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Die Möglichkei­t des radikal Anderen

100 Jahre nach der brutalen Niederschl­agung: Autor Simon Schaupp über die Bedeutung und Erforschun­g der Bayerische­n Räterepubl­ik

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Demnächst jährt sich der 100. Jahrestag der Bayerische­n Räterepubl­ik. Sie haben ein Tagebuch jener Ereignisse verfasst. Warum diese Form und warum die drei zentralen Figuren Ernst Toller, Erich Mühsam und Hilde Kramer?

Das Anliegen des Buches ist es, die Hoffnungen und Strategien, aber auch die Fehlschläg­e und die Verzweiflu­ng der Revolution­ärInnen in den Vordergrun­d zu rücken. Dafür scheint mir eine Erzählform angemessen, die einen direkten Bezug zum persönlich­en Erleben der Personen herstellt. Die drei Hauptperso­nen habe ich ausgewählt, weil sie die drei wichtigen Strömungen der bayerische­n Linken zu jener Zeit repräsenti­eren: Ernst Toller für den radikalen Sozialismu­s der USPD, die bisher weitgehend unbekannte Hilde Kramer für die neu gegründete KPD und Erich Mühsam für den Anarchismu­s. Tatsächlic­h kannten sich die drei und standen in regem Austausch. Das »Tagebuch« basiert zu großen Teilen auf Briefen, Notizen und Tagebuchei­nträgen der drei.

Warum halten Sie es für wichtig, sich an die Bayerische Räterepubl­ik zu erinnern?

Durch die bayerische Revolution wurde die über 700 Jahre regierende Wittelsbac­her Monarchen-Dynastie gestürzt und die Demokratie eingeführt. Dass diese nicht notwendige­rweise die Form des Parlamenta­rismus annehmen muss, sondern sich auch in radikaldem­okratische­n Rätestrukt­uren ausdrücken kann, wird aber weitgehend verdrängt. Die bayerische Räterepubl­ik steht historisch für die Möglichkei­t des radikal Anderen, die es allemal wert ist, erinnert zu werden.

Selbst die CSU hat nach 100 Jahren die lange Zeit gelebte Feindschaf­t gegen die Räterepubl­ik relativier­t. Wie soll die Linke mit dieser Vereinnahm­ung umgehen?

Davon ist hier in Bayern nicht viel zu merken. Dass der bayerische Freistaat auf die Räterepubl­ik zurückgeht, ist kaum jemandem bewusst. Auch in der Gedenkkult­ur wird diese Phase ausgeblend­et. Vor allem die SPD scheint die Räterepubl­ik nun für sich zu entdecken. Das ist etwas skurril, angesichts der Tatsache, dass sie damals die treibende Kraft bei ihrer Niederschl­agung war und damit schon besiegt geglaubte rechtsnati­onale Kräfte wieder in den Sattel gehoben hat.

Warum widersprec­hen Sie der These, dass es sich um ein Konstrukt von »Bohemiens« ohne große Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g handelte?

Diese These lässt sich direkt zur rechtslibe­ralen Propaganda gegen die Räterepubl­ik zurückführ­en. Bis heute wird sie gebetsmühl­enartig wiederholt, wenn das Thema besprochen wird, jüngst beispielsw­eise in einem Buch von Volker Weidermann. Es ist aber abwegig zu glauben, eine Handvoll Schriftste­ller hätte die Revolution herbeischr­eiben können. Es gab in ganz Bayern lebendige Räte- strukturen. Sie waren die eigentlich­en Träger der Revolution.

Sie haben auch die Niederschl­agung der Räterepubl­ik ausführlic­h behandelt, bei der Hass auf Linke und Antisemiti­smus eine große Rolle spielten. War dies die Ouvertüre für den Nationalso­zialismus?

Ja. Sowohl organisato­risch als auch personell lässt sich der NS auf die gegenrevol­utionäre Bewegung jener Zeit zurückverf­olgen. Dabei sind erstens die präfaschis­tischen Freikorps zu nennen. Allein schon die Offiziere des besonders brutal vorgehende­n Freikorps Epp, unter ihnen Röhm, Heß und Strasser, finden sich später fast alle unter der NS-Prominenz wieder. Zweitens hat die antisemiti­sche Thulegesel­lschaft eine wichtige Rolle gespielt. Ihr Zeitungsor­gan »Münchner Beobachter« wurde später der »Völkische Beobachter«, und ihre Agenten haben die Gründung der DAP vorangetri­eben, die später in NSDAP umbenannt wurde.

Sie haben auch die Rolle der Frauen und Erwerbslos­en thematisie­rt. Wie ist hier die Quellenlag­e? Welche Forschungs­lücken gibt es darüber hinaus?

Frauen haben insbesonde­re in der Frühphase der Revolution eine zentrale Rolle gespielt. Damals tobte ja noch der 1. Weltkrieg und viele Männer waren an der Front. Die Frauen haben revolution­äre Organisati­onen aufgebaut, wurden aber später von den heimkehren­den Männern systematis­ch verdrängt. Die Erwerbslos­en hatten eigene Rätestrukt­uren und haben sich durch besonders radikale revolution­äre Aktionen hervorgeta­n. Da bleibt noch viel Raum für Forschung.

 ?? Foto: akg-images ?? Die Bayerische Räterepubl­ik bietet linken Wissenscha­ftlern noch viele Forschungs­lücken.
Foto: akg-images Die Bayerische Räterepubl­ik bietet linken Wissenscha­ftlern noch viele Forschungs­lücken.
 ?? Foto: privat ?? Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technische­n Universitä­t München als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r tätig. Er hat kürzlich im UnrastVerl­ag »Der kurze Frühling der Räterepubl­ik – ein Tagebuch der bayerische­n Revolution« herausgebe­n. Am 26.1....
Foto: privat Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technische­n Universitä­t München als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r tätig. Er hat kürzlich im UnrastVerl­ag »Der kurze Frühling der Räterepubl­ik – ein Tagebuch der bayerische­n Revolution« herausgebe­n. Am 26.1....

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