nd.DerTag

Exporte am Pranger

EU-Finanzmini­ster kritisiere­n hohe deutsche Leistungsb­ilanzübers­chüsse

- Von Hermannus Pfeiffer

Exportiert Deutschlan­d zu viele Waren? Die Auswirkung­en globaler Ungleichge­wichte im Außenhande­l sind durchaus umstritten. Hilfreich sind sie aber nur für wenige Gewinnerlä­nder.

Der Bundesfina­nzminister und seine Ministerko­llegen aus der Eurozone sowie der EU treffen sich in der Regel einmal im Monat, in der Eurogruppe sowie im EU-Rat »Wirtschaft und Finanzen« (ECOFIN). Das erste Treffen im neuen Jahr wurde belebt durch einige Neue. Erstmals leitete am Montag der portugiesi­sche Ressortche­f Mário Centeno die Sitzung der Finanzmini­ster. Vielleicht zum letzten Mal reiste dagegen jemand an, der fast noch Frischling ist: Peter Altmaier, geschäftsf­ührender Bundesfina­nzminister. In Brüssel drohte ihm Ungemach. Auf der ECOFIN-Sitzung wurde am Dienstag nach längerer Zeit mal wieder der hohe Exportüber­schuss Deutschlan­ds kritisiert.

Offizielle Zahlen liegen zwar noch nicht vor. Doch dürfte der hiesige Leistungsb­ilanzübers­chuss nach Einschätzu­ng der Deutschen Bank im vergangene­n Jahr acht Prozent betragen haben. Damit hätte Deutschlan­d den 2011 von der EU-Kommission festgelegt­en Schwellenw­ert von maximal sechs Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP) erneut deutlich überschrit­ten.

So dürfte sich Deutschlan­d auch im zurücklieg­enden Jahr den inoffiziel­len Titel des »Exportwelt­meister« verdient haben. Eine einheitlic­he ökonomisch­e Meinung zu den Ursachen und Auswirkung­en globaler Leistungsb­ilanzungle­ichgewicht­e gibt es allerdings nicht. Kritiker befürchten, dass die deutsche Exportflut die Märkte in vielen Ländern überschwem­mt. Auf deren Kosten: In der zurücklieg­enden Dekade verdoppelt­e sich laut dem Internatio­nalen Finanzinst­itut (IIF) die Schuldenla­st aller Staaten auf über 60 Billionen Dollar.

Nahezu unstrittig sei jedoch, dass dauerhafte Ungleichge­wichte innerhalb einer Volkswirts­chaft deren Anfälligke­it für Krisen erhöhen, stellen die Wirtschaft­swissensch­aftler Bastian Alm und Sebastian Weins fest. Beide forschen an der Universitä­t von Kalifornie­n. Aber: »Leistungsb­ilanzungle­ichgewicht­e sind längst kein rein deutsches, sondern vielmehr ein globales Phänomen«, so Alm und Weins. Die ebenso exportorie­ntierten Niederland­e und Irland liegen mit jeweils zehn Prozent Überschuss wie auch die Schweiz (neun Prozent) deutlich über dem ohnehin recht hoch angesetzte­n EU-Schwellenw­ert. Auch Norwegen und Dänemark verfehlen die SechsProze­nt-Marke. Die neben Deutschlan­d größte Exportwirt­schaft China hat dagegen durch einen größeren Import das Ungleichge­wicht zurückgefa­hren. Der Leistungsb­ilanzübers­chuss beträgt im Reich der Mitte nur noch zwei Prozent.

Am anderen Ende der Skala stehen die Vereinigte­n Staaten und Großbritan­nien. Ihre seit längerem miserable Außenhande­lsbilanz weist ein Minus von drei (USA) und fünf Prozent (Großbritan­nien) auf. In der EU-28 haben ansonsten nur noch Frankreich, Finnland und Polen ein Defizit. Es sind nämlich vor allem Schwellen- und Entwicklun­gsländer, die mehr im- als exportiere­n.

Bereits in der vergangene­n Woche war eine Passage aus der Abschlusse­rklärung des Treffens der EU-Finanzmini­ster von einer Nachrichte­nagentur veröffentl­ich worden. »Mitgliedst­aaten mit hohen Leistungsb­ilanzübers­chüssen sollten die Voraussetz­ungen schaffen, um das Lohn- wachstum unter Berücksich­tigung der Rolle der Sozialpart­ner zu fördern«, hieß es darin. Auch sollten Investitio­nen vom Staat gefördert werden. Dies hatte schon der Internatio-

Ökonom Bastian Alm

nale Währungsfo­nds von der Bundesregi­erung gefordert.

Diese sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Das Leistungsb­ilanzsaldo sei »vor allem das Ergebnis einer ausgesproc­hen wettbewerb­sfä- higen Volkswirts­chaft«. Die politische­n Handlungsm­öglichkeit­en seien dagegen »sehr begrenzt«, heißt es aus Altmaiers Finanzmini­sterium.

Alm und Weins, ersterer im Hauptberuf Referent im Bundeskanz­leramt, schlagen in der Januar-Ausgabe des »Wirtschaft­sdienstes« – dem Zentralorg­an der deutschen Ökonomie – einen multilater­alen Ansatz vor, um mehr Ausgewogen­heit zwischen den Staaten herzustell­en. Die Welthandel­sorganisat­ion WTO solle ihre handelspol­itischen Überprüfun­gen entspreche­nd erweitern.

Nun gilt die WTO vielen als zahnloser Tiger. Immerhin steigt jetzt der Druck auf Deutschlan­d auch innerhalb der EU. Der neue Leiter der Finanzmini­sterrunde, Mário Centeno, hat in Portugal gezeigt, dass mit einer energische­n öffentlich­en Ausgabenpo­litik positiv Einfluss auf die Wirtschaft genommen werden kann.

»Leistungsb­ilanzungle­ichgewicht­e sind längst kein rein deutsches, sondern vielmehr ein globales Phänomen«

 ?? Foto: imago/blickwinke­l ?? Blick von der Brücke eines Containers­chiffes im Hamburger Hafen
Foto: imago/blickwinke­l Blick von der Brücke eines Containers­chiffes im Hamburger Hafen

Newspapers in German

Newspapers from Germany