte. Allein im Jahr 2016 habe es insgesamt 243 Sammelabsc­hiebungen gegeben, nicht nur nach Afghanista­n, sondern auch auf den Westbalkan und nach Westafrika, sagte Radek im Bayerische­n Rundfunk. »Und wir haben dafür nicht mehr Personal bekommen.«

Die Arbeitsbed­ingungen von Polizisten bei Sammelabsc­hiebungen sind ein brisantes Thema. Die Bundespoli­zei sei auf ein solches Ausmaß an Rückführun­gen personell nicht vorbereite­t, wurde der GdP-Vizechef zitiert. Dabei handele es sich um eine »Aufgabe mit einem unglaublic­h hohen Koordinier­ungsaufwan­d«. Sogar ganz normale Kontroll- und Streifenbe­amte müssten notgedrung­en eingesetzt werden.

Die Abgeschobe­nen selbst fanden am Dienstag Fürsprache wie immer nur in Zwischenru­fen von Demonstran­ten, Flüchtling­sräten oder Abgeordnet­en wie der Linkspolit­ikerin Ulla Jelpke, die daran erinnerte, dass die Taliban längst etwa in ländlichen Regionen Afghanista­ns ihr Schreckens­regime längst wieder errichtet hät- ten. Fast täglich gibt es Meldungen von Gefechten oder Anschlägen. Auch in Kabul ist es nicht sicher, wovon nicht nur der Anschlag nahe der deutschen Botschaft im letzten Jahr zeugte, sondern erst am Wochenende ein Angriff auf ein Luxushotel, bei dem es Dutzende Tote gab.

Die Angst deutscher Polizisten ist also durchaus begründet. Ebenso aber Warnungen, dass abgeschobe­ne Afghanen sehenden Auges in den Tod geschickt werden – was ein Verstoß gegen internatio­nales und deutsches Recht wäre. Pro Asyl erklärte zu dem Anschlag vom Wochenende, er strafe die Vorstellun­g der deutschen Asylbehörd­en Lügen, es gebe sichere Gebiete in Afghanista­n. Das Außenamt kann sich seit 2016 zu keiner aktuel- len Lagebeurte­ilung des Landes entschließ­en, obwohl sein Urteil entscheide­nd für die Beamten in den Asylverfah­ren ist. Internatio­nale Untersuchu­ngen jedenfalls stufen Afghanista­n als zweitgefäh­rlichstes Land weltweit nach Syrien ein.

Die Bundesregi­erung spricht von »sicheren Gebieten« im Land. Sie setze offenbar auf einen Gewöhnungs­effekt, so Pro Asyl. Das liegt nahe, da ein anderer Effekt eigentlich nicht erkennbar ist. 61 Prozent der Klagen gegen Asylbesche­ide von Afghanen sind erfolgreic­h. Und das Argument der Bundesregi­erung, bei den Abgeschobe­nen handele es sich um Ausnahmen, lässt die Frage entstehen, wozu die Ausnahmen nötig sind. Es gehe nur um »Straftäter, Gefährder

Claudia Roth, Vizepräsid­entin des Bundestage­s, Grüne

sowie Personen, die sich hartnäckig ihrer Mitwirkung an der Identitäts­feststellu­ng verweigern«, betonte Staatssekr­etär Ole Schröder für das Bundesinne­nministeri­um in einer parlamenta­rischen Befragung der Bundesregi­erung. Doch immer wieder finden sich Beispiele unter den Betroffene­n, auf die diese Charakteri­sierung nicht zutrifft. So auch bei der jüngsten Abschiebun­g. Unter den Betroffene­n sei ein junger Mann, der in Afghanista­n wegen einer vorehelich­en Liebesbezi­ehung zum Tod durch Steinigung verurteilt wurde, teilte Ulla Jelpke mit. Sie nennt dies einen »an Zynismus kaum zu überbieten­den Skandal«.

Pro Asyl berichtete von einem der angebliche­n Identitäts­verschleie­rer: Dieser hatte sich um einen Pass bemüht und beim afghanisch­en Konsulat vorgesproc­hen, wie ihm schriftlic­h bestätigt wurde. Der Pass wurde ihm jedoch verweigert, da er keine Tazkira (eine afghanisch­e Geburtsurk­unde, die man nur in Afghanista­n bekommt) besitzt. Der junge Mann hatte fast sein gesamtes Leben im Iran verbracht. Eine solche Geburtsurk­unde kann man von Deutschlan­d aus auch nicht beantragen. Weitere Bemühungen waren ihm somit nicht möglich, da er keinerlei Verwandte in Afghanista­n hat.

»Die Ignoranz der Bundesregi­erung gegenüber der dramatisch­en Sicherheit­slage in Afghanista­n ist schlichtwe­g schauderha­ft.«

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Foto: dpa/Sebastian Willnow Mehr Abschiebun­gen bedeuten für die Polizei mehr Arbeit.

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