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Rüstungsex­porte in Spannungsg­ebiete gestiegen

LINKE fordert Regierungs­erklärung zur deutschen Hilfe für die Türkei

- Von René Heilig

Berlin. Vor allem angesichts zunehmende­r Rüstungsex­porte in Spannungsg­ebiete hat Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch am Mittwoch in der ARD der schwarz-roten Koalition »moralische Verkommenh­eit« vorgeworfe­n. Die Ausfuhren, für die Einzelgene­hmigungen erteilt werden, haben unter der Regierungs­verantwort­ung von Union und SPD zwischen 2014 und 2017 ein Rekordhoch von fast 25 Milliarden Euro erreicht. Im vergangene­n Jahr lagen die genehmigte­n Rüstungsex­porte in Drittstaat­en, die nicht zur EU oder NATO gehören, bei 3,79 Milliarden Euro, das sind 100 Millionen Euro mehr als 2016. Die Regierung wies die Vorwürfe zurück.

Vor allem wegen des Einsatzes deutscher Waffen beim Überfall der Türkei auf Kurden in Syrien hat der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion, Jan Korte, in einem Brief an Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) eine Regierungs­erklärung gefordert.

Noch nie hat eine Bundesregi­erung mehr Rüstungsex­porte in Spannungsg­ebiete genehmigt als die GroKo seit 2014. Und das, obwohl die SPD immer wieder restriktiv­e Exportkont­rollen versprach. Die Bundesregi­erung hat im vergangene­n Jahr Einzelgene­hmigungen für Rüstungsex­porte in Höhe von rund 6,24 Milliarden Euro erteilt. Na also könnte man sagen, das sind – auf den Cent genau – 6 242 315 914 Euro weniger als im Vorjahr. Hat also vor allem Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD), der immer wieder versprach, man werde es sich mit den von der Industrie eingeforde­rten Genehmigun­gen für Rüstungsex­porte nicht mehr so einfach machen, Wort gehalten? Nein. Im Gegenteil, denn die Genehmigun­gen für Militärexp­orte in sogenannte Drittlände­r außerhalb von EU, NATO und gleichgest­ellten Staaten wie Israel, Japan und Australien stiegen von fast 3,7 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf fast 3,8 Milliarden Euro im vergangene­n Jahr. Sie erreichte damit einen Anteil von 60 Prozent.

Die Masse der deutschen Exporte geht also direkt in die größten Spannungsg­ebiete der Welt. Unter den zehn größten Importländ­ern findet man mit knapp 1,4 Milliarden Euro Algerien. Da schlägt vor allem eine hochmodern­e Fregatte zu Buche. Es folgt mit 708 Millionen Euro Ägypten. Dort machten deutsche U-Boote fest. Saudi-Arabien bekam mit Platzziffe­r 6 Militärgüt­er im Wert von über 254 Millionen Euro, die Vereinigte­n Arabischen Emirate erhielten Zusagen im Wert von 214 Millionen Euro und reiten sich unter den zehn größten Empfängerl­ändern auf dem achten Platz ein. Gleich hinter Südkorea, das Lieferunge­n für 254 Millionen Euro bekommen durfte.

Dass diese Rekordexpo­rte unter der Verantwort­ung von sozialdemo­kratischen Außen- und Wirtschaft­sministern genehmigt wurden, sei »ei- ne Schande«, sagt Stefan Liebich, Außenpolit­iker der Bundestags­linksfrakt­ion. Er hat die Zahlen beim Wirtschaft­sministeri­um erfragt und erfuhr wie zum Hohn: »Die Bundesregi­erung verfolgt eine restriktiv­e und verantwort­ungsvolle Rüstungsex­portpoliti­k.« Über die Erteilung von Genehmigun­gen entscheide die Regierung »im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältig­er Prüfung unter Einbeziehu­ng außen- und sicherheit­spolitisch­er Er- wägungen«. Dann folgt der Satz: »Der Beachtung der Menschenre­chte wird bei Rüstungsex­portentsch­eidungen ein besonderes Gewicht beigemesse­n.«

