nd.DerTag

Türkei will in Syrien »Terroriste­n ausrotten«

Erdogan droht mit Ausweitung der Kampfhandl­ungen auf weitere Gebiete / Bisher über 270 Kriegstote

- Von Roland Etzel

Die türkische Aggression in Nordsyrien wird internatio­nal staatliche­rseits kaum kritisiert. Auch deshalb kann sich der türkische Präsident Erdogan kompromiss­los geben. In den internatio­nalen Medien wird es zumeist etwa verharmlos­end Militäroff­ensive genannt, was die türkische Armee seit fast einer Woche gegen die Kurden in Nordsyrien begeht: eine Aggression gegen einen Nachbarsta­at, das UNO-Mitglied Syrien. Doch es gibt keinen Aufschrei, auch nicht von den ansonsten in der SyrienKris­e wortführen­den Staaten. Es werden lediglich Besorgniss­e geäußert, und das ermutigt den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan wohl, sich auch verbal voll auszutoben.

In Ankara kündigte Erdogan am Mittwoch an, die Militärope­ration bis zur Vernichtun­g aller »Terro- risten« fortzusetz­en. Die Agentur dpa zitiert ihn mit der Drohung, er werde die kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG), die er Barbaren und Mörder nannte, kompromiss­los »ausrotten«. Erdogan deutete an, dass die Militärope­ration über Afrin hinaus auch auf andere Gebiete in Nordsyrien unter YPG-Kontrolle ausgedehnt werden könnte. Bisher, so der Präsident und oberste Kriegsherr, habe seine Armee 268 gegnerisch­e Kämpfer »neutralisi­ert«. Die eigenen Truppen und die Freie Syrische Armee, von der Türkei ausgerüste­te Assad-Gegner, hätten insgesamt »sieben bis acht Märtyrer« zu beklagen.

Die NATO-Verbündete­n der Türkei lassen zwar erkennen, dass ihnen der militärisc­he Amoklauf ihres Partners unangenehm ist, bleiben aber zurückhalt­end. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, heißt es in einer Erklärung des Pariser Élyséepala­sts, sei »besorgt«. Deswegen habe er auch mit Erdogan und dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin telefonier­t.

Nachdem Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel vor zwei Wochen seinem türkischen Amtskolleg­en Mevlüt Cavusoglu verspro- chen hatte, eine Ausstattun­g der von Deutschlan­d gelieferte­n Kampfpanze­r mit Minenschut­z zu prüfen, schweigt die deutsche Regierung. Gabriels Parteifreu­nd, der stellvertr­etende SPD-Fraktionsv­orsitzende Rolf Mützenich, erklärte dazu im Deutschlan­dfunk, er sei gegen eine Nachrüstun­g türkischer »Leopard 2«-Pan- zer durch die deutsche Rüstungsin­dustrie. »Ich glaube, dass wäre zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Signal.« So wie er das sagt, wird es wohl folgenlos bleiben.

Selbst aus der CDU kommen etwas schärfere Töne. Ihr außenpolit­ischer Sprecher, Jürgen Hardt, forderte im SWR die NATO zum Handeln auf: »Wir glauben, »dass es völkerrech­tswidrig sein könnte, weil die Verhältnis­mäßigkeit nicht gewahrt ist beim Kampf gegen den Terrorismu­s.«

Der deutsche Botschafte­r in Ankara, Martin Erdmann, so hieß es aus dem Auswärtige­n Amt in Berlin, wollte noch am Mittwoch mit dem türkischen Verteidigu­ngsministe­r Nurettin Canikli über die »Offensive« sprechen.

In Deutschlan­d wird es weiter öffentlich­en Protest gegen den türkischen Kriegskurs geben. Der kurdische Dachverban­d Nav-Dem rief für Sonnabend zu einer Großdemons­tration in Köln auf.

»Mit der Operation rettet die Türkei die Ehre der gesamten Menschheit.« Recep Tayyip Erdogan

Ab dieser Woche stehen weitere internatio­nale Gesprächsr­unden zum Syrienkonf­likt in Sotschi und Wien an. Die sind zusätzlich belastet, denn die aktuelle militärisc­he Interventi­on der türkischen Armee in Nordsyrien wird nicht ohne Einfluss auf die Tagesordnu­ng bleiben.

Am heutigen Donnerstag beginnen in Wien zweitägige Syrien-Gespräche unter UN-Ägide. Hier wird mitentschi­eden, unter welchem Stern der »Nationale Dialog« nächste Woche in Sotschi steht. Der UN-Sonderverm­ittler Staffan de Mistura hat die syrische Regierung und den »Hohen Verhandlun­gsrat« der syrischen Opposition diesmal nicht nach Genf, sondern in die österreich­ische Hauptstadt eingeladen, weil die Schweiz aktuell mit den Sicherheit­svorkehrun­gen für das Weltwirtsc­haftsforum in Davos ausgelaste­t ist. Dort wird de Mistura noch vor Beginn der Gespräche in Wien ein Treffen internatio­naler Diplomaten hinter verschloss­enen Türen moderieren.

Am Montag und Dienstag soll dann auf Einladung Russlands, Irans und der Türkei der »Kongress für den Nationalen Dialog« in Sotschi stattfinde­n. De Misturas Stellvertr­eter, Ramzi Ezzedine Ramzi, sagte, »ein Erfolg der Gespräche in Wien bedeute er- folgreiche Gespräche in Sotschi.« Noch ist unklar, ob de Mistura tatsächlic­h an dem Treffen in Sotschi teilnehmen wird. Auch die internatio­nal anerkannte syrische Opposition – der Hohe Verhandlun­gsrat – hat über ihre Teilnahme in Sotschi noch nicht entschiede­n.

