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(K)Ein Reintegrat­ionsgesetz

Das ukrainisch­e Parlament verschärft die Gangart gegen den Donbass

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Mit der Verabschie­dung des Reintegrat­ionsgesetz vergangene Woche stellt das ukrainisch­e Parlament das Minsker Abkommen in Frage. Aus Moskau kommt scharfe Kritik. Drei Monate lang hat das ukrainisch­e Parlament über das sogenannte Reintegrat­ionsgesetz für die besetzten Teile des Donbass diskutiert – und letzte Woche wurde das umstritten­e Papier, über das die politische Ukraine seitdem ununterbro­chen spricht, endlich mit 280 Stimmen angenommen. Diskutiert wird über das Gesetz allerdings nicht nur in Kiew, sondern auch in Moskau. »Im Grunde genommen zerstört das Gesetz das ganze Minsker Abkommen, zumindest aus rechtliche­r Sicht«, sagt etwa der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow. »Für uns ist es ein sehr beunruhige­ndes Zeichen, zumal die Minsker Vereinbaru­ngen auch vom UN-Sicherheit­srat einstimmig abgesegnet wurden.«

Was soll aber an einem Reintegrat­ionsgesetz falsch sein? Zunächst einmal: Obwohl die Autoren das Papier selbst so nennen, ist im Text des Gesetzes kein Wort über die tatsächlic­he Reintegrat­ion des Donbass zu finden. Vielmehr erklärt das Gesetz die besetzten Teile der ostukraini­schen Region offiziell als »okkupierte Gebiete«, wo die aus ukrainisch­er Sicht sowohl die okkupieren­de Administra­tion als auch russische Streitkräf­te ihre Macht ausüben. Das Wort »Okkupation« steht generell im Rampenlich­t des Papiers; unter anderem die russische Armee oft als »okkupieren­de Streitkräf­te Russlands« bezeichnet.

Mit diesem Gesetz bezeichnet die Ukraine außerdem Russland zum zweiten Mal nach 2015 als Aggressors­taat, was übrigens ein wichtiger Teil der Kampagne für die Annahme des Gesetzes war. Und so führt Kiew ab jetzt keine »Anti-Terror-Operation« im Donbass mehr durch, sondern »Maßnahmen für die Verteidigu­ng gegen die bewaffnete russische Aggression.«

Dass die Reaktionen aus Moskau nicht positiv waren, ist wohl keine Überraschu­ng. »Solche Formulieru­ngen sind für uns absolut inakzeptab­el«, sagt Außenminis­ter Lawrow. Allerdings könnte das Echo in Russland größer sein, noch hält sich Moskau mit konkreten Vorwürfen Richtung Kiew eher zurück.

Viel wesentlich­er als der verbale Krieg zwischen der Ukraine und Russland sind trotzdem die tatsächlic­hen Folgen für den Verlauf des Minsker Friedenspr­ozesses. Eigentlich gab es Diskussion­en im ukrainisch­en Parlament, ob das Minsker Abkommen in dem Gesetz erwähnt werden soll, was letztlich unter anderem wegen des öffentlich­en Drucks nicht geschehen ist. Das Problem ist jedoch, dass das Gesetz direkte Verhandlun­gen mit den prorussisc­hen Separatist­en untersagt sowie deren Amnestie unmöglich macht, was die gesamten Vereinbaru­ngen von Minsk in Frage stellen.

»Das Minsker Abkommen ist das einzige Papier, das tatsächlic­h der Reintegrat­ion des Donbass in die Ukraine dient. Dass das Gesetz dem widerspric­ht ist vor allem ein Zeichen, dass Kiew vor allem auf das Einfrieren des Konflikts setzt«, analysiert der ukrainisch­e Politologe Ruslan Bortnik.

Außerdem gibt das umstritten­e Gesetz fast unbegrenzt­e Befugnisse im Kriegsgebi­et. Im Ernstfall darf die ukrainisch­e Armee zum Beispiel Gewalt gegen Personen einsetzen, die eine Straftat begangen haben, oder bei Verdacht die Wohnung der Personen durchsuche­n. »Es ist logisch, dass die Armee in einem Kriegsgebi­et mehr darf als sonst, ich sehe da überhaupt kein Problem«, sagt etwa Andrij Parubij, Vorsitzend­er der Werchowna Rada und ein großer Befürworte­r des Gesetzes.

Kann nun das Reintegrat­ionsgesetz zum »Game Changer« im Donbass werden? Wahrschein­lich wird es in erster Linie die aktuelle Situation an der Front festigen und die Chancen auf eine baldige Lösung des Konflikts weiter minimieren. »In der ukrainisch­en Zivilgesel­lschaft ist das Minsker Abkommen unbeliebt, daher ist das Gesetz für mich vor allem auf das lokale Publikum ausgericht­et«, betont der Politologe Bortnik, der glaubt, dass die anstehende­n Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen 2019 bei der Verabschie­dung des Gesetzes eine Rolle spielten. Dass die Konsequenz­en nicht nur für die Wahlen gravierend sein könnten, nehmen ukrainisch­e Politiker offenbar in Kauf.

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