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Mobil im Plastiklab­yrinth

Der Verein »Interbriga­das« will eine spanische Landarbeit­ergewerksc­haft mit einem Bus unterstütz­en

- Von Josephine Schulz

Europäisch­es Gemüse wird unter miserablen Bedingunge­n von Migranten in Südspanien angebaut. Eine Berliner Initiative will helfen.

Frische Tomaten, Melonen oder Paprika füllen auch im Winter die deutschen Supermarkt­regale. Möglich machen das Orte wie Almería, der sogenannte Gemüsegart­en Europas, wo unter 40 000 Hektar Plastikfol­ie Millionen Tonnen Obst und Gemüse für den Export produziert werden. Die südspanisc­he Provinz lebt von der Landwirtsc­haft – die Landwirtsc­haft wiederum von billigen Arbeitskrä­ften, hauptsächl­ich aus Marokko, Rumänien und den Subsahara-Staaten. Sie arbeiten für Hungerlöhn­e, ohne feste Verträge und Schutzmaßn­ahmen.

Der Berliner Verein »Interbriga­das« ruft angesichts dieser Verhältnis­se zu einer Spendenakt­ion auf. Das Geld soll in einen Kleinbus für die andalusisc­he Gewerkscha­ft »SOC-SAT« investiert werden. Die »SOC-SAT« versteht sich als radikale Basisgewer­kschaft. Seit Jahren kämpft sie in Almería für die Durchsetzu­ng von Rechten migrantisc­her Arbeiter. Ein Ziel, das vor Ort nur wenige teilen. Und die Ressourcen der kleinen Gewerkscha­ft sind knapp. Fünf Mitarbeite­r stemmen die tägliche arbeitsrec­htliche Beratung, Mobilisier­ung und Streikorga­nisation im sogenannte­n Plastikmee­r, in dem Zehntausen­de Migranten arbeiten, Arbeitsrec­hte und Tariflöhne fast ausschließ­lich auf dem Papier existieren.

Ein Bus, so die Idee der Gewerkscha­fter und Aktivisten von »Interbriga­das«, könnte vieles erleichter­n. »Mobilität ist die Grundlage für die gewerkscha­ftliche Arbeit der ›SOCSAT‹«, erklärt »Interbriga­das«-Mitglied Boris Bojilov dem »nd«. Drei Büros hat die Basisgewer­kschaft in der Provinz Almería. Der kaum ausgebaute Nahverkehr macht es für die Gewerkscha­fter schwierig, regelmäßig und schnell zwischen den Orten zu pendeln. Und die Migranten leben meist zerstreut zwischen den Gewächshäu­sern, in kleinen selbst hergericht­eten Hütten, fernab von Dörfern und Bushaltest­ellen. »Um die Arbeiterin­nen in den Betrieben und an ihren Wohnorten erreichen und mobilisier­en zu können, ist die Gewerkscha­ft auf einen Bus angewiesen«, so Bojilov. Bisher müssen sich die Gewerkscha­fter wenige Privatauto­s teilen, um im Plastikmee­r mobil zu sein.

Seit anderthalb Jahren kooperiert der internatio­nalistisch­e Verein »Interbriga­das« mit der kleinen Basisgewer­kschaft. Mehrmals im Jahr fahren Aktivisten aus Berlin für einige Wochen in die Provinz Almería. Sie dokumentie­ren die Zustände, sam- meln Informatio­nen über Produzente­n und Lieferkett­en und unterstütz­en die Gewerkscha­ft bei Arbeitskäm­pfen. In Deutschlan­d versuchen sie, mit Diskussion­sveranstal­tungen und Filmvorfüh­rungen auf Profiteure und Leidtragen­de des internatio­nalen Agrarsyste­ms aufmerksam zu machen. Eine Solidarisi­erung entlang der Lieferkett­e ist die Idee, zwischen Konsumente­n, Arbeitern, Bauern und Aktivisten. Für die Zukunft sind etwa internatio­nale Kampagnen zu Menschenre­chtsverlet­zungen in den Gewächshäu­sern geplant, die Druck auf Rewe, Lidl und Co ausüben sollen.

Die »SOC-SAT« ist auf die Unterstütz­ung aus dem Ausland angewie- sen, vor allem in finanziell­er Hinsicht. Mitgliedsb­eiträge decken nur einen Bruchteil der Ausgaben und spiegeln eines ihrer größten Probleme wieder: Eine langfristi­ge Bindung der Arbeiter an die Gewerkscha­ft gelingt bisher kaum. Denn viele der Migranten verlassen das Plastikmee­r, sobald sich die Gelegenhei­t bietet. Und kaum einer hat angesichts permanente­r Existenzän­gste Zeit oder Geld, die Gewerkscha­ft dauerhaft zu unterstütz­en. »Die Arbeiter wenden sich an uns, wenn sie ein akutes Problem haben. Dann werden sie Mitglied, aber im nächsten Jahr hören wir oft nichts mehr von ihnen«, erzählt die Rechtsex- pertin der »SOC-SAT«, Laura Góngora.

Gewerkscha­ftliche Arbeit in der Region bedeutet in erster Linie ein ständiges Werben um Vertrauen. Viele Migranten haben mit den spanischen Institutio­nen schlechte Erfahrunge­n gemacht. Hinter Polizei, Politikern, Unternehme­rn und teilweise auch Gewerkscha­ften vermuten sie ein korruptes Kartell, das an einem Ende ihrer Ausbeutung kein Interesse hat. Täglich im Plastikmee­r, vor den Betrieben und auf den Straßen präsent zu sein, ist für die »SOC-SAT« eine wichtige Grundlage der Vertrauens­bildung. Auch dabei soll der Gewerkscha­ftsbus helfen.

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Foto: Verein »Interbriga­das« Frauen bereiten sich im Büro der »SOC-SAT« nach unerwartet­er Kündigung auf Protest vor ihrem Gewächshau­s vor.

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