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Ein Gefühl des Abstands zur Parteispit­ze

Bettina Fortunato, LINKE-Kreisvorsi­tzende in Märkisch-Oderland, über Bedenken an der Basis

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Frau Fortunato, Sie sind als LINKEKreis­vorsitzend­e wiedergewä­hlt worden. Worin sehen Sie Ihre wichtigste­n Aufgaben im Jahr 2018?

Es gilt zunächst, den Kreisverba­nd zusammenzu­halten. Das ist zunehmen schwierige­r. Trotz der Neueintrit­te von zwölf jüngeren Menschen im vergangene­n Jahr – unser Kreisverba­nd altert, die Mitglieder sind weniger beweglich. Dennoch sind sie anspruchsv­oll, was die Informatio­n betrifft. Dem will ich entspreche­n.

Mit welchen Fragen kommt man zu Ihnen?

Das sind oft ganz praktische Dinge: Ist der Arzt erreichbar? Gibt es in vertretbar­er Entfernung die Möglichkei­t einzukaufe­n? Es kommen aber auch Beschwerde­n darüber, dass jüngere Leute sich mit ihren Nachbarn nicht mehr unterhalte­n. Da sage ich: Nicht ich als Kreisvorsi­tzende, sondern wir alle müssen etwas tun. Zum Beispiel: Ein Gespräch beginnen.

Treten diese Fragen flächendec­kend auf?

Eben nicht, der Kreis ist extrem zweigeteil­t: Da gibt es den berlinfern­en Teil, der sich immer mehr entleert. Bezogen auf Buslinien wäre die Frage zu stellen, ob dort in zehn Jahren noch Menschen wohnen werden. Und da gibt es die Bereiche neben Berlin, also Hoppegarte­n, Neuenhagen und Hönow zum Beispiel, wo immer mehr Bauland nötig wird, damit die wachsende Einwohners­chaft auch irgendwo unterkommt. Dort wurden in der Vergangenh­eit zum Teil Schulen geschlosse­n, für die heute wieder genügend Kinder vorhanden wären. Diese Zweiteilun­g ist für unsere politische Arbeit bestimmend.

Worauf können Sie sich dabei stützen?

Na ja, obwohl unsere Mitglieder altern – die paar Schritte zum Klub der Volkssolid­arität oder ins Bürgerhaus schaffen sie immer noch. Was mir aber Sorgen macht: Das Gefühl, sicher und geborgen zu leben, das nimmt messbar ab. Wenn die Leute den Fernsehapp­arat einschalte­n, begegnet ihnen doch nur noch Geschimpfe, und es wird Misstrauen gesät. Angeblich zockt der Staat die Leute nur ab und Ähnliches. Es herrscht ein verbreitet­es Angstgefüh­l, das sich vor allem auf die Kinder und Enkel bezieht. Und – ich bin sozialpoli­tische Sprecherin der Landtagsfr­aktion – da will ich gar nicht drumherum reden: Zum Teil sind Sorgen nicht einfach suggeriert, sondern auch berechtigt. Wie soll jemand, der lange arbeitslos war, eine Rente erwarten, von der man leben kann? Unser Kreis war nie besonders einkommens­stark. Menschen mit extrem geringer Rente gehen nicht zum Sozialamt, aus Angst, dass man ihnen beziehungs­weise ihren Kindern dann die Häuser wegnimmt. So ist die Lage.

Was kann die LINKE in einer solchen Situation tun?

Wir müssen die Dinge kennen, uns alles anhören und immer zuhören. Es wäre nicht sachgerech­t, alles nur schlechtzu­reden: Auch bei uns gibt es Beratungsa­ngebote, wo vieles gelöst werden kann. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass es diese Möglichkei­t nicht nur in den großen Gemeinden gibt. Alle sollen erfahren, wo sie sich Hilfe herholen können. Natürlich muss die Landespoli­tik diese Dinge im Blick behalten.

Seit vielen Jahren trägt die LINKE die Landespoli­tik als Regierungs­partei mit. Wie wird das an der Basis beurteilt?

Es gibt schon kritische Fragen, es existiert ein Gefühl des Abstands. Das lässt sich nicht leugnen. Die Mitglieder wollen konkret wissen: Was habt ihr gemacht? Eine Schulkrank­enschweste­r ist sicher wichtig, aber nötig sind auch Schulsozia­larbeiter. Konkret wurde auch kritisch gesehen, dass ein Finanzmini­ster gleichzeit­ig Landesvors­itzender der LINKEN ist. Wenn nun Sozialmini­sterin Diana Golze diese Rolle übernimmt, dann heißt es bei nicht wenigen Genossen: Warum wird der Fehler nun wiederholt? Freilich soll es neben Diana Golze noch Anja Mayer als zweite Landesvors­itzende geben. Dennoch gibt es an der Basis Bedenken. Anja Mayer war bei uns im Landkreis und hat diese Bedenken nach Potsdam mitgenomme­n.

Es gibt aber auch viel Selbstbewu­sstsein. Unsere Mitglieder sind nicht passiv, sie schreiben auch Briefe an die Landesregi­erung, in denen sie ihre konkreten Forderunge­n formuliere­n. Mehr Geld in die Landesverw­altung zu stecken, ist ja schön und gut. Aber wir brauchen Kita-Erzieherin­nen, heißt es zum Beispiel darin. Und Lehrer beschweren sich darüber, dass die fachliche Begleitung der vielen Seiteneins­teiger sie auf Dauer überforder­t.

Gibt es konkrete Vorhaben der Kreisvorsi­tzenden?

Ja, natürlich. Ich möchte beispielsw­eise, dass die Geschäftss­telle unserer Partei in Strausberg ein Anlaufpunk­t wird nicht nur für organisato­rische, sondern auch für politische und gesellscha­ftliche Fragen. In Seelow klappt das mit einem »politische­n Dienst« schon ganz gut, zumindest dreimal in der Woche ist vormittags jemand da, der sich mit den Bürgern unterhalte­n kann. Das möchte ich auch in Strausberg einrichten. Auch liegt mir der Austausch zu Themen am Herzen, die über die Tagespolit­ik hinausgehe­n. Neben der Rosa-Luxemburg-Stiftung will ich dafür auch andere Partner der politische­n Bildung gewinnen.

 ?? Foto: dpa/Bernd Settnik ?? Die Landtagsab­geordnete Bettina
Fortunato (LINKE) studierte von 1976 bis 1981 Wein- und Gemüsebau an der Landwirtsc­haftlichen Hochschule »Wassil Kolarow« im bulgarisch­en Plowdiw. Am Wochenende wurde sie bei einem Kreisparte­itag in Rehfelde mit rund 93...
Foto: dpa/Bernd Settnik Die Landtagsab­geordnete Bettina Fortunato (LINKE) studierte von 1976 bis 1981 Wein- und Gemüsebau an der Landwirtsc­haftlichen Hochschule »Wassil Kolarow« im bulgarisch­en Plowdiw. Am Wochenende wurde sie bei einem Kreisparte­itag in Rehfelde mit rund 93...

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