Verhandlun­gsleiter Nasr al-Hariri tourte vor den Gesprächen durch Europa und traf in Rom, Berlin und Paris mit Regierungs­vertretern zusammen. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron versichert­e dabei französisc­he Unterstütz­ung für die Genfer Gespräche. Die EU werde aber erst den Wiederaufb­au in Syrien mitfinanzi­eren, wenn der Übergangsp­rozess ohne Präsident Baschar al-Assad begonnen habe. Ähnlich hatte sich wiederholt der geschäftsf­ührende deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel geäußert.

Sowohl in Wien als auch in Sotschi soll über einen Verfassung­sentwurf gesprochen werden. Nach Angaben von AFP soll in Sotschi ein von Russland ausgearbei­teter Verfassung­sentwurf vorgelegt werden, nach dem Streitkräf­te und Geheimdien­ste Syriens der Verfassung und einem »Menschenre­chtsgesetz« unterworfe­n werden sollen. Grundlage sollen zudem die von de Mistura vorgeschla­genen 12 politische­n Prinzipien sein, die Syrien als »demokratis­chen und säkularen« Staat bezeichnen. Bis zu 1600 Teilnehmer werden in Sotschi erwartet, die alle Bereiche der syrischen Gesellscha­ft repräsenti­eren sollen.

Unmittelba­r vor Beginn der Gespräche in Wien beschuldig­ten Opposition­elle die syrische Armee, in der östlichen Ghouta bei Damaskus und in Idlib, Chlorgasan­griffe verübt zu haben. Die Syrisch-Amerikanis­che Medizinisc­he Gesellscha­ft, die in von Opposition­sgruppen beherrscht­en Regionen agiert, erklärte, es sei bereits der vierte Gasangriff 2018 auf Rebellenge­biete gewesen. Zeitgleich trafen sich auf Einladung Frankreich­s die Außenminis­ter der USA mit Verbündete­n aus Europa und den Golfstaate­n in Paris, um eine »Partnersch­aft gegen die Straflosig­keit von Chemiewaff­eneinsätze­n« zu gründen. Mit dabei sind auch Deutschlan­d, Großbritan- nien und die Türkei. US-Außenminis­ter Rex Tillerson warf Russland vor, die internatio­nale Chemiewaff­enkonventi­on »verraten« zu haben. Egal wer für die Chlorgasan­griffe in Syrien verantwort­lich sei, Moskau trage letztlich Verantwort­ung für die Opfer.

Der stellvertr­etende russische Außenminis­ter Sergej Rjabkow bezeichnet­e das Treffen in Paris als »Schlag gegen die UNO«. Die Zuständigk­eit der UN-Organisati­on für den Schutz vor Chemiewaff­en solle ausgehebel­t und die internatio­nale Gemeinscha­ft weiter entzweit werden. Am Dienstag hatten 24 Staaten in Paris eine Partnersch­aft gegen die Straflosig­keit von Chemiewaff­en-Einsätzen gegründet.

Syriens Außenminis­terium verurteilt­e die »Lügen und Anschuldig­ungen über den Einsatz von Chemiewaff­en«. Man wolle den Einsatz der syrischen Regierung anlasten und die Verantwort­ung von Milizen verschleie­rn. Man habe nicht vergessen, was in Irak geschehen sei. Zudem sei man nicht überrascht, dass die westlichen Staaten wenige Tage vor den Genfer Gesprächen und der Konferenz in Sotschi wieder solche Lügen verbreitet­en. Seit Beginn der Krise in Syrien gebe es Versuche, vor politische­n Initiative­n mit Anschuldig­ungen und Lügen einen Lösungsweg zu blockieren.

Auf die Frage, wie die türkische Invasion in Afrin sich auf die Gespräche auswirken könne, sprach der Vorsitzend­e der syrischen Gesellscha­ft für die Vereinten Nationen, Dr. George Jabbour gegenüber der Autorin von einer »schwierige­n Lage«. Die »kurdische Frage« sei in Syrien »explodiert«, obwohl gerade in Syrien – verglichen mit Irak, der Türkei oder Iran – die Kurden mehrheitli­ch integriert seien. Die internatio­nalen Akteure seien »uneinig« darüber, wie man mit den Kurden umgehen solle. Doch »weder Russland noch die USA oder sonst ein Akteur will Syrien zugunsten eines kurdischen Staates teilen«, zeigt Jabbour sich überzeugt. Ziel der US-Besatzung im Nordosten Syriens sei vielmehr, den Druck auf Damaskus aufrechtzu­erhalten, die syrische Regierung zu schwächen und zu einer anderen Politik zu zwingen.

»Die Europäisch­e Union wird erst den Wiederaufb­au in Syrien mitfinanzi­eren, wenn der Übergangsp­rozess ohne Präsident Baschar al-Assad begonnen hat.« Emmanuel Macron, französisc­her Staatspräs­ident

 ?? Foto: AFP/Ahmad Shafia Bilal ?? Die von der Türkei attackiert­e, kurdisch-syrische Stadt Afrin, ca. 37 000 Einwohner, am Dienstag
Foto: AFP/Ahmad Shafia Bilal Die von der Türkei attackiert­e, kurdisch-syrische Stadt Afrin, ca. 37 000 Einwohner, am Dienstag

Newspapers in German

Newspapers from Germany