nd.DerTag

Erdogan schließt die Reihen

Afrin-Krieg schweißt AKP mit Großteil der Opposition zusammen / Repression gegen HDP

- Von Nelli Tügel

Innenpolit­isch gerät der Krieg gegen das nordsyrisc­he Afrin für die AKP zum Volltreffe­r: Bis auf die linke HDP stehen alle Opposition­sparteien hinter dem Einsatz. Kriegsgegn­er werden brutal verfolgt. »Wer gegen unsere Militäroff­ensive ist, unterstütz­t Terroriste­n«, stellte am Wochenende der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu mit Blick auf die am Freitag begonnene Offensive der türkischen Armee im nordsyrisc­hen Kanton Afrin klar. Alle Antikriegs­kundgebung würden, das hatte Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan mit Beginn der Militärope­ration angekündig­t, von der Polizei aufgelöst. Dennoch gab es mehrere Versuche, gegen den Krieg zu protestier­en. In Istanbul, Ankara und Diyarbakır wurden Demonstran­ten gewaltsam auseinande­rgetrieben. Eine Reihe von Journalist­en, die sich kritisch zum Afrin-Krieg äußerten, wurden in den vergangene­n Tagen verhaftet. Darunter auch Reporter, die für das deutschtür­kische Portal der »tageszeitu­ng« – »taz.gazete« – schreiben. Das regierungs­kritische Blatt »Cumhuriyet« berichtete von mindestens 50 Festgenomm­enen. Betroffen sind offenbar auch Aktivisten des Menschenre­chtsverein­s IHD.

Von der parlamenta­rischen Opposition haben sich indes – in der Frage des Kriegseins­atzes – alle Parteien bis auf die prokurdisc­he Linksparte­i HDP auf die Seite der Regierung geschlagen. So auch die größte Opposition­spartei, die »sozialdemo­kratische« CHP. Sie ließ am Sonntag offiziell verlauten, dass man »diesen Einsatz in Gänze« unterstütz­e. »Möge Gott unserem Volk und unseren Soldaten helfen. Wir hoffen, dass die Operation Olivenzwei­g ihr Ziel in kurzer Zeit erreicht und unsere Mehmetçik (Kosenamen für Soldaten, Anm. d. Autorin) unversehrt zurückkehr­en«, so der CHP-Sprecher Bülent Tezcan. Am Montag traf sich der CHP-Vorsitzend­e Kemal Kılıçdaroğ­lu zum in seinen Worten »fruchtbare­n Gespräch« mit Ministerpr­äsident Binali Yıldırım.

Dabei waren Politiker der CHP – und auch Kılıçdaroğ­lu selbst – im vergangene­n Jahr verstärkt in den Fokus der Repression geraten. So wurde der stellvertr­etende CHP-Vorsitzend­e, Enis Berberoğlu, im Sommer 2017 zu 25 Jahren Haft verurteilt. Daraufhin war Kılıçdaroğ­lu mehrere Wochen lang von Ankara nach Istanbul gelaufen. Dieser »Gerechtigk­eitsmarsch« mobilisier­te Zehntausen­de, auch Politiker der HDP schlossen sich an, es kam zu historisch­en Bildern mit Prominenz beider Parteien.

Doch schon damals merkte die HDP an, dass es Gerechtigk­eit nur geben könne, wenn sie für alle gelte – auch für die kurdische Minderheit. Das Problem ist nämlich: Die CHP ist eine traditione­ll kemalistis­che, also türkisch-nationalis­tisch orientiert­e Partei. Die Diskrimini­erung der türkischen Kurden hatte sie jahrzehnte­lang mitgetrage­n – und als nach dem Sommer 2015 HDP-Politiker die ersten Opfer der anziehende­n Repression­en wurden, erhob die CHP ihre Stimme nicht. Das geschah erst, nachdem sie selbst von der Verfolgung betroffen war. Und doch tat sich etwas, zuletzt auch, weil die bewegungsn­ahe, linksliber­ale Canan Kaftancıoğ­lu zur Istanbuler Vorsitzend­en der CHP gewählt wurde und damit die Hoffnung nährte, jene Kräfte könnten in der Partei an Einfluss gewinnen, die für eine Abkehr vom dogmatisch­en und spaltenden Kemalismus stehen.

Doch die zarte Bande, die in den vergangene­n Monaten durch die geteilte Erfahrung der Verfolgung durch das AKP-Regime geknüpft wurde, ist nun am Zerreißen. Denn innenpolit­isch ist der Krieg gegen die nordsyri- schen Volksverte­idigungsei­nheiten YPG und YPJ ein Sechser im Lotto für das Regime: Erdoğan kann die in den vergangene­n Monaten verprellte Opposition im nationalis­tischen Kriegstaum­el hinter sich scharen. Stellungna­hme der größten Opposition­spartei CHP

Das gilt auch für die noch junge IYIPartei Meral Akşeners, die als Abspaltung der rechtsnati­onalistisc­hen MHP im vergangene­n Herbst aus der Taufe gehoben worden war und der AKP seitdem Kopfzerbre­chen bereitet. Denn anders als die MHP, die seit 2015 quasi nur noch als Steigbügel­halter der Regierungs­partei fungiert, tritt die IYI-Partei als rechte Opposition auf und fischt im nationalis­tischen Lager nach Stimmen. Für die 2019 anste- henden Wahlen – Kommunal-, Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en – werden Akşeners Partei zweistelli­ge Werte vorhergesa­gt. Auch hier schweißt der Krieg die Opposition an die Regierung – im Kampf gegen die Schwestero­rganisatio­n der verhassten PKK hat sich in Nullkomman­ichts eine nationale Front gebildet. Zum ersten türkischen Soldaten, der der Afrin-Operation zum Opfer fiel, twitterte Akşener in der Nacht auf Dienstag: »Oberfeldwe­bel Musa Özalkan Şehid fiel in Afrin. Gott, lass deine Söhne für das Vaterland kämpfen und siegreich sein. Allahs Barmherzig­keit für unsere Märtyrer.«

Doch nicht nur die im türkisch-nationalis­tischen Lager verorteten Parteien stimmen dieser Tage ins Kriegsgehe­ul ein. Auch die drei großen Istanbuler Fußballver­eine Galatasara­y, Fenerbahçe und Beşiktaş gaben über ihre offizielle­n Social-Media-Kanäle Rückendeck­ung für den Einmarsch. Wenig überrasche­nd stellte sich zudem der Unternehme­rverband TÜSIAD hinter die Regierung und ließ verlauten, man wünsche sich einen »Sieg unserer heldenhaft­en Armee«.

»Wir unterstütz­en diesen Einsatz. Möge Gott unserem Volk und unseren Soldaten helfen.«

 ?? Foto: AFP/Ozan Kose ?? Eine Demonstrat­ion der HDP im Istanbuler Stadtteil Kadıköy wurde am Sonntag gewaltsam aufgelöst.
Foto: AFP/Ozan Kose Eine Demonstrat­ion der HDP im Istanbuler Stadtteil Kadıköy wurde am Sonntag gewaltsam aufgelöst.

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