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Equal Pay-Regelung hilft Leiharbeit­ern nicht

Zum ersten Mal beschäftig­t die Klage eines Betroffene­n auf gleiche Bezahlung ein deutsches Arbeitsger­icht

- Von Ines Wallrodt

Das Arbeitsger­icht in Gießen prüft derzeit, ob die Benachteil­igung von Leiharbeit­ern in Deutschlan­d rechtens ist. In drei Wochen kommt das Urteil. Im Mai 2017 machte die ZDF-Kabarettse­ndung »Die Anstalt« eine Initiative des Arbeitsrec­htlers Wolfgang Däubler bekannt. Der Professor aus Bremen suche Leiharbeit­er, die mit seiner Hilfe gegen ihre Benachteil­igung in Betrieben vor Gericht ziehen wollen, hieß es dort am Ende einer gepfeffert­en Kritik an der deutschen Rechtslage. Minutenlan­g hielt der Kabarettis­t Claus von Wagner Däublers E-Mail-Adresse in die Kamera. Das Angebot schlug ein: Seit dieser Sendung habe er über 500 E-Mails von Leiharbeit­ern bekommen, sagt Däubler. In jeder zweiten sei von »Ausbeutung« und »Sklavenhal­tersystem« die Rede gewesen. Viele fühlten sich wie »Arbeitnehm­er zweiter Klasse«. Doch trotz der großen Resonanz wollten nur die wenigsten tatsächlic­h einen Prozess anstrengen. Däubler führt das unter anderem auf Angst zurück, die Zeitarbeit­sfirma zu verklagen, bei der man unter Vertrag steht oder irgendwann wieder stehen muss. »Man will nicht das Wenige, das man hat, auch noch aufs Spiel setzen.« Zwei Dutzend Leiharbeit­er vermittelt­e er schließlic­h an Arbeitnehm­eranwälte weiter. Am Mittwoch wurde in Gießen der erste Fall verhandelt.

Der Kläger war einige Monate bei der großen Zeitarbeit­sfirma Randstad angestellt, die ihn von Februar bis Juni letzten Jahres in einen Metallbetr­ieb in Hessen entlieh. Dort arbeitete er in der Produktion im Schichtsys­tem, allerdings verdiente er bis zu 40 Prozent weniger als seine fest angestellt­en Kollegen für dieselbe Arbeit. Denn er wurde nach dem Tarifvertr­ag Zeitarbeit bezahlt, den DGB und Bundesarbe­itgeberver­band der Personaldi­enstleiste­r geschlosse­n haben; für die Stammbeleg­schaft jedoch gilt das bessere Tarifwerk der Metall- und Elektroind­ustrie. Insbesonde­re die Schichten an Sonn- und Feiertagen wurden schlechter vergütet. In dem Betrieb beschäftig­t ist er nicht mehr. Randstad kündigte ihm noch in der Probezeit. Nun will der Mann die Lohndiffer­enz zu den Stammbesch­äftigten vor Gericht nachträgli­ch erstreiten.

Mit dem Fall betritt das Gießener Arbeitsger­icht Neuland. Es muss das neue Gesetz zur Regulierun­g der Leiharbeit, das vor knapp einem Jahr beschlosse­n wurde, auslegen und dabei auch prüfen, ob es europarech­tskonform ist. Das Arbeitnehm­erüberlass­ungsgesetz schreibt das Prinzip gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit zwar vor, schränkt es aber zugleich wieder ein, indem von diesem EqualPay-Grundsatz per Tarifvertr­ag abgewichen werden darf. Wie weit nach unten, das lassen sowohl Gesetz als auch Tarifvertr­ag offen. »Die Frage ist: Wann ist eine Schmerzgre­nze erreicht«, erklärt der Gießener Rechtsanwa­lt Reimar Mewes, der den hessischen Kläger vor Gericht vertritt. Aus seiner Sicht sind Löhne »sittenwidr­ig«, die mehr als ein Drittel unter denen anderer Beschäftig­ter mit derselben Tätigkeit liegen. Doch das ist rechtlich umstritten. Aus Sicht der Kläger enthält die EU-Richtlinie zu Equal Pay in der Leiharbeit eine Grenze für die Abweichung per Tarifvertr­ag. Demnach müsse der »Gesamtschu­tz« von Leiharbeit­ern trotz allem gleich bleiben. Für Wolfgang Däubler steht fest, dass Tarifvertr­äge zur Leiharbeit, die lediglich »verschlech­ternde Regelungen« vorsehen, diesen Gesamtschu­tz nicht mehr gewährleis­ten.

Wie viele weitere Klagen aus seinem Aufruf hervorgega­ngen sind, kann Däubler nicht sagen. Er weiß derzeit von mindestens einem weiteren Fall. Manche Klageschri­ft scheiterte wohl schon daran, dass mindestens eine Person benannt werden muss, die für dieselbe Arbeit mehr verdient. Für Leiharbeit­er, die eben nicht »zur Familie gehören«, ist das bereits eine große Hürde. Außerdem erschwerte eine Klausel in Arbeitsver­trägen einige Klagen, wonach alle Ansprüche nach Ablauf von drei Monaten verfallen.

Das Arbeitsger­icht in Gießen hat in der Sache am Mittwoch noch nichts entschiede­n, sondern will sein Urteil in drei Wochen am 14. Februar verkünden. Sollte es ebenfalls Zweifel daran haben, wie die EU-Richtlinie zur Zeitarbeit in Deutschlan­d umgesetzt wird, kann es das Verfahren aussetzen und die Frage direkt dem Europäisch­en Gerichtsho­f vorlegen. Denkbar ist aber auch, dass das Gericht den Streit erst einmal in weitere Instanzen schickt, um hierzuland­e einige grundsätzl­iche Entscheidu­ngen herbeizufü­hren.

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