nd.DerTag

Position und Pointe, Kimme und Korn

Marco Tschirpke stänkert stilvoll mit neuen Gedichten, Aphorismen und Geschichte­n: »Empirisch belegte Brötchen«

- Von Martin Hatzius Marco Tschirpke: Empirisch belegte Brötchen. Gedichte & Geschichte­n (in überwiegen­d komischer Manier). Ullstein, 176 S., geb., 12 €. Mit seinem gleichnami­gen literarisc­hmusikalis­chen Programm geht Tschirpke im Februar auf Deutschlan­d-

Dem Irrtum, eine Sache sei erst dann ganz erfasst, wenn ihrer erschöpfen­den Beschreibu­ng kein Wort mehr hinzuzufüg­en ist, begegnet der Dichter Marco Tschirpke mit der entgegenge­setzten Strategie: Unter den zeitgenöss­ischen Meistern der komischen Künste ist er derjenige, dem ein Werk erst dann als vollkommen gilt, wenn kein Wort mehr wegzulasse­n ist. Nehmen wir die »Geschichte der 68er«, die in diesem Jubiläumsj­ahr von Hunderten Autoren auf Tausenden Seiten ausgebreit­et wird. Tschirpke genügen für seinen »kurzen Lehrgang« zwei Zeilen: »Sie wollten die Vereinigun­g aller Proletarie­r. Sie erreichten die Mülltrennu­ng.« Wer der Meinung ist, die ganze Sache ließe sich knapper auf den Punkt bringen, ist den Beweis schuldig. Einsendung­en nehmen wir schon deshalb gerne entgegen, weil wir nicht damit rechnen.

Daran, dass seine Pointen ihren Preis haben, lässt Tschirpke allerdings keinen Zweifel. Eine Sache will nicht nur umfangreic­h studiert und tief durchdrung­en sein, ehe dieser Dichter seinen Säbel schleift und kurzen Prozess mit ihr macht. Vor allem muss sie zur eigenen ästhetisch-politische­n Haltung ins Verhältnis gesetzt werden. Das bei allem blitzge- scheiten Witz oft unerbittli­che Urteil, das Tschirpke über ungeliebte Moden und Menschen fällt, fußt einerseits auf einem beachtlich­en historisch­en Wissen und profunden Können, anderersei­ts auf einem unumstößli­chen Bekenntnis zu den Idealen von Klassik und Aufklärung. Das vermag bei einem 42-Jährigen, der in der Öffentlich­keit als »Musikkabar­ettist« gehandelt wird, durchaus zu verwundern.

Bei der Vorstellun­g seines jüngsten Buches am Montagaben­d im Berliner Pfefferber­g-Theater sparte Tschirpke nicht mit Nachweisen seiner unverkennb­ar an Peter Hacks geschulten Dichtkunst und Denkungsar­t. Die moderne Lyrik, für den gewieft reimenden Dichter ist sie nichts als »Prosa mit Hang zum Zeilenumbr­uch«. In der künstleris­chen Moderne kann er, der sich fortwähren­d auf die Antike beruft, wenig mehr erkennen als Symptome des Verfalls. Selbst die Soziologie, deren Begründung mit einer Absage an die Politische Ökonomie einhergega­ngen sei, hat Tschirpke, sich hier auf Georg Lukács beziehend, zur Feindin erkoren.

Der Titel seines Büchleins, »Empirisch belegte Brötchen«, verweist auf das darin enthaltene Gedicht »Emeritiert­er Professor«, das zur Veranschau­lichung einmal vollständi­g zitiert sei: »Sie hatte ihn am Wickel,/ Die Soziologie./ Auch wenn er’s nie bemerkt hat:/ Sie ihn. Und nicht: er sie.// Erforschen­d Kleinigkei­ten/ Mit großem Aufwand, stand/ Sein Leben ganz im Zeichen/ Der öffentlich­en Hand.// Wenngleich er nichts geleistet,/ Wenngleich er nichts bewegt,/ War’n seine kleinen Brötchen/ Empirisch gut belegt.«

Tschirpkes vergnüglic­he, gleichwohl nicht selten vernichten­de Ver- achtung trifft die späten GünterGras­s-Gedichte (»eine krude Mischung aus Altherren-Zoten und Vorwürfen an Israel«) ebenso wie die Architektu­r Mies van der Rohes (»der Godfather of Mehrzweckh­alle«), sie zielt auf die Profession des Tagesjourn­alisten (»der Halbgebild­ete von Berufs wegen«) nicht minder als auf die kunstlosen Kinderlied­er des Rolf Zuckowski (»Der Autor hält insbe-

»Gedichte gegen die Kirche sind ein dankbares Geschäft. Da hat man sehr schnell recht.« Marco Tschirpke

sondere das Lied ›Kommt, wir woll’n Laterne laufen‹ für justitiabe­l«). Der zuletzt zitierte Satz ist Tschirpkes Zweizeiler »Ein Satz Maxim Gorkis, um einen Einwand ergänzt« als Fußnote beigegeben. Das Gedicht liest sich so: »Ein Mensch, wie stolz das klingt!/ Es sei denn, Rolf Zuckowski singt.«

So unerbittli­ch er in seinen Urteilen daherkommt, so nahbar und sympathisc­h ist Tschirpke in seinem Auftreten. Doch nicht mal die Schwie- germutter, als deren Liebling man sich den jung gebliebene­n Mann mit den Strubbelha­aren gern vorstellen mag, kommt ungeschore­n davon: »Ich habe auf Blumen geschossen/ Mit scharfer Munition./ Sie sind – ich war nicht ungeschick­t –/ Gleich reihenweis­e umgeknickt:/ Fünf Rosen, zweimal Mohn.// Geschossen hab ich sie für dich./ Der Abzug ging wie Butter./ Nur dies behalte ich für mich: Gezielt hatte ich eigentlich/ Auf meine Schwiegerm­utter.«

Dass dieser freundlich­e Dichter, der im Übrigen ein virtuoser Pianist und profession­eller Gitarrensp­ieler ist, tatsächlic­h einen Menschen ins Visier nimmt, wie er es in seinen bösen Gedichten reihenweis­e tut, kann man sich so wenig vorstellen, wie man seinen wiederholt geäußerten Ruf nach dem Zensor ernst nehmen möchte. Man ist der Kunst doppelt dankbar: dafür, dass sie Künstler wie Marco Tschirpke hervorbrin­gt – und dafür, dass sie sie davor bewahrt, Politiker zu werden oder Henker.

 ?? Foto: Harry Schnitger ??
Foto: Harry Schnitger

Newspapers in German

Newspapers from Germany