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Der »Fruchtbare Halbmond« Nordsyrien­s droht auszutrock­nen

Die von der Türkei attackiert­e Kurdenregi­on Afrin ist von Bedeutung für das ganze Land – vor allem seit Wasser auch zur Waffe wurde

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Afrin gehört zu einer Region mit Jahrtausen­de alter kluger Wasserkult­ur. Auch diese ist gegenwärti­g in ihrem Bestand gefährdet, nicht allein infolge des Krieges. »Sieh mal, das ist mein Dorf. Hier ist meine Schwester mit ihrer Tochter. Und hier, das ist der Kamelfelse­n, wir nennen ihn so, weil er aussieht wie ein Kamel. Und hier bin ich mit meinem Bruder. Wir machen Picknick am Nabi Huri.«

Aziz zeigt auf seinem Handy Fotos von seinem letzten Urlaub in Afrin. Glücklich sehen sie alle aus, die Landschaft ist grün, Olivenhain­e erstrecken sich bis an den Horizont. Die Gegend ist voller Überreste alter Kulturen, die Afrin und Nordsyrien mit einer klugen Wasserkult­ur zum Bestandtei­l des »Fruchtbare­n Halbmon- des« machten und Jahrtausen­de lang geprägt haben. Hethiter, Byzanz, Römer und viele andere haben ihre Spuren im Tell Ain Dara, im Simeonsklo­ster oder eben bei Nabi Huri hinterlass­en.

Aziz und sein Cousin Hanan stammen aus dem Dorf Oganli, einem von 360 Dörfern, die zu der Stadt Afrin gehören. Der Ort liegt etwa 40 km nordwestli­ch von Aleppo entfernt. Das Dorf von Aziz liegt noch einmal 30 km weiter nordwestli­ch, nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Aziz, sein Vater und seine Cousins arbeiten seit fast 30 Jahren in Damaskus. Doch jeden November fahren sie nach Hause, um sich um ihre Olivenbäum­e zu kümmern. Aziz und seinen Brüdern gehören etwa 100 Bäume, Hanan und seinen Brüdern mehr als 200. Die jährliche Olivenernt­e erbrachte mal mehr, mal weniger von dem kostba- ren Olivenöl, das als das beste in ganz Syrien gilt. Die Einnahmen waren wie ein Sparbuch für die Brüder. Die letzte Ernte sei nicht gut gewesen, sagt Hanan. Immer wieder habe es Angriffe von der Türkei gegeben, es sei gefährlich gewesen, in die Olivenhain­e zu gehen. Eines Tages mussten sie – aus sicherer Entfernung - mit ansehen, wie die türkische Armee einen Grenzstrei­fen westlich ihrer Dörfer einfach besetzte und die Olivenbäum­e umpflügte. Heute steht dort eine Mauer aus Beton und mit Stacheldra­htrollen auf dem First.

Die Ernte sei auch schlecht gewesen, weil es an Wasser gefehlt habe. Die Flüsse in Afrin überflutet­en früher im Frühling ihre Dörfer, erinnern Aziz und Hanan sich an ihre Kindheit. Inzwischen tragen sie nur wenig Wasser, was weniger am Klimawande­l, sondern am gigantisch­en Südostanat­olien-Staudammpr­ojekt liegt, das die Türkei entlang von Euphrat und Tigris errichtet hat. Dämme und Stauseen haben den Wasserdurc­hlauf der beiden großen Flüsse im Mittleren Osten erheblich

verringert, das gleiche gilt für kleinere Flussläufe wie Afrin, Huri westlich von Aleppo oder für Sajour und Khabour im Osten der Jazeera. Jazeera, die Insel, nennt man das Gebiet im Nordosten von Syrien, weil es zwischen den beiden großen Strömen Euphrat und Tigris wie eine Insel gelegen ist. Das Euphrat-TigrisBeck­en gehört zu den reichsten und wichtigste­n Wasserspen­dern der Region.

Wasser wurde in den Kriegsjahr­en immer wieder als Waffe von den Kampfverbä­nden eingesetzt. In einem Sommer wurde mehr als 40 Mal die Wasservers­orgung aus dem Euphrat für Aleppo und Umgebung unterbroch­en. Kanäle und Bewässerun­gstunnel wurden zerstört, ein wichtiges Klärwerk war von Kämpfern des »Islamische­n Staates« besetzt.

Große Sorge bereitet den syrischen Behörden von Aleppo und Deir Ezzor bis heute, dass die für Trinkwasse­r, Landwirtsc­haft und Elektrizit­ät wichtigen Staudämme entlang von Sajur, Euphrat und Khabour ihrer Kontrolle und Wartung entzogen sind. In der Provinz Hasakeh gibt es entlang des Khabour zehn Dämme zur Trinkwasse­rversorgun­g. In den Provinzen Rakka und Aleppo liegen vier Staudämme, darunter die beiden größten des Landes. Euphrat- und Tischrin-Damm wurden westlich von Rakka Stadt zwischen 1966 und 1980 mit sowjetisch­er Hilfe gebaut.

Dr. Riad, ein Wasserbaui­ngenieur hat damals viele der Baustellen betreut und kennt fast jeden einzelnen Kanal, der dort entstanden war. »Die Kurden kontrollie­ren sie heute«, sagt er leise und zuckt mit den Schultern. »Sie haben uns nicht nur unser Getreide, Öl und Gas genommen, auch die Wasservers­orgung liegt in ihren Händen.« Er blättert durch seine Aufzeichnu­ngen, zeigt Skizzen und Fotos der Baustellen. »Die Kurden sagen, sie seien Teil von Syrien. Doch sie haben die syrischen Rohstoffe in Geiselhaft genommen.«

»Die Kurden sagen, sie seien Teil von Syrien. Doch sie haben die syrischen Rohstoffe in Geiselhaft genommen.« Wasserbaui­ngenieur Dr. Riad

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