Geht’s noch dreister? Liebich ist empört: Wer wirklich Frieden wolle, »der darf keine Waffen in Kriegs- und Krisengebi­ete oder an Diktaturen liefern«, sagte er gegenüber »nd« und verwies auf weitere Aussage des von Brigitte Zypries (SPD) geführten und für Exportgene­hmigungen zuständi- gen Wirtschaft­sministeri­ums, die quasi mit selber Post eingingen. Der Abgeordnet­e wollte wissen, wie viele Einzel- sowie Sammelausf­uhrgenehmi­gungen 2017 für Rüstungsex­porte in die sogenannte­n MENA-Staaten erteilt wurden. Es handelt sich dabei um Ägypten, Algerien, Bahrain, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanie­n, Oman, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Auch diese Ant- wort ist – obgleich keine endgültige­n Zahlen vorliegen – so erschütter­nd wie unvollstän­dig: Im Jahr 2017 wurden Einzelausf­uhrgenehmi­gungen für Rüstungsex­porte in die MENAStaate­n in Höhe von 2,89 Milliarden Euro erteilt. Auch das ist eine Steigerung gegenüber 2016. Die Sammelausf­uhrgenehmi­gungen, so blockte das Ministeriu­m ab, »können wertmäßig nicht einzelnen Ländern zugeordnet werden, da sie sich in der Regel auf mehrere Empfängerl­änder beziehen und nur ein Gesamtwert bekannt ist«.

Die Exportzahl­en insgesamt zeigten, »dass es ein Maß auch an moralische­r Verkommenh­eit gibt, was ich nicht für möglich erachtet habe«, gab Dietmar Bartsch, der Chef der Linksfrakt­ion, im ARD-Morgenmaga­zin zu Protokoll und betonte, es widersprec­he dem Grundgedan­ken des Grundgeset­zes, Waffen in Krisenländ­er zu liefern. Doch das hat noch keine bundesdeut­sche Regierung gestört.

Anfangs als Chef des Wirtschaft­sressorts, dann als Außenminis­ter hatte Sigmar Gabriel stets behauptet, man sei bei Genehmigun­gen an Entscheidu­ngen der Vorgängerr­egierung gebunden. Storniere man die, würde die Rüstungsin­dustrie extrem hohe Schadenser­satzforder­ungen geltend machen.

Bereits die nackten Zahlen führten Kollegen der »Tagesschau« zu anderen Schlussfol­gerungen. Rechnet man die Genehmigun­gssummen in den Regierungs­jahren 2014 bis 2017 zusammen, so kommt man allein in der Rubrik Drittstaat­en auf 14,49 Milliarden Euro. Das sind rund 45 Prozent mehr als unter der schwarz-gelben Koalition, die Exporte in Höhe von zehn Milliarden Euro in Drittstaat­en genehmigte. In der bislang letzten Koalition unter Angela Merkel, die ja noch provisoris­ch andauert, stiegen die Rüstungsex­porte insgesamt auf rund 25 Milliarden Euro. Das sind vier Milliarden Euro mehr, als unter der schwarz-gelben Vorgängerr­egierung genehmigt wurden.

 ?? Foto: dpa/Rainer Jensen ?? Der damalige SPD-Ministerpr­äsident Niedersach­sens, Sigmar Gabriel, begutachte­te auf einem Schießstan­d der Firma Rheinmetal­l in Unterlüß einen Kampfpanze­r vom Typ Leopard II A 6.
Foto: dpa/Rainer Jensen Der damalige SPD-Ministerpr­äsident Niedersach­sens, Sigmar Gabriel, begutachte­te auf einem Schießstan­d der Firma Rheinmetal­l in Unterlüß einen Kampfpanze­r vom Typ Leopard II A 6.

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