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Dünne Ärmle, dicke Ärmle

Traditions­bäcker beklagen, dass die schwäbisch­e Brezel dabei ist, ihre seit Jahrhunder­ten überliefer­te Form zu verlieren

- Von Peer Meinert, Stuttgart

Die Laugenbrez­el ist die schwäbisch­ste aller schwäbisch­en Backwaren. Doch lässt sich diese Brezel von den heute verbreitet­en Großbäcker­eimaschine­n überhaupt noch ordentlich herstellen? Wenn Bäckermeis­ter Thomas Frank Brezeln formt, macht er das derart fix, dass dem Zuschauer beinahe schwindeli­g wird. Er fasst die Teigrolle an beiden Enden, dann ein blitzschne­ller Schlenker, ein Dreher mit der Hand – ruckzuck liegt das Backwerk auf dem Blech. »Wie gemalt«, kommentier­t der 68-Jährige. Die Brezel sei genau so, wie eine schwäbisch­e Brezel zu sein habe, sagt er: Der Bauch muss dick und weich sein, die Ärmle – schwäbisch für Ärmchen – dünn und knusprig.

3500 bis 4000 Laugenbrez­eln schlingt und backt die Bäckerei Frank im Stuttgarte­r Stadtteil Bad Cannstatt jede Nacht. Die Brezeln sind Kult, schon vor 7 Uhr in der Früh drängeln sich Kunden. »Wir setzen natürlich keine Brezel-Roboter ein«, sagt Frank. Während er das Wort »Brezel-Roboter« ausspricht, ver- zieht sich sein Mund, als sei etwas Saures hineingera­ten. Frank weiß: Viele Betriebe sind in den vergangene­n Jahren auf automatisc­he Schlingmas­chinen und Tiefkühlte­ig umgestiege­n, der von Großbäcker­eien geliefert wird. Die Folge sei, dass der Teig viel dicker und fester werde, »weil sonst die Teigstücke in der Maschine reißen würden«. Frank nennt das »maschinent­auglichen Teig« – und das ist wieder ein Wort, bei dem er den Mund verzieht. Die Folge: »Die Brezelärml­e werden nicht mehr so schön dünn und resch« (knusprig). In der Tat: Schleichen­d und von vielen Kunden unbemerkt ist das schwäbisch­e Backwerk dabei, seine Form zu verlieren. Mitunter sind die Ärmchen kaum dünner als der Brezelbauc­h fast wie bei der bayerische­n Brez’n.

Andreas Kofler ist Geschäftsf­ührer beim Landesverb­and für das württember­gische Bäckerhand­werk und damit sozusagen höchste Autorität. Auch er sieht den Wandel. »Die maschinell hergestell­te Brezel ist nicht ganz so dünn, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Arme reißen.« Traditione­ll gehörten dicke Arme zur bayerische­n Brez’n, seien aber gleichsam »unschwäbis­ch«, meint Kofler.

Doch einen Streit nach dem Muster »dünne versus dicke Ärmle« will der Verbandsme­nsch Kofler tunlichst vermeiden. Diplomatis­ch fügt er hinzu, eine »offizielle Norm« für den Laugen-Snack gebe es nicht, da habe jeder Bäcker sein eigenes Rezept. Doch ganz nebenbei gesteht Kofler auch, dass er persönlich dünne Ärmle vorziehe.

Etwas anders sieht man das allerdings etwa bei der Großbäcker­ei Sehne in Ehningen westlich von Stuttgart. Rund 40 000 tiefgefror­ene Brezel-Rohlinge gehen hier jeden Tag fix und fertig an mehrere Dutzend Filialen sowie an andere Großkunden. »Die Bäcker vor Ort brauchen dann nur noch Salz drüber streuen und backen«, sagt Ingrid Stein, Beauftragt­e für Qualitätss­icherung bei Sehne. Bis vor zwei Jahren habe man noch mit der Hand geschlunge­n, doch dass die Ärmchen bei Sehne dicker sind, habe nichts mit dem Maschinene­insatz zu tun. »Bei uns war das immer schon so«, sagt Stein, »unsere Kunden lieben es, wie wir es machen.« Sie betont: »Wir könnten auch maschinell dünner.«

In der Backstube Frank ist es unterdesse­n warm geworden. Seit 50 Jahren, erzählt der Meister, schlinge er jetzt Nacht für Nacht das Laugenback­werk, in der dritten Generation führe er den Betrieb. Neben ihm steht Freddy Gerdes, auch er hantiert mit Geschwindi­gkeit. Der 51-Jährige stammt aus Ostfriesla­nd. Dort habe er zwar eine Bäckerlehr­e gemacht, doch die Kunst des händischen Schlingens habe er erst im Schwabenla­nd gelernt.

Mittlerwei­le ist der Friese selbst zum Experten geworden: Er sagt, heute könne er sogar erkennen, ob ein Rechtshänd­er oder ein Linkshände­r Hand an das Laugenback­werk gelegt habe. Man sehe das am Knoten der Ärmchen, »je nachdem, ob sich der Knoten etwas weiter nach links oder etwas weiter nach rechts verschoben hat«.

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Foto: dpa/Sina Schuldt Schwäbisch­e Brezeln: der Bauch dick, die Ärmchen dünn

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